1. MZ.de
  2. >
  3. Panorama
  4. >
  5. Expeditionen: Expeditionen: Leipziger Forscher untersuchen Klimageschichte der Arktis

Expeditionen Expeditionen: Leipziger Forscher untersuchen Klimageschichte der Arktis

Von Tilo Arnhold 13.04.2004, 06:55
Das undatierte Archivfoto aus dem Jahr 2003 zeigt Leipziger Forscher bei Probebohrungen im Eis des Elgygytgyn-Sees in äußersten Nordosten Sibiriens, über 270 Kilometer von der nächsten größeren Siedlung entfernt. Bei bis zu minus 40 Grad sinkt das Thermometer im Winter. Vor 3,6 Millionen Jahren schlug hier ein Meteorit ein. Er hinterließ einen Kratersee, der nie von einem Gletscher bedeckt wurde. Die Bohrungen geben den Wissenschaftlern die einmalige Chance, im Boden des Sees eine Zusammenfassung der Klimageschichte der Arktis zu finden. Unter Wissenschaftlern ist umstritten, dass die Arktis das Weltklima entscheidend beeinsflusst. (Foto: dpa)
Das undatierte Archivfoto aus dem Jahr 2003 zeigt Leipziger Forscher bei Probebohrungen im Eis des Elgygytgyn-Sees in äußersten Nordosten Sibiriens, über 270 Kilometer von der nächsten größeren Siedlung entfernt. Bei bis zu minus 40 Grad sinkt das Thermometer im Winter. Vor 3,6 Millionen Jahren schlug hier ein Meteorit ein. Er hinterließ einen Kratersee, der nie von einem Gletscher bedeckt wurde. Die Bohrungen geben den Wissenschaftlern die einmalige Chance, im Boden des Sees eine Zusammenfassung der Klimageschichte der Arktis zu finden. Unter Wissenschaftlern ist umstritten, dass die Arktis das Weltklima entscheidend beeinsflusst. (Foto: dpa) dpa

Leipzig/dpa. - Der Wind bläst unbarmherzig über das Eis des Elgygytgyn-Sees im äußersten Nordosten Sibiriens. Auf bis zu minus 40 Grad sinkt hier das Thermometer im Winter. Professor Martin Melles (43) und sein Mitarbeiter Olaf Juschus (35) von der Universität Leipzig kommen in ihrem kleinen Zelt trotzdem ins Schwitzen. Per Hand haben sich die beiden Geologen mit einer Bohrvorrichtung durch das zwei Meter dicke Eis gekämpft und bohren den Grund des Sees in 170 Metern Tiefe an. Im Herbst soll der Expeditionsbericht vorliegen.

Dass sich sächsische Geologen für einen See interessieren, der jenseits des Polarkreises in einer der kältesten Regionen der Erde liegt und nur per Hubschrauber zu erreichen ist, liegt an dessen einmaliger Vorgeschichte. Vor 3,6 Millionen Jahren schlug hier ein Meteorit ein. Er hinterließ einen Kratersee, der nie von einem Gletscher bedeckt wurde.

Für die Wissenschaftler bietet sich damit die einmalige Chance, im Boden des Sees eine Zusammenfassung der Klimageschichte der Arktis zu finden. «Die ältesten kontinuierlichen Bohrkerne reichten wegen der Unzugänglichkeit der Arktis bisher lediglich 150 000 Jahre zurück», beschreibt Melles den Stand der Forschung. «1998 haben wir dort einen ersten Kern gezogen von 13 Metern Länge. Dieser war immerhin schon 300 000 Jahre alt. Das entspricht der längsten entnommenen Zeitserie im arktischen Festland.»

Ein internationales Team aus deutschen, amerikanischen und russischen Wissenschaftlern will hier bis zu 550 Meter tief bohren und einen Einblick bis hinein in die Zeit des Tertiär vor 3,6 Millionen Jahren bekommen. Damals herrschten in Europa subtropische Temperaturen, die Braunkohle entstand und an den Menschen war noch nicht zu denken.

Unter Wissenschaftler ist unumstritten, dass die Arktis das Weltklima entscheidend beeinflusst. «Da gibt es viele Modellrechnungen für die Zukunft. Der Schlüssel liegt aber darin, dass man versteht, was in der Vergangenheit passiert ist», meint Melles. «Der Rückblick auf 3,6 Millionen Jahre wäre ideal, weil wir dann in einer sehr warmen Klima-Epoche wären, die Modell sein könnte für das, was wir in Zukunft erwarten.» Entscheidende Erkenntnisse erhoffen sich die Wissenschaftler von der für 2006 geplanten Tiefenbohrung.

Drei Expeditionen gab es bisher zum Elgygytgyn-See, der über 270 Kilometer von der nächsten größeren Siedlung entfernt liegt. 2003 waren zwischen April und September bis zu 16 Forscher vor Ort, um erste Probebohrungen zu unternehmen und die Qualität des Eises zu bestimmen. «Das zwei Meter starke Eis muss später die gesamte Bohrtechnik und damit ein Gewicht von 20 Tonnen tragen», ergänzt Juschus.

Elf Hubschrauberflüge waren nötig, um die Wissenschaftler und ihr Expeditionsgepäck in die Einsamkeit der Arktis ein- und auszufliegen. Obwohl das Gepäck auf das Minimum beschränkt werden musste kamen immer noch 12 Tonnen Gewicht zusammen - darunter allein vier Tonnen Lebensmittel. «Der Elgygytgyn-See wäre schon lange richtig untersucht worden, wenn er nicht so schwer zugänglich gewesen wäre.»

Den Großteil der Kosten von 200 000 Euro für die Testexpedition im vergangenen Jahr hat das Bundesforschungsministerium übernommen. Die Kosten für die große Bohrung in zwei Jahren werden dagegen auf etwa drei Millionen Euro geschätzt, weil dann wesentlich mehr Ausrüstungsmaterial transportiert werden muss. Deshalb soll das Forschungsprojekt aus dem Internationalen Kontinentalen Bohrprogramm finanziert werden.

Seit September werden die mitgebrachten Bodenproben analysiert und die Daten ausgewertet. Ende März trafen sich die Forscher aus Russland, den USA und Deutschland in Leipzig, um erste Ergebnisse auszutauschen. Im Herbst wollen die Projektleiter von der Universität Leipzig den Expeditionsbericht vorstellen. Anschließend beginnt die heiße Phase der Beantragung der Fördergelder. 2006 soll schließlich ein professionelles Bohrteam zum Einsatz kommen.

Spätestens zur Fußball-Weltmeisterschaft will Melles wieder in der sächsischen Heimat sein. Kollege Juschus warnt: «Ab Mitte Mai beginnt das Eis auf dem Elgygytgyn-See zu tauen und die Arbeit wird dann zu gefährlich.» Feste Flugpläne gibt es nicht. Bei schlechtem Wetter kann der Hubschrauber zurück in die Zivilisation auch ein oder zwei Wochen auf sich warten lassen.