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München München: Legenden um eine Affäre

Von MARIANNE QUOIRIN 08.03.2009, 18:51

MÜNCHEN/KÖLN/MZ. - Trotz wiederholter Übungen mit entsprechender Lektüre hat er sich aber am Ende als Analphabet erwiesen. Der Schweizer muss sich von heute an vor dem Münchner Landgericht wegen Betrugs in vier und wegen Erpressung in zwei Fällen verantworten.

Die 100 Journalisten aus aller Welt, die sich für das Strafverfahren akkreditiert haben, interessiert freilich nur ein einziges Opfer: Susanne Klatten, 46, Unternehmerin und angeblich reichste Frau Deutschlands. Ob sie als Zeugin geladen wird, hängt davon ab, ob der Angeklagte ein Geständnis ablegt. Die 8. Strafkammer geht offenbar davon aus, denn sie hat nur vier Verhandlungstage angesetzt.

Sgarbi, 44 Jahre alt, einschlägig vorbestraft, von Beruf Übersetzer, soll laut Anklage die BMW-Großaktionärin und Erbin der Quandt-Dynastie im September 2007 um sieben Millionen Euro betrogen und danach versucht haben, 49 Millionen Euro von der Milliardärin zu erpressen. Nach seiner Verhaftung im Januar 2008 stellte sich heraus, dass er mutmaßlich drei weitere Frauen abgezockt hatte. Zwei von ihnen lernte er wie auch Susanne Klatten im Hotel Lanserhof bei Innsbruck kennen.

Das Hotel ist ein Luxus-Spa für eine internationale Klientel, in der Top-Manager und Oligarchen wie Roman Abramovich oder TV-Stars wie Thomas Gottschalk abspecken und Stress abbauen. In diesem Wellness-Ambiente begegnet Susanne Klatten am 17. Juli 2007 Helg Sgarbi: 1,85 Meter groß, gut aussehend, sprachgewandt, aber zurückhaltend und höflich. Sie liest gerade das Buch "Der Alchimist" des Brasilianers Paulo Coelho, eine spirituelle Fabel über die Suche nach dem Glück. Er behauptet: "Mein Lieblingsbuch" - und das Spiel der Verführung beginnt.

Nach ihrer Abreise sucht Sgarbi per Telefon und SMS Kontakt zu Frau Klatten, aber sie lässt ihn abblitzen. Dann taucht er - laut Anklage - an ihrem Urlaubsort in Südfrankreich auf, am 20. August treffen sie sich in einem Münchner Hotel. Sgarbi gibt den James Bond - im geheimen Auftrag der Schweizer Regierung sei er oft in Krisenregionen unterwegs. Am nächsten Tag treffen sie sich wieder im selben Zimmer, sie ahnt nicht, dass er sie filmen lässt.

Wenige Tage später meldet sich Sgarbi mit einer Horror-Story: Er habe in den USA ein Kind bei einem Unfall schwer verletzt und brauche deshalb sieben Millionen Euro, um sich einen Prozess zu ersparen. Susanne Klatten glaubt ihm, beschafft das Geld. Am 4. Oktober fordert er sie auf, ihren Mann zu verlassen und von ihrem Geld das neue Leben zu finanzieren. Am 9. Oktober erklärt sie die Beziehung für beendet, er startet mit zwei Videoprints den großen Erpressungsversuch. Sie soll 49 Millionen Euro locker machen. Klatten aber spricht mit ihrem Mann und geht zur Polizei.

Seither ranken sich um den Fall Legenden. Wer soll da nicht alles an der Operation Gigolo beteiligt gewesen sein? Die Mafia zum Beispiel und eine religiöse Sekte, deren Anführer seine Jüngerinnen mit Sex beglückt und seine Jünger schuften lässt - auch als Callboys. Der Anwalt des mutmaßlichen Gurus Ernano Barretta bietet pikante Details und sogar Fotos für 25 000 Euro. Britische Zeitungen wollen wissen, dass Sgarbi nur ein einziges Motiv antrieb: Er wollte angeblich Rache nehmen für seinen Vater (wahlweise: Großvater), der angeblich in einem Arbeitslager der Quandts während der NS-Zeit leiden musste. Sgarbi will davon aber gar nichts wissen.