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Nationalmannschaft Lukas Podolski verabschiedet sich bei seinem Abschiedsspiel für die Nationalmannschaft als Kapitän

Von Christian Löer 22.03.2017, 09:24
Es wird herzlich: Joachim Löw drückt Lukas Podolski.
Es wird herzlich: Joachim Löw drückt Lukas Podolski. Getty Images

Dortmund - Die Deutsche Presse-Agentur (DPA) hat neulich eine interessante Grafik gesendet. Datenjournalismus ist sehr in Mode, es geht dabei um die Kunst, riesige Zahlenmengen irgendwie fassbar darzustellen. Derlei Grafiken sind extrem hilfreich, wenn es um die Entwicklung der Weltbevölkerung geht oder den Wasserverbrauch in der Halbzeitpause des Super Bowl. In der vorliegenden DPA-Grafik ging es allerdings um andere gewaltige Zahlen: um Lukas Podolskis Länderspiele.

Niemand konnte sich ausmalen, wohin diese Karriere führen würde

130 werden es am Mittwochabend geworden sein. Das sind 20 weniger als Lothar Matthäus, sieben weniger als Miroslav Klose, dafür aber mehr als alle Menschen auf der Welt außer Matthäus und Klose. Das geht allerdings aus besagter Grafik nicht hervor. Dafür aber die Verteilung der Länderspiele auf die vergangenen 13 Jahre. Beginnend mit einer kleinen Säule für acht Einsätze und zwei Tore im Jahr 2004. Und einem Höhepunkt im Märchensommer 2006, als Podolski in 17 Länderspielen zwölf Tore erzielte. Podolski wurde damals zum besten Spieler der WM unter 23 Jahren gewählt. 21 war er damals, und niemand konnte sich ausmalen, wohin diese Karriere führen sollte.

Knapp elf Jahre später wird nun alles zum Ende kommen, und zwar zu einem guten. Podolski wird die DFB-Auswahl als Kapitän auf den Platz führen, Joachim Löw bestätigte das am Dienstagmittag in Dortmund beinahe beiläufig. „Sensationell!“, erwiderte Podolski, „da kann ich nur Danke sagen. Mehr geht nicht.“

Der Bundestrainer nannte Podolski „einen der größten Fußballer, die Deutschland je hervorgebracht hat“. Es sei ein trauriger Moment für ihn, gestand Löw, denn „den Lukas wird niemand ersetzen können. Er ist ein Unikat – sportlich wie menschlich.“

„Ihm sind überall die Herzen zugeflogen“

Was im Sommer 2006, dem dritten Jahr seiner internationalen Karriere, niemand wissen konnte: Es sollte Podolskis bestes Länderspieljahr bleiben. Im EM-Jahr 2008 kam er noch einmal an seine Bestwerte heran. Doch während die DFB-Auswahl immer besser wurde, schwand Podolskis Einfluss auf den Erfolg. 2010 schoss er noch einmal fünf Tore für Deutschland. In fünf der folgenden sechs Jahre traf er jeweils nur einmal. Im EM-Sommer 2016 gar nicht mehr. Und für 2017 bleibt ihm nur noch eine Chance.

Was allerdings wirklich interessant ist an diesen Zahlen: Sie spielen an den maßgeblichen Stellen keine Rolle. Nicht bei den Fans, nicht bei Podolskis Mit-Nationalspielern. Und erst recht nicht beim Bundestrainer. Für Joachim Löw war Podolskis Ausbeute der vergangenen Jahre vielleicht ein Grund, ihn kaum mehr aufzustellen. Dennoch wäre der Bundestrainer im Leben nicht darauf gekommen, Podolski nicht zu einzuladen. „Ihm sind überall die Herzen zugeflogen. Er hat eine unglaubliche Empathie“, sagt Löw.

Irgendwann in der zweiten Halbzeit wird Joachim Löw also Podolski vom Rasen des Dortmunder Westfalenstadions holen, und spätestens dann wird sich zeigen, welche Bedeutung der Weltmeister für den deutschen Fußball gehabt hat. Und umgekehrt. Die Menschen auf den Tribünen werden sich verneigen, seine Mitspieler sowieso. Auch die Engländer werden jenem Mann applaudieren, der beim FC Arsenal geliebt wurde, obwohl er auch dort keine Rekorde brach. „Wir haben Enttäuschungen erlebt und die größte Freude, die es im Fußball gibt: den Gewinn der Weltmeisterschaft“, beschrieb Löw: „Der Rahmen ist absolut angemessen.“ Angemessener Rahmen, das bedeutet in diesem Fall: Ein Spiel im größten Stadion des Landes gegen den historischen Rivalen. Der maximale Klassiker.

Podolski hat viele große Fußball-Momente erlebt

Und Lukas Podolski? Wird einen charmanten Weg aus seiner Karriere finden. Ohne Tränen wird es nicht gehen, aber was soll’s? Er hat zu viel gesehen im Fußball, um noch überfordert sein zu können. Er hat die Heim-WM gerettet und dafür gesorgt, dass die DFB-Elf aus der Ära der Rumpelfüße kam. Er hat Kanzlerinnenbesuche in der Umkleidekabine überstanden und seinem Kapitän Michael Ballack mitten im Spiel ins Gesicht geschlagen, als der ihn anpampte. Er hat viele große Momente erlebt. Welcher davon der wichtigste war, darauf wollte er sich auch am Dienstag nicht festlegen: „Das wäre unfair gegenüber den anderen Momenten“, sagte er. Am Ende sollen alle glücklich sein. Sogar die Momente.

Blöd kommen durfte man ihm tatsächlich nicht. Lukas Podolski hat sich nie kleinmachen lassen. Er kann wahnsinnig stur sein, auch empfindlich, vor allem nach Niederlagen. Aber er hat immer versucht, alles zu geben. Sein Vater hat neulich gestanden, Lukas Podolski habe einmal an einem Tag unbemerkt für drei Jugendmannschaften nacheinander gespielt – und jeweils ein Tor geschossen. Kein Wunder, dass so einer nie wirklich genug bekam vom Fußball. Vor dem WM-Halbfinale gegen Italien in Dortmund 2006 brüllte Podolski im Kabinengang: „Die haben doch Angst!“. Und obgleich Deutschland verlor, hatte er doch alles versucht, seine Mitspieler zu stärken in ihrem Glauben daran, dass es gut ausgehen würde.

Podolski selbst ist ein gutes Beispiel dafür, dass alles möglich ist. Aus einer Einzimmer-Wohnung in Bergheim bis nach ganz oben. Sieben große Turniere. Immer erreichte er mindestens das Halbfinale. Nun tritt er ab. Vor ausverkauftem Haus gegen England. Als Kapitän des Weltmeisters.

Mehr geht tatsächlich nicht.