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Kandierte Früchte Kandierte Früchte: Kunstwerke zum Vernaschen

Von thomas olivier 01.06.2012, 17:55

Halle (Saale)/MZ. - Orangen und Mandeln, Erdbeeren und Kirschen, Aprikosen und Walnüsse in den wunderschönsten Farben - wie gemalt. Dazu das Markenzeichen und Spezialität der weltweit einzigen Kandier-Manufaktur: Ingwerstäbchen.

Speziell: scharfe Ingwerstäbchen

Ein Mann im weißen Kittel inspiziert die bunten Gourmet-Häppchen geradezu penibel: Hubert Hirschbil, 59 Jahre alt, seit drei Jahren der Chef. Der studierte Volkswirt gilt als Herr mit mimosenhaftem Gaumen. Doch heute ist er sehr zufrieden. Was hier bei den Confiseuren von Biffar im Weinort Deidesheim aus offenen, doppelwandigen Kupferkesseln bis zu zwölf Tagen dampft und duftet oder sich in Zuckerlösungen aalt, kann sich sehen und schmecken lassen: die türkischen Zwergorangen, spanischen Orangenscheiben und Zitronen aus Afrika. Neben Erdbeeren und Zwetschgen glänzen auch einheimische grüne Deidesheimer Mandeln und goldgelbe Feigen. "Was hier wächst, nehmen wir auch von hier", sagt Hubert Hirschbil und verweist auf die deutsche Toskana in der Pfalz, die mit 50 Sommertagen - so viele wie sonst nirgendwo zwischen Nord- und Bodensee - im Jahr punkten kann und eine solche Ernte ermöglicht.

Die Weinlagen tragen hier Namen wie "Paradiesgarten", Straßen heißen "Feigengasse" oder "Mandelweg". Im Garten Eden an der Weinstraße gedeihen Früchte, die in Deutschland sonst nichts zu suchen haben: Wärme liebende Mandel- und Maulbeerbäume, Feigensträucher, Bitterorangen. "Selbst Kiwis ernten wir", verkündet Geschäfstführer Hirschbil. Doch zurück in die rund 1 600 Quadratmeter große Produktionshalle. Ein betörendes Aroma breitet sich hier aus. Der Gast schnuppert entzückt die süße Pracht, nimmt einen Hauch von Schokolade wahr und auch die leichte Schärfe, die über allem liegt. Sie kommt vom wohl berühmtesten Erzeugnis aus Deidesheim: den Ingwerstäbchen.

Schon seit dem Morgengrauen ziehen endlose Kolonnen der legendären süßlich-scharfen Häppchen auf Förderbändern an wachsamen Augen vorbei. Zu tausenden duschen die kandierten gelben Stäbchen stündlich im computergesteuerten Zuckerglasurbad. Sie durchlaufen eine 43 Meter lange Glasiermaschine, lassen sich rütteln und durchschütteln. Daneben steht eine fast ebenso lange Schokolierlinie. In einem abgetrennten Puderraum bestäuben Geräte, die aussehen wie Betonmischer aus Kupfer, die Stäbchen mit Puderzucker. Glasiert, in kristalliertem Rohzucker gewälzt oder mit Schokolade überzogen, erfreuen sich die köstlichen Knollenschnipsel seit sechs Jahrzehnten größter Beliebtheit.

280 Tonnen der pikanten Leckerei veredeln die letzten Kandierkünstler Deutschlands jährlich. Weltweit eine einzigartige Spezialität, was genauso für kandierte schwarze Walnüsse und grüne Mandeln gilt. Auch die Zahl der anderen süß verwandelten Erzeugnisse kann sich sehen lassen: 530 Tonnen handverlesene Früchte werden hier jährlich kandiert und als Delikatesse in die ganze Welt verkauft. Mit den kandierten Wundern aus Deidesheim adeln Weltmeister der Konditoren und Fernsehköche von Lafer bis Schuhbeck ihre Kreationen. Zuckrige Rosen- und Veilchenblüten dekorieren Torten, Petit Fours und Eiscremes. Die Ehefrau des Chefs und zweite Geschäftsführerin der Manufaktur, Lilli Biffar-Hirschbil, ist mit den Leckereien aufgewachsen und weiß doch die süßen Momente bis heute zu schätzen, zum Beispiel kandierte Früchte als Dessert. "Wir haben das Naschen nicht verlernt", sagt die 48-Jährige, die auf eine reiche Familientradition verweist. Jean Biffar, der französische Urahn, kam 1734 aus dem französischen Jura in die Pfalz, um als Winzer sein Glück zu versuchen. Seit 1852 widmete sich die Hugenotten-Familie dem Veredeln von Früchten.

1890 legte der Enkel des Einwanderers den Grundstein für das heutige Unternehmen. Zwei Gründerzeit-Villen aus rotem Sandstein mit Türmchen erzählen vom Erfolg der süßen Versuche. Heute enstehen in der Manufaktur auch außergewöhnliche Pralinen, süß in erster Linie, aber auch mit so ungewöhnlichen Grundstoffen wie Ziegenmilch.

Sensationell: kandierter Chili

Kandiert wird in Deidesheim fast alles, von der Ananas bis zur Zitrone. Selbst Blumenkohl, Chili und Meerrettich präsentieren sich im süßen Gewand. "Schmeckt sensationell zum Tafelspitz!", schwärmt Hausherr Hirschbil. Und was ist nicht geeignet? Die Antwort überrascht: Wintrauben. Ihre Schalen sind zu hart. Von Hand sortiert und verführerisch verpackt treten die Kostbarkeiten ihre Reise in den Feinkosthandel an. Zur Kundschaft auf dem gesamten Globus zählen Edel-Confiserien und Gourmet-Tempel, Delikatess-Abteilungen von Kaufhäusern wie Harrods in London, das KaDeWe in Berlin oder auch Galeria Kaufhof.