1. MZ.de
  2. >
  3. Varia
  4. >
  5. Aktivuralub: Aktivuralub: Ruheinseln in der Natur

Aktivuralub Aktivuralub: Ruheinseln in der Natur

Von DAGMAR KRAPPE 05.08.2010, 17:25

Halle/MZ. - Sind Sie die Glöcknerin?" fragt einer aus der Wandergruppe, die gerade vor der Judas-Thaddäus-Kapelle bei Schonach rastet. Anneliese Kienzler muss über die Frage schmunzeln, antwortet dann aber freundlich: "Ja, die bin ich." Jeden Tag um elf Uhr kommt die Bäuerin vom nahe gelegenen Gemeindehof hierher. Sie betritt die kleine Kapelle und zieht rhythmisch am Seil mit der Glocke. Weit schallt ihr Klang dann über die Schwarzwälder Wilhelmshöhe.

"Früher galt das Läuten um elf Uhr den Frauen auf den Feldern als Signal. Dass es Zeit war nach Hause zu gehen, um das Mittagessen zuzubereiten", erzählt "Glöcknerin" Kienzler den Rastenden. "Damals wurde auch noch um sechs Uhr zur Weckzeit geläutet. Das machen wir heute nicht mehr. Aber um 19 Uhr ist das Angelus-Läuten nach wie vor ein tägliches Ritual."

Seit 100 Jahren ist das Owerdalkäppili, wie es die Einheimischen auch nennen, im Besitz der Familie Kienzler. Erbaut wurde die Kapelle bereits um 1885. Der geschnitzte Holzaltar ist eine Miniaturnachbildung des Barockaltars der Wallfahrtskirche "Maria in der Tanne" in Triberg.

Etwa 30 solcher, teils Jahrhunderte alter Kapellen gibt es rund um die Schwarzwald-Orte Triberg, Schonach, Schönwald, Furtwangen und St. Georgen. Seit 2008 sind sie zu einem rund 90 Kilometer langen Wanderweg zusammengefasst, der sich über fünf Tagesetappen erstreckt. Jedes Teilstück ist aber auch als Einzelwanderung möglich und bietet sich nicht nur zum derzeit stattfindenden 110. Deutschen Wandertag im Schwarzwald als stille Tour an. Schwierigkeitsgrad und zu überwindende Höhenmeter auf dem Kapellenweg variieren je nach Strecke.

Die Kapellen finden sich stets in der Nähe eines Bauernhauses oder direkt auf dessen Hof. "Jede Kapelle hat ihre Geschichte. Manchmal rankt sich auch eine Sage um das Gebäude", weiß Wander- und Naturführerin Ingrid Schyle: "Bei manchen Kapellen ist die Herkunft verschleiert, bei anderen war es ein besonderes Ereignis, das zu ihrem Bau führte."

Die jüngste der Kapellen ist die St. Paulus-Kapelle. Mitte der 1990er Jahre hatten zwei Bürger aus St. Georgen plötzlich den Wunsch eine Kapelle zu bauen, um jedem Menschen die Möglichkeit zu geben, von der Hektik des Alltags auszuruhen und über sein Leben nachzudenken. "Die Kapellen sind auch Ruheinseln für Wanderer. Hier gibt es keinen Massentourismus wie auf manchen Abschnitten des Jakobswegs", meint Ingrid Schyle.

In einigen Kapellen findet nur eine Hand voll Menschen Platz, andere haben Sitzbänke für 40 Personen. Alle Gotteshäuser sind in gepflegtem Zustand und stets mit frischen Blumen geschmückt. Hin und wieder finden hier Taufen oder Hochzeiten statt oder Gottesdienste. Wie in der frisch renovierten, über 320 Jahre alten Hohnenkapelle von Wilfried Dold. Das schmucke weiße Gebäude nahe Triberg thront auf einer Wiese. Gegenüber liegt das stattliche Bauernhaus, das noch ein paar Jahre älter ist als das Kirchlein. Noch zwei weitere Kapellen entdeckt man auf diesem Rundwanderweg: die Kreuzbauernhof- und die Hofbauer-Kapelle.

Wer Näheres über die Entstehung der Gotteshäuser erfahren möchte, kann bei den Besitzern klingeln. Sie geben gerne Auskunft. "Früher kamen direkt an unserem Hof Prozessionen vorbei", erzählt Rudolf Klausmann, Eigentümer der Hofbauer-Kapelle: "Zu diesen Anlässen wurde im Freien ein Altar aufgebaut. Leider regnete es häufig. Das gefiel meiner Großmutter auf Dauer nicht. Sie hatte den Wunsch, eine eigene Kapelle zu besitzen." Und so ließ ihr Mann 1954 die kleine Kirche zwischen Hofplatz und Gemüsegarten errichten.

Wer von Schönwald nach Furtwangen oder entgegengesetzt wandert, hat die Möglichkeit, auf zwei verschiedenen Wegen zehn Kapellen zu besichtigen. Von weitem leuchtet die Piuskapelle auf dem Katzenbuckel. Sie ist die Erfüllung eines Gelübdes Furtwangener Bürger, zu Ehren der Mutter Gottes eine Kapelle zu errichten, wenn ihre Stadt den Zweiten Weltkrieg gut übersteht. Nach einem beschwerlichen Aufstieg erreicht man nahe der Martinskapelle den Donauursprung. Einer der beiden Hauptquellflüsse der Donau, die Breg, entspringt in der Nähe des Kolmenhofes in 1 078 Metern Höhe. Von hier sind es genau 2 888 Kilometer, bis zur Mündung der Donau ins Schwarze Meer, wie auf der Gedenktafel zu lesen ist.

Eine Besonderheit ist die von hohen Tannen umgebene Hubertus-Kapelle. "Der zugehörige Untergutenhof brannte Ende des 19. Jahrhunderts ab", weiß Ingrid Schyle: "Irgendwann war die Kapelle vom Verfall bedroht, bis der Heimatverein Schönwald sie in vielen Arbeitsstunden restaurierte." Statt Marienfiguren und Kreuzwegstationen, die die Wände der meisten Kapellen schmücken, hängen links und rechts vom schlichten Altar zwei Ölgemälde. Sie zeigen den Heiligen St. Wendelin als Beschützer von Hof und Haustieren und St. Hubertus, den Schutzpatron der Jäger. Und da die Kapelle versteckt am Waldrand liegt, kann ein vorbei kommender Wanderer auch schon selbst mal das Glockenläuten üben.