Positiver Trend RB Leipzig: Der 0-Niederlagen-Start von RBL

Leipzig - Es ist Länderspielpause, der Herbst hat Einzug gehalten. Besser kann der Zeitpunkt gar nicht sein, um sich den ersten Jahreszeiten-Tee der Saison aufzubrühen und die vergangenen Fußballwochen Revue passieren zu lassen.
In diesen Wochen ist vieles passiert – die Bayern haben ihre ersten Carlo-Ancelotti-Momente gehabt, Werder hat seinen Trainer entlassen (Viktor Skripnik), Hamburg auch (Bruno Labadia), und RB Leipzig ist auf der Landkarte der 1. Liga erschienen.
Mit bemerkenswertem Fußball und einem beachtlichen Startrekord für Oberhaus-Debütanten. Von den ersten sechs Spielen der Vereinsgeschichte in der Topliga des deutschen Fußballs hat RB keines verloren, drei gewonnen, drei Remis gespielt, was unterm Strich Platz fünf bedeutet und die Einstellung eines 47 Jahre alten Rekords für Liga-Neulinge.
Doch das sind nur die großen Zahlen. Wie aber sehen die kleinen aus? Und was sind die Faktoren gewesen für diesen durch und durch überraschenden Start.
RB Leipzigs Ausgangslage
Weniges deutete in der Vorbereitung daraufhin, dass RB keines seiner ersten sechs Spiele verlieren würde. Der Trainer vielleicht noch.
Ralph Hasenhüttl kam als Aufstiegs- und erfolgreicher Underdog-Trainer vom FC Ingolstadt, ein Fußballlehrer erster Güte. Aber der Kader besaß bis auf wenige Ausnahmen lediglich Zweitligaerfahrung.
Und wen kaufte RB dazu? Zwei aus der österreichischen Operettenliga vom Mutterklub Salzburg, Naby Keita, Benno Schmitz. Einen aus der 2. Liga, Torhüter Marius Müller vom 1. FC Kaiserslautern.
Timo Werner von RBL: Jüngster Doppeltorschütze der Bundesliga-Geschichte
Und Timo Werner. Ein Talent unbestritten, Werner war und ist der jüngster Doppeltorschütze der Bundesliga-Geschichte. Immerhin. Aber was waren die Erfahrungen der letzten Wochen vor dem Wechsel? Der Abstieg mit dem VfB Stuttgart.
So ging es ins Trainingslager in den Chiemgau, wo nach den So-und-So-Tests die Frage aufkam, ob drei Innenverteidiger genug sind. Und ob der Kader in der Tiefe ausreichend Qualität besitzt.
Die Zweifel fuhren mit zum Pokalspiel beim Zweitligisten Dynamo Dresden. Und als RB dort nach einer 2:0-Führung im Hagel brüllender Schmähungen und eines Bullenkopfes aus dem Schlachtruf im Elfmeterschießen noch 6:7 verlor, fuhren diese Zweifel auch mit nach Sinsheim zum ersten Ligaspiel.
RB Leipzigs Lernbereitschaft
RBs zentrales Motiv ist Lernen. Oder wenn man so will: Es ist Mittel und Zweck der aktuellen Meilensteinperiode im Entwicklungsplan des ehrgeizigen Aufsteigers. Schon gegen Hoffenheim war der Bewusstseinssprung zu sehen. Zu Beginn spielte RB noch wie zum Ende in Dresden: hasenfüßig. Die TSG führte zwei Mal. Aber RB glich auch zwei Mal aus.
Das wirkte wie eine Bestätigung für die Arbeit der Vorbereitung. Die Fähigkeiten sind da, das Knowhow ist vorhanden. Es braucht nur Wille, Geist und Selbstvertrauen, um diese zum Blühen zu bringen. Und alle drei Faktoren hat Hasenhüttl im Rekordtempo in seine Spieler gepflanzt.
Es ist gut möglich, dass das der Trainer an seinem Kader am meisten schätzt. Dass seine Spieler alle bei RB sind, weil sie glauben, dass der Klub und der Coach sie besser machen kann, als sie sind.
RB Leipzigs Trainer Hasenhüttl: „Ich bin begeistert, wie schnell meine Mannschaft versteht und lernt“
Kaum einem Kader in der jüngeren Geschichte kann man deshalb Woche für Woche dabei zuschauen, wie er in jedem neuen Spiel die Erfahrungen aus denen zuvor verarbeitet und in Gewohnheiten verwandelt. Und wenn Hasenhüttls Spieler dafür nur 15 Minuten Kabinenzeit zur Verfügung haben.
So wie in der jüngsten Partie gegen Augsburg. 1:1 stand es zur Pause, aber das Remis war schmeichelhaft angesichts der teils chaotischen Zustände in den Leipziger Reihen. Hasenhüttl bot in der Halbzeit drei, vier Lösungen an, wie seine Mannschaft es besser machen könnte.
Und sie kam aus der Kabine, brachte Ordnung ins eigene Spiel, kontrollierte das Mittelfeld, schnürte den FCA ein und gewann 2:1. Danach sagte Hasenhüttl: „Ich bin begeistert, wie schnell meine Mannschaft versteht und lernt.“
RasenBallsport mit Gegenpressing und Überfallkonter
RB Leipzigs Art, Fußball zu spielen, ist mit zwei Begriffen rund umschrieben. Gegenpressing und Umschaltspiel. Das sind die Pole zwischen denen die Sachsen ihr Spiel auf den Gegner zuschneidern. Nicht, dass dieser Stil neu wäre, aktuell spielt das gleiche System auf Topniveau Atletico Madrid und der FC Liverpool unter dem König des Gegenpressing, Jürgen Klopp.
Aber RB kann das nicht minder hervorragend. Der BVB hatte damit so große Mühen, dass in 89 Minuten nur drei Torchancen heraussprangen. Dann kassierte der Champions-League-Teilnehmer nach einem Ballverlust das 0:1 zum Endstand.
Dem zweiten Champions-League-Verein, Borussia Mönchengladbach, ging es nicht minder übel. Trainer André Schubert sagte nach dem 1:1, das Gladbach erst in der 84. Minute herausschoss, man könne schon leicht entschlüsseln, wie der Gegner agiere. „Aber RB macht das so gut, dass du trotzdem kaum Chancen hast, dagegen vorzugehen.“
Trainer Ralph Hasenhüttl: „Wir haben tatsächlich wenige Schüsse auf unser Tor zugelassen“
Basis für Leipzigs Erfolg ist die Arbeit gegen den Ball. Synchon vorgetragen, würde Hasenhüttl sagen. Sie fängt im Sturm an, die zweite Abwehrreihe bilden die Mittelfeldspieler, dann kommen die Sechser und wenn der Gegner dann immer noch am Ball sein sollte, steht vor ihm die Viererkette und Torhüter Peter Gulacsi.
Aber so weit ist der Gegner nur selten vorgedrungen. 8,7 Torschüsse bekam RB pro Spiel nur aufs Tor, wobei aufs Tor auch heißt, Richtung Tor. Über die Gefahr des Balles sagt diese Zahl nichts aus.
Hinter dem Tabellenführer FC Bayern ist das der Topwert der Liga. „Wir haben tatsächlich wenige Schüsse auf unser Tor zugelassen“, sagte gestern Ralph Hasenhüttl. „Dass das der Mittelpunkt unseres Handelns ist, ist in der Mannschaft angekommen und vermittelt uns eine gewisse Sicherheit.“
RB Leipzig mit 52 Prozent gewonnenen Zweikämpfen
Das gleiche gilt auch für die Wege, die seine Mannschaft läuft, um sich in Abwehr- und Konterstellung zu bringen. 116 Kilometer ist RB durchschnittlich pro Partie gespurtet. Keine Mannschaft ackerte bis dato mehr und nur eine gleich viel: der Mitaufsteiger SC Freiburg.
Ähnlich sieht das bei der Zweikampfquote aus. Auch die ist Ligaspitze mit 52 Prozent gewonnenen Duellen um den Ball. Lediglich die Bayern und Dortmund waren mit 54 bzw. 55 Prozent besser. Die Summe dieser Pressingzahlen ergeben einen Spitzenrang in der Tabelle der Gegentore.
Leipziger Bullen mit weniger als ein Gegentreffer pro Spiel
Nach Hoffenheim hat RB keine zwei Tore mehr in einem Spiel kassiert. Gegen Köln, Gladbach und Augsburg war es jeweils nur eins, gegen den BVB und den HSV blieb Gulacsis Kasten sauber. Macht fünf in der Summe, lediglich die Bayern und Köln haben weniger Treffer bekommen, zwei und drei.
Es wird besser, aber wenn Hasenhüttl in den kommenden Monaten etwas zu tun hat, dann muss er zwar seine zwei Last-Minute-Zugänge Oliver Burke (Nottingham Forrest) und Bernardo (Salzburg) noch beibringen, wie man im Verbund verteidigt, vor allem aber hat RB im Spiel nach vorn verborgenes und noch nicht herausgearbeitetes Potenzial.
RB Leipzig mit Schwierigkeiten gegen Underdogs
Macht der Gegner das Spiel, funktioniert die Offensive teils schon hervorragend. Dann kommt vor allem der Sprinter Werner ins Spiel, der gegen Hamburg zwei Mal traf. Dann funktioniert auch der schnelle Burke. Der 19-Jährige legte Keita das 1:0 gegen den BVB auf und traf in Köln zum 1:0 (Endstand 1:1).
Aber was ist, wenn der Gegner tief steht? Wenn er wie Augsburg plötzlich als Underdog zum Neuling reist? Für diese Spiele ist RB nur in Ansätzen ausgebildet. Das zeigt sich auch in den Passquoten der ersten sechs Spiele. Bei RB landeten nur 70 Prozent beim Mitspieler, weniger waren es nur bei Mainz (68 Prozent) und Darmstadt (63).
Passquotenprimus sind zum Vergleich die Bayern mit 87 Prozent. Aber Ralph Hasenhüttl ist mit dem Stand der Entwicklung trotzdem zufrieden. „Wir haben gegen Augsburg schon gezeigt, dass wir nicht nur viel laufen können.“ Lediglich die zwei verschenkten Vorsprünge gegen Gladbach und Köln wurmen ihn. „Wir müssen lernen, mit Vorsprüngen umzugehen.“
RB-Leipzig-Spieler im Check
Zwei Eigenschaften bestimmen die weichen Faktoren bei RB. Es sind die Moderationskünste und die Verwegenheit des Trainers. Es ist kein leichtes Unterfangen, seine Spieler bei Laune zu halten. Denn alle wollen spielen.
Die einen, weil sie am Aufstieg beteiligt waren und endlich 1. Liga spielen wollen. Andere, weil sie viel Geld gekostet haben. Und manche Zugänge sind mit Sicherheit an den Cottaweg gelotst worden, weil ihnen ein Stammplatz in Aussicht gestellt wurde.
Aber Hasenhüttl hat es geschafft, alle davon zu überzeugen, dass jeder zum Zug kommen wird. Und dass jeder zu jedem Zeitpunt einer Partie wichtig ist. Burke etwa, wenn er verstanden hat, wie man synchron verteidigt. Er spielte bislang erst einmal von Beginn an.
Emil Forsberg, dass seine Künste gegen den einen Gegner vom Anstoß weg und gegen andere erst später gefragt sind. Der Schwede war gegen den HSV Mann des Spiels und saß dann gegen Gladbach auf der Bank.
RBL-Kapitän Dominik Kaiser: „Das ist für alle okay, wir spielen hier füreinander“
Der teure Zweitliga-Zugang Davie Selke, dass er seine Chance bekommt, so wie gegen Hamburg, er schoss das 4:0. Werner, dass zwei Tore gegen den HSV nicht bedeuten, ab sofort gesetzt zu sein. Er spielte auch gegen Gladbach von Beginn an, traf zum 1:0 und musste gegen Köln mit Selke die Rollen tauschen.
Kapitän Dominik Kaiser, der ebenfalls schon drei Mal zwischen den Reservisten Platz nehmen musste, sagte nach dem Augsburgspiel: „Das ist für alle okay, wir spielen hier füreinander.“
Die zweite Eigenschaft ist Hasenhüttls Mut, und selbst wer nicht in der Startelf steht, weiß, dass er trotzdem wichtig ist. Der Österreicher spielte nämlich bislang jede Partie auf Sieg und wechselte manchen Spieler gerade erst spät ein, wenn der Gegner vom Gegenpressen bereits lasch geworden war.
Wann reißt die RB-Leipzig-Serie?
Nichts in dieser Welt ist von Dauer. Das gilt auch für RBs Serie. Sie wird irgendwann reißen. Aber vielleicht wartet Trainer Hasenhüttl vielleicht ja auch darauf, denn diese Erfahrung fehlt seinen Spielern noch: zu verlieren und trotzdem selbstbewusst zu bleiben.
Ob sie das können, wird sich erst noch zeigen müssen. Trotzdem aber kann RB sein Saisonziel neu festlegen. Vor der Saison hieß es, wir wollen mit dem Abstiegskampf nichts zu tun haben. Jetzt wird sich zeigen, wie schnell RB lernt, ein Spiel auch nach vorn zu dominieren. Sollten die Spieler auch das im Rekordtempo lernen, dann ist es keine Überheblichkeit zu sagen, die internationalen Plätze wären ein lohnendes Ziel. (mz)