Brandenburg Brandenburg: Fall um neun tote Babys immer noch nicht abgeschlossen

Brieskow-Finkenheerd/dpa. - «Blankes Entsetzen» - mit diesenWorten beschreibt Bürgermeister Ralf Theuer das Unfassbare, das vorgenau einem Jahr in seinem kleinen brandenburgischen Dorf geschah:Neun verweste Babyleichen, verscharrt in Kinderbadewanne, Aquariumund anderen Gefäßen wurden in Brieskow-Finkenheerd (Oder-Spree)entdeckt. Ein in der deutschen Kriminalgeschichte beispielloser Fall.Obwohl die Kindesmutter im Juni zu 15 Jahren Haft wegen achtfachenTotschlags verurteilt wurde - was allerdings noch nicht rechtskräftigist - sind auch zum Jahrestag des grauenvollen Fundes vom 31. Juli2005 viele Fragen offen:
Wie konnte eine Frau gleich neun Schwangerschaften hintereinandervor ihrem Ehemann und dem Vater der Kinder, aber auch - glaubt manZeugen - ihrem gesamten Umfeld verheimlichen? Hat tatsächlich keinerin dem hellhörigen Plattenbau von Frankfurt (Oder), wo die insgesamt13-fache Mutter die meisten Babys allein und ohne fremde Hilfe zurWelt gebracht haben will, etwas mitbekommen? Haben die Kinderwirklich gelebt, wie es das Landgericht Frankfurt (Oder) annahm?Vermutlich wird all dieses für immer ungeklärt bleiben.
Möglicherweise müssen Richter in einer Neuauflage des Prozesseserneut versuchen, Licht in das Dunkle zu bringen. Denn sowohlStaatsanwaltschaft als auch Verteidigung haben Revision eingelegt.«Ich halte dieses Urteil für falsch», sagt Anwalt MatthiasSchöneburg, der nur einen Totschlag im minderschweren Fall fürerwiesen ansieht. «Für alle weiteren Anklagepunkte reicht dieBeweislage nicht aus.» Die Staatsanwaltschaft will hingegen die heute40-jährige Frau lebenslang wegen achtfachen Mordes hinter Gitternsehen. Der Fall eines Babys galt bereits vor dem von riesigemMedieninteresse begleiteten Prozess als verjährt.
Nach Auskunft von Gerichtssprecher Markus Fritsch muss dasschriftliche Urteil bis zum 3. August vorliegen, anschließend habendie Parteien einen Monat Zeit, ihre Revision zu begründen. «Mit einerEntscheidung des Bundesgerichtshofs rechne ich binnen eines halbenJahres.» In dem 2700-Seelen-Dorf Brieskow-Finkenheerd nahe Frankfurt(Oder) ist der neunfache Babytod schon längst nicht mehr dasGesprächsthema Nr. 1, die Familie der in Haft sitzenden Kindesmutter«lebt weiter recht zurückgezogen unter uns», wie Theuer sagt. Im Juli2005 waren die Knochen der Babys bei Aufräumarbeiten auf demelterlichen Grundstück der Frau entdeckt worden.
«Ein Jahr danach ist bei uns endlich Ruhe eingekehrt», sagtTheuer. Wie ein Damoklesschwert schwebe allerdings die Frage einerBestattung der Babyleichen über dem Ort. «Es ist Wunsch derAngehörigen, dass die Babys nicht bei uns im Dorf bestattet werden -sie wollen hier nicht so etwas wie einen Wallfahrtsort haben», meintTheuer. Allerdings wird sich die Frage wohl nicht so schnell stellen:«So lange kein rechtskräftiges Urteil ergangen ist, sind die LeichenBeweismittel und eine Bestattung nicht möglich», bekräftigtGerichtssprecher Fritsch.
Nach Überzeugung der Richter hat die Kindesmutter zwischen 1992und 1998 acht lebend geborene Kinder unversorgt gelassen, bis sieeinen qualvollen Tod durch Unterkühlung erlitten, sie dann inPlastiktüten gewickelt und in Gefäßen verscharrt. Ihr Motiv: «Siehatte Angst, weitere Kinder würden ihre Ehe zerstören». Diesterblichen Überreste der Kleinen gehörten in dem Prozess, in dem dieAngeklagte, ihr Mann und viele Zeugen schwiegen, zu den wenigen nichtzu leugnenden Beweismitteln. Bürgermeister Theuer hofft jedenfalls,dass sein Dorf nie wieder Ruhestätte dieser neun toten Säuglinge seinwird: «Wir wollen endlich mit diesem tragischen Kapitel abschließen.»
