Die letzten Mohikaner Die letzten Mohikaner: Sterben Deutschlands Hobby-Indianer aus?

Erfurt - Wenn Falk „Dusty“ Güntherodt seine Tipis aufbaut, muss er auf eine meterhohe Leiter steigen. Da beginnt das Problem. „Wenn du da runterkrachst, mit deinen alten Knochen, die sind Krümel“, erzählt der 64-Jährige. Um das weiße Haar hat er sich ein rotes Tuch geknotet, an seiner Lederhose baumelt ein bestickter Beutel. Der ist selbst gemacht, wie die Mokassins. Güntherodt hat sich ein Leben ausgesucht, das nach Abenteuerbuch klingt.
Im Erfurter Zoopark hallen Gesänge durch sein Indianercamp. Mehr als ein Jahrzehnt hat er dort gelebt, Tag und Nacht, Sommer wie Winter. In seiner Holzhütte ist zwischen dem Kalbfell am Boden und den Traumfängern an der Decke wenig Platz. Einige Meter entfernt stochert Güntherodt mit einem Ast im Lagerfeuer herum.
Als Junge hat er die Romane von Karl May verschlungen - „später dann die bisschen besseren Bücher“, wie er sagt. Wie Millionen andere sah er die Defa-Indianerfilme. Die seien authentischer und besser recherchiert gewesen als die mit Pierre Brice. „Auch wenn sie mit Mongolenponys durch die Gegend geritten sind, was total albern aussah“, sagt er. Güntherodt steht für eine Generation von kostümierten Trappern, Indianern, Cowboys oder US-Bürgerkriegssoldaten in Deutschland, die allmählich in die Jahre kommt.
Dass die Deutschen ein besonderes Faible für die Indianerkultur haben, hat sogar die „New York Times“ festgestellt. In den 1960er, 1970er Jahren habe es eine große Welle von Vereinsgründungen gegeben, erklärt Robin Leipold, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Karl-May-Museum im sächsischen Radebeul. Während sich im Westen Cowboys und Indianer trafen, verschrieben sich Gruppen in der DDR fast ausschließlich den Ureinwohnern Amerikas.
Warum die Hobby-Indianer keinen Nachwuchs finden, lesen Sie auf Seite 2.
Das Indianerspiel sei sicher eine Möglichkeit gewesen, in eine Traumwelt zu fliehen, vermutet Leipold. Mitte der 70er Jahre sei aber noch ein politisches Moment hinzugekommen. In der DDR hätten sich einige mit der amerikanischen Indianerbewegung solidarisiert. „Das war ein gefundenes Fressen für die DDR-Medien: Wenn die USA mit Armee und Panzern aufgetreten sind, um indianische Aktivisten zu vertreiben“, erklärt Leipold. Die USA, der Klassenfeind.
Mittlerweile dokumentieren Sender wie ARD oder ZDF die Situation amerikanischer Ureinwohner höchstens auf späten Sendeplätzen. In Kinos spielt der Western kaum noch eine Rolle. „Heute hängen junge Leute permanent am Laptop oder am Smartphone“, sagt Werner Pelikan, Vorsitzender des Western Bunds Deutschland. Rund 110 Clubs gehören zu dem Dachverband. Etwa ein Dutzend hat in den vergangenen Jahren dichtgemacht. Wenn junge Leute überhaupt ein historisches Hobby hätten, dann das Mittelalter, sagt Pelikan.
Im Lager von Falk Güntherodt grasen Hirsche und Bisons nur ein paar Ecken weiter. Husky Klondike legt sich an die Feuerstelle, er trägt den Namen eines kanadischen Flusses. Der Hund lebt genauso lange im Zoopark wie Güntherodt. Im Jahr 2000 hatte der Thüringer sein Camp eröffnet. Schulklassen und Kindergeburtstage buchen Zeit bei ihm, manchmal kommen auch Erwachsene für eine Übernachtung im Tipi.
Vor zwei Jahren hat er mit seiner Frau ein Häuschen in Erfurt übernommen. All die Jahre, die er im Camp hauste, lebte sie in der Stadt. Diesen Herbst will Güntherodt „Dusty’s Indian Camp“ vielleicht ganz aufgeben. „Ich habe mir gedacht: Alter Bär, das 15. Jahr ist das jetzt“, erzählt er. Einen Nachfolger hat er bislang nicht. (dpa)
