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Verfehlte Ziele Wie RB Leipzig seine Nachwuchs-Strategie verändert

Von Ullrich Kroemer 24.03.2017, 17:00
 Achim Beierlorzer gibt während eines Spiels Anweisungen.
 Achim Beierlorzer gibt während eines Spiels Anweisungen. dpa

Leipzig - Wenn die deutsche Fußball-Nationalmannschaft an diesem Sonntag in Baku auf Aserbaidschan trifft (18 Uhr), wird bei den Gegner ein Talent im Aufgebot stehen, dass bei RB Leipzig nur allzu gut bekannt ist: Renat Dadashov. Der athletisch und technisch hoch veranlagte 17-Jährige war noch vor einem Jahr der hoffnungsvollste Nachwuchsspieler bei RB Leipzig.

In einer TV-Dokumentation verkündete er gar, der beste Spieler der Welt werden zu wollen. Gemeinsam mit seinen Kollegen Vitaly Janelt und Idrissa Touré trainierte Dadashov hin- und wieder beim Bundesligateam mit, träumte von einer Karriere in der deutschen Nationalelf und 1. Liga. Doch daraus wurde vorerst nichts, das Märchen war für das Trio bereits beendet, noch bevor es richtig angefangen hatte.

RB Leipzig aktuell: Renat Dadashov, Idrissa Touré und Vitali Janelt enttäuschend

Touré und Janelt absolvierten Ende September ihre letzten Pflichtspiele für RB und mussten danach wegen disziplinarischer Vergehen mehr Stunden in einer Kindertagesstätte absolvieren als auf dem Trainingsplatz. Dadashovs Karriere in Leipzig war nach der 1:4-Niederlage des U19-Teams gegen Holstein Kiel im November beendet – ebenfalls wegen mangelnder Einstellung.

Im Januar zog Rasenballsport dann die Reißleine, sortierte das talentierte Trio mit einem Schlag komplett aus und verscherbelte die einstigen Hoffnungsträger nach Bochum (Janelt, Leihe mit Kaufoption), Frankfurt (Dadashov) und zu Schalkes Amateuren (Touré). 

Ralf Rangnick: „Stärker in das Segment der Hochbegabten”

Dass sich RB Leipzig von den begabtesten Spieler der Akademie trennte, ist Ausdruck eines generellen Umdenkens in der Nachwuchsarbeit. Ein Neustart, mit dem auch die Abmeldung der zweiten Mannschaft zur kommenden Saison zusammenhängt. „Wir wollen noch stärker in das Segment der Hochbegabten reingehen und die noch früher zu uns holen”, hatte Sportdirektor Ralf Rangnick begründet.

Sprich: Rasenballsport will die begehrtesten 15- bis 16-Jährigen in Europa verpflichten und dafür auch mehr Geld investieren. So, wie das Rangnick mit der Verpflichtung von Dayot Upamecano für Red Bull Salzburg und schließlich RB Leipzig glückte.

Zwar sind in Dominik Franke und Kamil Wojtkowski – zwei von aktuell 13 Nachwuchsnationalspielern bei RB – aktuell wieder zwei neue Hoffnungsträger regelmäßig im Training der ersten Mannschaft dabei. „Aber wir wollen viel mehr Talente, die enger an den Profis dran sind, die noch mehr Leistungsvermögen haben. Dazu bedarf es auch einer veränderten Kaderplanung für das nächste Jahr”, sagt Achim Beierlorzer im Gespräch mit der MZ und präzisiert: „Wir wollen nicht viele Spieler, sondern auf höchstem Level die absoluten Toptalente zu uns holen.”

Nachwuchs-Sportdirektor Beierlorzer redet Klartext: „Selbstzufriedenheit bei Spielern”

Der 49-Jährige war in der vergangenen Saison noch Co-Trainer der ersten Mannschaft und ist seit Sommer Sportlicher Leiter der leistungsorientieren Teams von U15 bis U19; zudem Trainer der U19 in der A-Junioren-Bundesliga. Der 1,90 Meter lange Ausbilder – Typ freundlicher, aber gestrenger Sportlehrer – sagt zum Abschneiden des Nachwuchses in dieser Saison diplomatisch: „Wir hätten uns rein tabellarisch, in den Duellen mit den direkten Konkurrenten, aber auch in der Entwicklung einiger Talente, ein wenig mehr erhofft.”

Denn die Nachwuchsabteilung liegt nicht nur hinsichtlich der Durchlässigkeit zur ersten Mannschaft hinter den hohen Erwartungen zurück, sondern auch bei den Zielen in den Nachwuchs-Bundesligen, wo sich kein Team für die Teilnahme an den Deutschen Meisterschaften qualifizieren wird. „Wir wollen möglichst jedes Jahr um die Deutsche Meisterschaft mitspielen, wollten viel näher in Schlagdistanz zu den jeweiligen Tabellenführern sein”, sagt Beierlorzer.

Nach dem ersten Profivertrag gingen Leidenschaft und Mentalität verloren

Dafür haben sie bei RB intern vor allem zwei Gründe ausgemacht und daraus ihre Schlüsse gezogen. Zum einen sei die Entwicklung der hoffnungsvollsten Spieler nicht nur stagniert, sie war sogar rückläufig. Von Touré & Co. hatten sich die Trainer erhofft, dass sie zu Leistungsträgern in U19 und U23 werden. „Stattdessen mussten wir ganz viel im pädagogischen Bereich arbeiten”, sagt Beierlorzer.

„Durch die Selbstzufriedenheit, die bei einigen Spielern durch ihren ersten Profivertrag eingetreten ist, gingen wohl Leidenschaft und Mentalität für den Fußball verloren. Dabei müsste der erste Vertrag doch das Startsignal für eine Profikarriere sein.”

Doch gab es wirklich keine andere Option, als die jungen Kicker als Strafe für disziplinarische Verfehlungen zu wochenlanger Sozialarbeit zu verdonnern, was öffentlich als überzogen wahrgenommen wurde, und sich dann endgültig von ihnen zu trennen? Hat es die Leistungsgesellschaft RB Leipzig mit dem Drill übertrieben und die Talente so noch mehr ins Abseits befördert? 

Trennung von Touré, Janelt und Dadashov: „Zeichen für die anderen Talente”

„Es gab keine Alternative für uns. Wir können in unserer Akademie keine Dinge zulassen, für die auch Eltern ihre Kinder zuhause ermahnen und maßregeln würden. Da haben wir kaum Spielraum”, erklärt Beierlorzer. Und: „Wir haben alles versucht, wir wollten die Spieler nicht verlieren.” Doch trotz intensiver persönlicher Betreuung hätten die Problemkicker auch ihre letzte Chance, sich wieder in das Teamtraining zu integrieren, verstreichen lassen.

Schon 14 Tage nachdem sie nach der Strafarbeit wieder im Training waren, sei laut Beierlorzer zu spüren gewesen, „dass bei ihnen keinerlei Umdenken eingesetzt hat”. Er sagt: „Wenn neben den Verhaltensauffälligkeiten auch die Leistung nicht mehr stimmt, brauchen diese Spieler einen Neustart.” Und RBL brauche den Reset „als Zeichen an die anderen Talente, wohin unser Weg gehen muss”. Irgendwo auf diesem Weg müssen sich die betreffenden Nachwuchsspieler und der Klub verloren haben, um das Ziel gemeinsam zu erreichen.

„Keiner darf sich über die Ziele der Mannschaft stellen”

Als Konsequenz aus der für beide Seiten bitteren Erfahrung wollen die Leipziger künftig noch detaillierter hinschauen, ob die Teenager den hehren Anforderungen der Leipziger Talenteschmiede gewachsen sind: „Wir müssen noch viel genauer auf Persönlichkeiten und Mentalitäten der Talente achten, die wir zu uns holen wollen, als wir es ohnehin schon getan haben”, sagt Beierlorzer. „Wir müssen die Spieler zu uns holen, die zu uns passen und die wissen, was sie erwartet.”

Neue Nachwuchsspieler bei RB-Leipzg: Diese Typen werden gesucht

Deswegen sei der Klub in Gesprächen mit potenziellen Zugängen noch viel direkter geworden, „weil wir gar keinen Spieler mehr hier haben wollen, der nicht genau weiß, was es bedeutet, bei RB Leipzig zu spielen”, sagt der Nachwuchs-Sportdirektor. Gesucht würden Typen, die zwar ihren eigenen Kopf haben dürfen, sich aber unterzuordnen wissen.

„Der Erfolg in unserem Verein geht vornehmlich über das gesamte Team. Jeder, der in dieser Mannschaft integriert ist und ihr sportlich alles unterordnet, kann mit dem Teamerfolg auch seinen persönlichen Erfolg haben. Keiner darf sich über die Ziele der Mannschaft stellen.”

Die perfekten Vorbilder dafür habe RB mit Akteuren wie Timo Werner, Marcel Sabitzer & Co. schließlich im eigenen Klub, sagt Beierlorzer. Um die jungen Athleten noch intensiver zu betreuen, soll künftig jedes Nachwuchsteam neben einem eigenen Athletiktrainer auch einen Teampsychologen bekommen.

RB-Spielsystem muss auch in der Jugend verfeinert werden

Den zweiten Grund, weshalb der Nachwuchs in dieser Saison die Erwartungen nicht nach Wunsch erfüllt hat, sehen die Verantwortlichen im Spielsystem. „Wir haben als Problem definiert, dass wir uns gerade gegen vermeintlich schwächere Mannschaften schwer tun, die sich hinten ’reinstellen, die uns wenig Raum zum Spielen lassen, die uns unser Umschaltspiel nicht umsetzen lassen”, sagt Beierlorzer.

Genau wie im vergangenen Jahr viele Zweitligisten haben sich auch die Nachwuchs-Bundesligisten an den Leipziger Pressing-Gegenpressing-Fußball gewöhnt. Doch ebenso wie das Bundesligateam feile auch die Jugend am Stil. „Auch unsere Nachwuchsteams spielen nicht mehr nur hoch über den Druck des Gegners drüber, sondern wir legen mehr Wert auf gezielten Spielaufbau”, sagt Beierlorzer. „Wir verändern uns im Nachwuchsbereich parallel zu unserer ersten Mannschaft ständig weiter – ein fortlaufender Prozess.”

Generell wirbt der frühere Regionalligaspieler und Einser-Absolvent der Fußballlehrer-Ausbildung des DFB auch für etwas „Zeit und Geduld, um herausragende Talente in unsere U15/U16 zu lotsen und sie drei Jahre mit unserer Spielphilosophie vertraut zu machen, sodass sie dann in der U19 direkt Kandidaten für unsere erste Mannschaft sind”. So, wie es Vitaly Janelt, Idrissa Touré und Renat Dadashov hätten werden sollen. (mz)