Mit Ach und Krach ins Achtelfinale Wie gut ist Deutschland wirklich? Die Erkenntnisse der drei EM-Spiele

Herzogenaurach - Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft hat die „Todesgruppe“ F bei der EM überlebt und trifft im Achtelfinale am Dienstag (18.00/ARD und MagentaTV) in Wembley auf England. „Wir haben schwankende Leistungen gezeigt in dieser Gruppenphase“, sagte Bundestrainer Joachim Löw. Die Erkenntnisse der Vorrunde.
Das System
Auf die Diskussion über Dreier- oder Viererkette, sagte Joachim Löw mehrfach, „lasse ich mich nicht ein“. Beim begeisternden Triumph über Portugal (4:2) zahlte sich die Sturheit des Bundestrainers aus - gegen Ungarn grenzte sie an Ignoranz. „Taktische Kniffe“, sagte er, seien beim Nervenspiel nicht mehr gefragt gewesen. Auf der Zielgeraden seiner Ära muss er beweisen, dass er den Griff in die Trickkiste nicht verlernt hat.
Die Rückkehrer
Thomas Müller und Mats Hummels seien im Kreise ihrer Teamkollegen aufgetreten, „als wären sie nie weggewesen“, lobte Löw. „Radio“ Müller war sofort wieder Wort- und Anführer, vor dem Ungarn-Spiel bangte Deutschland zurecht um die „Kapsel der Nation“.
Hummels, von dauernden Patellasehnenproblemen geplagt, zeigte Licht und Schatten. Sein Eigentor gegen Frankreich (0:1) war unglücklich, gegen Ungarn sah er beim ersten Gegentreffer schlecht aus. Schneller wird er nicht mehr. Aber Auge, Kopfball- und Stellungsspiel überzeugen meist.
Fehlende defensive Stabilität
Fünf Gegentreffer in drei Spielen, das ist „in der Vielzahl bei so einem Turnier echt schwierig“, sagte Manuel Neuer. Am Kapitän lag das am wenigsten. Zu häufig passte die Tiefenstaffelung nicht. Ungarns zweiter Treffer direkt nach dem Anstoß, laut Joshua Kimmich ein „ganz billiger“, darf auf diesem Niveau nicht passieren. Dasselbe gilt für den ersten Treffer der Portugiesen nach eigener Ecke. „Das Gute“, sagte Neuer: „Wir können uns verbessern.“
Fehlende Durchschlagskraft
Sechs Tore in der „Todesgruppe“ F - das klingt ordentlich. Doch auch hier ist viel Luft nach oben. Über Standards ist der Ertrag gleich null, obwohl Löw darauf einen „Schwerpunkt“ setzen wollte. Mit Ausnahme des Portugal-Spiels, als der neue Publikumsliebling Robin Gosens wirbelte, wirkte das Angriffsspiel ideenlos, gegen Frankreich und Ungarn fehlte jede Tiefe. Leroy Sane, der die EM zu „seinem“ Turnier machen wollte, ist überhaupt kein Faktor.
Die Stimmung
Die Gitarristen Kimmich, Kevin Volland, Jonas Hofmann und Serge Gnabry spielen mit den Sängern Mats Hummels und Kevin Trapp als „Boyband“. Freie Stunden werden mit Brett- oder Kartenspielen, anderen Sportarten und gemeinsamen Fernsehabenden gefüllt.
Nicht nur Hummels hat wegen der guten Stimmung ein „deutlich besseres Gefühl“ als 2018. Dabei ist nicht immer alles eitel Sonnenschein, „man kann sich auch mal anschreien“, sagte der Dortmunder. Löw lobte die „klasse Mentalität“ seiner Elf. Die kann weit tragen.
Das Potenzial
„Wir wissen, wenn wir das abrufen, was wir können, dann sind wir stark“, betonte Löw mit Blick auf das „absolute Highlight“ gegen England. „Wenn wir aber manche Dinge nicht so umsetzen, kriegen wir Schwierigkeiten“, ergänzte er warnend. Diese Mannschaft, aber auch ihr Trainer, bleiben eine Wundertüte. (sid/mz)