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Hintergrund Hintergrund: Von Göttern und Monstern - Siamesische Zwillinge

Von Jutta Lauterbach 12.09.2004, 12:44

Hamburg/dpa. - Ob antike Skulpturen oder Höhlenzeichnungen:Siamesische Zwillinge sind Fachpublikationen zufolge seit alters herbekannt. Manche glauben, dass auch der doppelgesichtige Gott Janusaus der römischen Mythologie, der Namensgeber des Monats Januar, alsSymbolfigur für Siamesische Zwillinge angesehen werden könnte. ImMittelalter drohte den Müttern solcher Kinder der Scheiterhaufen.«Buhlschaft mit dem Teufel», lautete der Vorwurf. In der Stalin-Ärawurden die Babys Mascha und Dascha als «Monster» bezeichnet, wie derFach-Onlinedienst medicine worldwide berichtet.

Siamesische Zwillinge sind eineiige Zwillingspaare, die sich nichtvollständig getrennt haben. Die Missbildung entsteht in frühenEntwicklungsstadien. Einige haben nur äußeres Gewebe gemeinsam,andere ganze Organe oder Gliedmaßen. Die Zwillinge können am Rumpf -Brust, Bauch, Steiß -, aber auch am Kopf miteinander verbunden sein.

Am häufigsten werden Siamesische Zwillinge mit Verwachsungen amBrustkorb geboren (ca. 40 Prozent), seltener am Kopf (etwa 2Prozent), wie der Fach-Onlinedienst Via medici schreibt. Statistikenzufolge gibt es ein Siamesisches Zwillingspaar auf etwa 200 000Geburten. Am Kopf zusammengewachsene Kinder kommen nur bei einer von10 Millionen Geburten vor: 78 Prozent dieser Kinder sterben noch vorihrem ersten Geburtstag, 90 Prozent werden keine zehn Jahre alt.

Die Trennung am Kopf zusammengewachsener Siamesischer Zwillingegilt als besonders riskant, wie mehrere Aufsehen erregende Fälle dervergangenen Jahre zeigen. 2003 starben bei der weltweit erstenTrennung erwachsener Zwillinge, die am Kopf zusammengewachsen waren,die Schwestern Ladan und Laleh Bijani aus Iran. Bei der Trennungihrer Gehirne verloren die 29 Jahre alten Frauen zu viel Blut. IhrSchicksal rührte die Welt, in Iran weinten die Menschen.

Die erste chirurgische Trennung Siamesischer Zwillinge erfolgte imJahr 1505, wie Fachzeitschriften berichten. Der erste überlieferteFall von Siamesischen Zwillingen, die am Kopf zusammengewachsenwaren, trat demnach in Straßburg im Jahr 1495 auf. 1928 wurdenerstmals in den USA solche Siamesischen Zwillinge getrennt, beideKinder starben. 1953 gilt als das Jahr der ersten «erfolgreichen»Trennung, ein Kind überlebte; 1957 überlebten beide Patienten.

Ob Armenviertel oder Wohlstandsregion, überall eint die ElternSiamesischer Zwillinge heute eine Hoffnung: Dass die Kindererfolgreich getrennt werden und ein glückliches eigenständiges Lebenführen können. «Wir sind zwei komplett verschiedene Individuen, dieaneinander gebunden sind. Wir haben unterschiedlich Lebensstile undsehen die Welt auch sehr verschieden», sagten Laleh und Ladan im Juli2003 vor ihrer Operation. Laleh wollte Journalistin werden, Ladan alsAnwältin arbeiten. «Wir möchten uns endlich ansehen, ohne einenSpiegel zu brauchen» - das war ihr Traum.

Benannt ist die Missbildung nach den Zwillingsbrüdern Chang undEng Bunkes, die 1811 in Siam (Thailand) zur Welt kamen. Sie waren vonder Brust bis zum Nabel zusammengewachsen, wurden 63 Jahre alt undzeugten mit einem Schwesternpaar 22 Kinder. Ihren Lebensunterhaltverdienten sie sich auf Jahrmärkten und im Zirkus, vornehmlich in denUSA. Ansonsten war es bei Chang und Eng mit der Harmonie nicht weither: Überlieferungen zufolge betrank sich Chang sehr häufig, währendEng praktisch Abstinenzler war. Als Chang im Schlaf starb, erlag eineStunde später auch Eng dem Leichengift seines Bruders.