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Der alte Mann und das «Meer»

Von Dirk Skrzypczak 03.04.2006, 19:39

Wörlitz/MZ. - "Die Versorgung mit warmen Getränken klappt noch nicht so gut", murmelt Söckel, dann stapfen die Griesener weiter.

In vier Bereiche hat der Katastrophenstab der Verwaltungsgemeinschaft Wörlitzer Winkel die Dammlinie zwischen dem ehemaligen Kraftwerk Vockerode und dem so genannten Taubenhaus eingeteilt. 24 Mann aus der Wasserwehr - alles ehrenamtliche Bürger, zumeist aber Rentner, Arbeitslose und Ein-Euro-Jober - kontrollieren im Dreischichtsystem rund um die Uhr die Hochwasserschutzanlagen. Vier Sickerstellen haben sie bislang entdeckt, dazu einen feinen, etwa zehn Meter langen Riss direkt auf der Deichkrone nahe dem Venustempel. Letzterer soll von Spezialisten untersucht werden. Kein Grund zur Beunruhigung, wie Lutz Planitzer betont. Der stellvertretende Verwaltungsamtsleiter hatte im rund um die Uhr besetzten Katastrophenstab Nachtdienst. Nach 16 Stunden fühle er sich "ausgelaugt" und sehne sich nach seinem Bett.

"Wir nehmen die Situation sehr ernst", sagt Planitzer und macht keinen Hehl daraus, dass er - wenn schon, denn schon - die Hochwasserwarnstufe IV statt der III bevorzugen würde. Dann könnte der Landkreis Katastrophenalarm auslösen, und der Staat würde für alle Kosten aufkommen.

Tief sind die Sorgenfalten in Bezug auf zwei historische Bauwerke, die direkt im Wall stehen. Da ist zum einen der Pantheon-Tempel - der, eingehüllt wie ein Kunstwerk von Christo, aufwendig rekonstruiert wird. Planitzer spricht angesichts der Arbeiten im Fundamentbereich von einer "nicht kalkulierbaren Gefahrenquelle". Ähnlich sei die Situation beim Monument. Bei der Sanierung wurden Kellerräume freigelegt. Deren Fenster befinden sich 1,5 Meter unterhalb der Deichkrone. "Ich weiß nicht, wie es sich auf die Stabilität auswirkt, wenn das Wasser in den Keller läuft", hebt Planitzer fragend die Hände.

Der Zwist beim Hochwasserschutz zwischen Wörlitz und der Gartenreich-Kulturstiftung bleibt dem Landesbetrieb für Hochwasserschutz nicht verborgen. "Langfristig garantiert nur ein durchgängiges Schutzniveau die bestmögliche Sicherheit", bemerkt Flussbereichsleiter Frank Beisitzer. Noch sträube sich aber die Kulturstiftung gegen einen grundhaften Ausbau des Walles. "Wir suchen nach Möglichkeiten, alle Interessen unter einen Hut zu bringen", versichert Beisitzer. Schließlich könne die Höhendifferenz von etwa 60 Zentimetern zwischen den sanierten Deichen und dem Damm am Park nicht dauerhaft so bleiben.

Im Wörlitzer Katastrophenstab sieht man es nicht anders. Dass die Arbeit der Einsatzzentrale bislang weitestgehend reibungslos funktioniert, liegt unter anderem an Peter Daniel. Der pensionierte Lehrer, seit über 40 Jahren im Zivilschutz engagiert, hat nach der Jahrhundertflut 2002 den "Plan der Hauptmaßnahmen" für Wörlitz entwickelt. Drei Jahre lang tüftelte Daniel an der optimalen Organisationsstruktur. "Im Notfall muss jeder wissen, was zu tun ist", erklärt er und referiert anschließend lieber über das richtige Ablesen des Pegelstandes. "Andere träumen von schönen Frauen, er von Wasserhöhen", scherzen Mitstreiter.

Jeden Tag schaut Helga Karohl zum Wall. Die Elbwiesen sind eine bizarre Seenlandschaft mit Stromschnellen, Bibern und Nutrias. "Das Hochwasser ist keine Katastrophe, es ist ein Stück Heimatgefühl. Wir leben nun einmal an der Elbe", bleibt Frau Karohl gelassen. Neben den mit Bohlen verschlossenen Durchlässen an den Deichen dampfen Misthaufen. Der Dung kommt bei Bedarf zum Abdichten in den Hohlraum zwischen den Brettern. Der richtige Mix aus Kuh- und Pferdemist sei das beste Dichtmittel, behauptet ein Landwirt.

Wolfgang Sumpf und Karsten Zott von der Wasserschutzpolizei Dessau kümmern sich unterdessen um neugierige "Deichläufer". Freundlich weisen die Polizeiobermeister Passanten darauf hin, die Wälle aus Sicherheitsgründen nicht zu betreten. Der Katastrophentourismus hält sich an diesem Montagmorgen in Wörlitz freilich in Grenzen. "Am Kornhaus in Dessau", berichtet Sumpf vom krassen Gegenteil, "gab es am Sonntag keinen freien Parkplatz mehr."