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Vor Mainz-05-Spiel  RB Leipzig gegen Mainz 05: Peter Gulacsi friert nicht

Von Martin Henkel 03.11.2016, 17:30

Leipzig - Es kommt jetzt richtig mies für Peter Gulacsi. Für Sonntag, wenn Mainz 05 zu RB Leipzig kommt (15.30 Uhr), ist Mischwetter angesagt: ein bisschen kalt, ein bisschen Regen, ab und zu Sonne. Für einen Fußballer, der sich bei diesen Verhältnissen draußen nicht groß bewegt, sind solche Aussichten kein Spaß. Man könnte eine Uhr danach stellen, mit welcher Sicherheit der Rumsteher sich erkälten wird. Aber was soll Gulacsi machen? Es läuft nun mal, wie es läuft. Und wenn sich daran nicht bald etwas ändert, dann muss der Schlussmann der Leipziger da jetzt durch.

Gegner weit weg vom RB-Tor

RB ist seit neun Spieltagen deutscher Fußball-Erstligist und hat es in dieser Zeit geschafft, die Gegner derart weit vom eigenen Tor wegzuhalten, dass Gulacsi so gut wie nichts zu tun hatte in den 810 Minuten, die er zwischen den Pfosten stand. Er musste sich laut „kicker“ lediglich mit 22 wirklich gefährlichen Torchancen beschäftigen, laut der Fußball-Liga (DFL) sogar nur mit 17 - beide Werte sind Bestdaten. Bei sechs dieser Chancen war er machtlos, nur Manuel Neuer vom FC Bayern hat ein Tor weniger kassiert, was in Teilen den Umstand erhellt, warum der Neuling immer noch ohne Niederlage ist. Und auf Platz zwei steht.

Gulacsi hätte also allen Grund, den kommenden Partien mit banger Konstitution entgegen zu sehen. Aber eben: hätte. Er sagt: „Ich glaube nicht, dass ein Torwart auf dem Niveau einer 1. Liga jemals friert.“

Da sein, wenn der Ball durchrutscht

Ist also nur ein Anblick vom Stadionrang, der den Ungarn als relativ beschäftigungslosen Keeper wahrnimmt. Sagt Gulacsi. Von der Grasnarbe aus betrachtet, ist er reichlich in Bewegung. Es hält ihn warm „das Adrenalin, die Stimmung in den Stadien, und egal ob Rückpass, ein langer Ball, Pässe zu meinen Kollegen, Flanken und hohe Bälle vor meinem Tor – ich bin immer da. Es ist nicht so, dass ich den Ball länger als 15 Minuten nicht berühre.“

Für RB Leipzig sind das zu Beginn der Erkältungsphase natürlich allerbeste Nachrichten, denn Gulacsi ist das letzte Glied einer 11-köpfigen Einzelspielerkette, die so kunstvoll in der Gruppe gegenpresst wie kaum ein zweites Team. Er ist das auf keine unerhebliche Weise, obwohl das momentan kaum wahrgenommen wird, weil die meisten Gegner und Pässe gar nicht erst bis zu seinem Tor vordringen. Aber einer muss der Viererkette Ruhe im Rücken vermitteln. Einer muss ihr sagen, wo gerade Lücken beim kollektiven Verschieben entstanden sind, in die der Gegner hineinstechen könnte. Und einer muss da sein, wenn trotzdem mal ein Ball durchrutscht.

Raum für Entwicklung

Dieser Jemand ist Gulacsi, intern nur Pete genannt, geboren in Budapest, 26 Jahre alt und nach Stationen in der Heimat, beim FC Liverpool (sechs Jahre), bei Red Bull Salzburg (zwei Jahre) jetzt bei RB nah herangereift ist an das Topniveau eines modernen Torwarts. Modern wie er mittlerweile im Lehrbuch steht: auf der Linie und beim Bällepflücken natürlich ein As, dazu aber auch mit einem guten Auge ausgestattet und einem exzellenten Fuß, der es ihm erlaubt, kurz zu passen, lang zu flanken und seine Abschläge punktgenau auf einen Mitspieler zu platzieren.

Dass er vielleicht auch noch Krakenarme hat, die es ihm erlauben, die gleichen Anforderungen mit der Hand auszuführen, ist ein hübsches Accessoire. Aber nicht unbedingt vonnöten. Bei Gulacsi hat man diese Fähigkeiten bislang noch nicht zu sehen bekommen. Doch es muss ja auch noch Raum für Entwicklung sein. Und entwickeln ist bei RB ein Leitmotiv. "Ich bin jetzt da, wo ich hin wollte“, sagte Gulacsi. „Und ich bin erst 26. Dafür habe ich schon sehr viele Erfahrungen sammeln dürfen. Ich war in England, in Österreich, ich war in einer 3. Liga, in zwei 2. Ligen, jetzt in meiner zweiten 1. Liga. Ich habe international gespielt, 25 Mal mit Salzburg. Jetzt auch schon sechs Mal mit Ungarns Nationalmannschaft. Ich bin also auf einem guten Weg.“ Aber: „Das ist alles erst der Anfang. Zufrieden bin ich noch nicht, das bin ich vom Typ her auch nur sehr selten.“ Weil er nämlich ein Perfektionist ist. „Ich will noch schneller sein, noch explosiver, noch besser mit meinem Fuß. Ich bin so ein Typ, der immer mehr und mehr will. Deshalb ist RB auch der absolut richtige Verein für mich.“

Und deshalb sind selbst sechs Gegentore ein Stück weit ärgerlich. Vor allem der zweite Gegentreffer von Hoffenheim im ersten Spiel (2:2). „Ich habe den Ball noch berührt, aber ich war noch nicht im Stehen, deshalb konnte ich ihn nicht ablenken. Aber eigentlich gilt das für alle Gegentreffer, auch die angeblich unhaltbaren – Ich denke immer drüber nach, wie ich den oder den Ball hätte halten können.“

Gelassenheit als Tugend

Anders geht es auch nicht. Gulacsi weiß zu schätzen, was er bislang erreicht hat. Immerhin hat er es nach nur einem Jahr am 35 Jahre alten Fabio Coltorti vorbeigeschafft, der zuvor die Nummer eins gewesen ist. Und Platz immer nur dann machte, wenn er verletzt war. Aber zufrieden werden darüber – niemals. Man könnte lasch werden.

Und lasch werden, bedeutet, nicht auf das Level zu gelangen, auf dem die Toptorleute moderner Prägung sich aufhalten. Der bekannteste Protagonist dieser neuen Spezies ist Manuel Neuer. Fragt man Gulacsi nach seinen Vorbildern, dann ist das aber erstaunlicherweise nicht an erster Stelle der deutsche Welttorhüter, sondern es fallen die Namen des Niederländer Edwin van der Saar, des Tschechen Petr Chech oder des Spaniers Pepe Reina, mit dem Gulacsi in Liverpool zusammen trainierte. Mit diesen Torleuten verbindet ihn eines elementar: Gelassenheit. „Das sind genau die Keeper, die Ruhe ausstrahlen“, sagt Gulacsi, „aber hellwach und blitzschnell sind. Sie halten nicht immer spektakulär, aber sie haben meistens zwei, drei wichtige Aktionen im Spiel. Und sie machen das so sauber, dass das gar nicht weiter auffällt, aber  dem Team enorm hilft.“

Als hätte Gulacsi sich selbst beschrieben. Genau deshalb passt der Ungar auch so gut in die Überlegungen seines Trainers. Nichts schätzt Hasenhüttl mehr als Unaufgeregtheit. Dem Österreicher bleibt deshalb nur zu wünschen, dass ihm die kommenden Herbst- und Winterspiele ersparen, auch noch über eine Alternative für das Tor nachdenken zu müssen. Wo er gerade daran zu tüfteln hat, den Ausfall seines ebenfalls unaufgeregten Abwehrspezialisten Bernardo zu kompensieren. Aber sein Keeper hat es ja selbst gesagt: Ein Peter Gulacsi friert nicht.  (mz)