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Der Bertl kann's nicht lassen

Von Henrik Klemm 19.12.2005, 17:14

Dessau/Roßlau/MZ. - Immer stand er jedoch sicher in der Abwehr, war der Mann vor Wolfgang Klank, vor Gerhard Rößchen, Gottfried Klaffs, Lothar Kujak oder Klaus Jahnel. Die Torhüter wussten das zu schätzen.

In Rodleben zu Hause

Am Dienstag wird Bertl - wie ihn seine Freunde nennen - 70 Jahre alt. In Rodleben wohnt er und steht ein paar Kilometer weiter noch immer auf dem Rasen. Es sind die Alten Herren von Germania Roßlau, deren Reihen er wohl so lange verstärken wird, bis er es geschafft hat und der älteste aktive Fußballer Sachsen-Anhalts ist. Kenner der Szene wissen, das ist nicht mehr so fern. Seine Karriere beginnt indes 1949 im Schillerpark. Schon 1953, noch nicht mal 18 Jahre alt, hat er einen Kurzeinsatz und wird gegen Turbine Halle für Anton Schröter eingewechselt. Das ist Oberliga. Das ist die höchste Spielklasse im Fußball der DDR.

Dann folgen Jahre in der Reserve, bis Böhme 1955 den Durchbruch schafft und zum Stammspieler der ersten Mannschaft von Motor Dessau - die inzwischen in der DDR-Liga spielt - aufsteigt. "Ein ruhiger Typ, der immer zu seinem Wort steht", sagt Mannschaftskamerad Günter Stiller. Und auf dem Platz? "Resolut in den Zweikämpfen und zuverlässig." Er hilft dem Team, bis 1957 die Klasse zu halten. Am Ende steht jedoch ein Abstieg. Nun spielt Motor Dessau in der 2. DDR-Liga und will sofort wieder nach oben. Doch Böhme ist nicht mehr dabei. Gemeinsam mit Horst Hoffmann hat er sich Lok Leipzig angeschlossen. Die Oberliga ruft, da können sie nicht widerstehen. "Die Fußballwoche" schreibt am 11. Februar 1958: "In einem Solidaritätsspiel für den Wiederaufbau des niedergebrannten Sportlerheimes von Lok Engelsdorf stellte sich der SC Lok bereits am Sonnabend dem Aufsteiger zur 2. DDR-Liga, Lok Ost Leipzig. Für Trainer Alfred Kunze eine weitere Gelegenheit, alles vorhandene Spielermaterial auszuprobieren. Dabei setzte er erstmals auch die von Motor Dessau gekommenen Böhme und Hoffmann ein." Die Konkurrenz ist bei den Messestädtern riesig. Böhme kommt zu Einsätzen im Oberligakollektiv, spielt jedoch hauptsächlich in der Reserve.

Im Juni 1959 geht er wieder zurück nach Dessau, zurück in seine Heimatstadt. Hier wird er bald zu einer unverzichtbaren Größe im Mannschaftsgefüge. 1960 ist es dann soweit, Motor Dessau schafft mit einer verschworenen Truppe und Mannschaftskapitän Böhme an der Spitze den Aufstieg in die 1. DDR-Liga. Dem sofortigen Wiederabstieg lassen die Kicker aus dem Schillerpark erneut einen Aufstieg folgen. Werner Welzel arbeitet nun als Trainer und schreibt 1965 über seinen Mittelverteidiger Böhme: "In vielen Wettkämpfen ist er der Motor der Mannschaft, der seine Mitspieler durch aufmunternde Worte immer wieder zum Kämpfen anfeuert. Aufgrund seiner Routine und seiner kräftigen Konstitution ist er schwer zu umspielen, was viele Gegenspieler schon zu spüren bekamen."

Schwere Verletzung

Dann kommt der 16. April 1967. Motor Dessau tritt gegen den 1. FC Magdeburg an. Bereits in der fünften Minute verletzt sich Böhme nach einem Zusammenprall mit Motor-Torwart Kujak so schwer, dass er ins Krankenhaus eingeliefert werden muss. Diagnose: Bänderriss. Dessaus Trainer Heinz Rappior sagt nach der 0:4-Niederlage: "Ein verdienter Sieg des Klubs. Die Frage bleibt offen, wie wäre es mit Böhme gelaufen?"

Egal wie, Böhme verabschiedet sich aus der ersten Mannschaft und geht später als Spielertrainer zur BSG Chemie Rodleben.

1976 folgt er dem Ruf von Motor Roßlau und schafft dort als Trainer in der Saison 1978 / 79 den Aufstieg in die Bezirksliga. Joachim Schaffer hat diese Zeit als Spieler miterlebt. "Jürgen Böhme ist uns immer ein Vorbild gewesen. Korrekt, anständig und mit einem soliden Lebenswandel. Außerdem hat er einen Blick für Talente gehabt und konnte mit denen umgehen", erinnert er sich.

Nun, nach Talenten hält Hans-Jürgen Böhme heute wohl nicht mehr Ausschau. Doch dem aktiven Fußball ist er treu geblieben. Und so bitter es auch für die Gegner der Alten Herren von Germania Roßlau ist: Auch heute noch lässt sich Bertl - trotz seiner 70 Jahre - schwer umspielen. Das sollten sie nicht vergessen.