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Die doppelte Beleidigung

Von ALEXANDER SCHIERHOLZ 31.08.2010, 18:59

NAUMBURG/MZ. - Der Kochlehrling wird dafür zu acht Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Zudem muss er ein Jahr lang monatlich 30 Euro an die Gedenkstätte Buchenwald zahlen. Tsipi Lev, wie ihr Sohn in Israel geboren und seit acht Jahren in Laucha zu Hause, wäre es lieber gewesen, der Angeklagte hätte Arbeitsstunden in der thüringischen KZ-Gedenkstätte leisten müssen: "Damit er versteht, was damals passiert ist."

P., bereits wegen Körperverletzung vorbestraft, wird von Zeugen im Prozess als "rechts" beschrieben, so soll er auf seinem Mobiltelefon ein Hakenkreuz haben. Er selbst äußert sich nicht zu seiner politischen Einstellung. In seiner Vernehmung räumt er zwar ein, den 17-jährigen Schüler geschlagen und getreten zu haben. Er will ihn aber nicht "Judenschwein", sondern "Drogenschwein" genannt haben. Weil, so der 20-Jährige, Aaron seiner Cousine schon einmal Drogen angeboten habe. Als er den Jungen am Abend des 16. April an der Bushaltestelle am Lauchaer Bahnhof gesehen habe, sei er "ausgeflippt": "Da habe ich ihm eine verpasst."

Das Opfer als Dealer - diese Geschichte ist in Laucha seit Wochen zu hören. In die Welt gesetzt von dem Umfeld von P., da ist Aarons Familie sicher. Dass auch die Staatsanwaltschaft nicht an diese Version glaubt, das liegt wohl auch an Mario Träbert. Der 29-Jährige fährt am 16. April zufällig mit dem Auto am Bahnhof vorbei und bringt Aaron in Sicherheit. "Er hat am ganzen Körper gezittert", schildert Träbert. Er tritt am Dienstag als Zeuge auf im Prozess, den zahlreiche Journalisten verfolgen, darunter auch zwei Reporter israelischer Zeitungen. Im Auto, so Träbert, habe ihm der 17-Jährige wenig später von der grundlosen Attacke und der Diffamierung als "Judenschwein" erzählt.

Es sei nicht vorstellbar, sagt Staatsanwältin Gudrun Anacker, dass der Schüler sich das ausgedacht habe, zumal in seiner Verfassung kurz nach dem Überfall. Die Wortwahl zeige eine "menschenverachtende Einstellung", P. habe damit gegen den sittlichen Umgang verstoßen. Und er habe, so die Staatsanwältin, sein Opfer zielgerichtet attackiert. Anacker beruft sich dabei auch auf eine Gutachterin. Derzufolge war P. zum Tatzeitpunkt in seiner Steuerungsfähigkeit nicht eingeschränkt - trotz deutlich mehr als zwei Promille Alkohol im Blut. Der Verteidiger des 20-Jährigen, Thomas Jauch, will in dem Überfall dagegen nur "eine jugendtypische Verfehlung" erkennen und beantragt eine Jugendstrafe auf Bewährung.

Das Gericht folgt beim Strafmaß der Staatsanwaltschaft. Es kommt aber zu dem Schluss, P. habe später auch "Drogenschwein" gerufen, was das Opfer aber möglicherweise nicht gehört habe - quasi eine doppelte Beleidigung. Richterin Martina Zufall beruft sich auf Angaben einer Zeugin. Die Frau hat bereits bei der Polizei entsprechend ausgesagt. Aarons Eltern haben deshalb eine Unterlassungs- und eine Verleumdungsklage gegen sie angestrengt. "Ich will das aus der Welt haben", sagt seine Mutter, "mein Sohn hat nichts zu tun mit Drogen."