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Extremismus Antisemitismus - Gedenkstätte: Gästebücher voll mit Hass

Hass, Antisemitismus und Israelfeindlichkeit bekommt auch die Gedenkstätte Sachsenhausen zu spüren - seit Beginn des Gaza-Kriegs gibt es deutlich mehr Schmierereien. Eine Beratungsstelle berichtet von mehr Fällen an Hochschulen.

Von Monika Wendel, dpa Aktualisiert: 28.04.2024, 14:51
Ein Hakenkreuz und ein durchgestrichener Davidstern sind an einer Gedenkstätte am Nordbahnhof in Berlin zu sehen.
Ein Hakenkreuz und ein durchgestrichener Davidstern sind an einer Gedenkstätte am Nordbahnhof in Berlin zu sehen. Daniel Reinhardt/dpa/Archivbild

Potsdam/Oranienburg - In den Baracken 38 und 39 auf dem Gelände der Gedenkstätte Sachsenhausen sind während des Zweiten Weltkriegs die jüdischen Häftlinge eingepfercht worden. Hunderttausende Menschen besuchen jedes Jahr den Ort des ehemaligen Konzentrationslagers in Oranienburg nördlich von Berlin. Die Gedenkstätte beklagt eine Zunahme antisemitischer Schmierereien. „Wir mussten Gästebücher austauschen beziehungsweise konnten sie nicht mehr auslegen, weil sie voll waren von Hassbotschaften“, sagte der Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, Axel Drecoll, der Deutschen Presse-Agentur. 

Seit dem Terrorangriff der islamistischen Hamas auf Israel am 7. Oktober sei auf dem Gelände eine wachsende Zahl von antisemitischen und israelfeindlichen Attacken festzustellen. „Das hat sehr stark zugenommen, unter anderem und perfider Weise gerade an den Haftstätten, in den sogenannten Baracken 38 und 39, wo sich jüdische Häftlinge befunden haben.“ Auch an Hochschulen ereignen sich nach Einschätzung einer Beratungsstelle mehr Taten im Zusammenhang mit Antisemitismus. 

Fachstelle Antisemitismus schildert mehr Fälle an Universität

Es gebe vor allem an der Universität Potsdam und in der Stadt Potsdam mehr Zwischenfälle in Bezug zum Gaza-Krieg, teilte die Fachstelle gegen Antisemitismus Brandenburg der Deutschen Presse-Agentur mit. Meist gehe es am Campus um Parolen, die die Auslöschung des Staats Israel fordern, aber auch um Aufrufe zur Gewalt gegen Jüdinnen und Juden. Zudem tauchten im Stadtbild von Potsdam mehr Aufkleber mit antisemitischem Inhalt auf. Von Hochschulen etwa in Cottbus und Eberswalde sei eine so deutliche Zunahme der Vorfälle nicht bekannt, sie falle geringer aus, so die Fachstelle. 

Vor allem in Berlin gab es einen starken Anstieg antisemitischer Vorfälle. Eine brutale Gewalttat wurde im Februar in der Hauptstadt bekannt: Ein propalästinensischer Kommilitone soll einen jüdischen Studenten der Freien Universität auf einer Straße verprügelt und getreten haben. An Hochschulen in Berlin kam es zu mehreren Aktionen propalästinensischer Aktivisten, vor allem bei Demonstrationen ist die Stimmung teils aufgeheizt. Auch an der Universität Potsdam wurde nach Beginn des Gaza-Kriegs zur Solidarität mit Palästina aufgerufen, im Internet war in diesem Zusammenhang vom „Völkermord“ in Gaza zu lesen. 

Doch nicht alle Vorfälle dürften mit dem Gaza-Krieg zu tun haben. Die Fachstelle berichtete: „Ansonsten haben wir es in Brandenburg, wie sonst überall, auch größtenteils mit Antisemitismus aus dem rechten Milieu und einem Antisemitismus aus der Mitte der Gesellschaft zu tun.“

Projektleiter Joachim Seinfeld teilte nach den bisherigen Erfahrungen auch mit, dass am Campus der Uni Potsdam häufiger Aufkleber „mit Naziparolen“ auftauchten. Zudem gebe es in Brandenburg mehr Hakenkreuz-Schmierereien und mehr Fälle des Verwendens strafbarer NS-Symbole. Auch im Fußball stellten die Berater eine Zunahme fest.  Rechtsextreme Fans machen etwa in Cottbus seit Jahren immer wieder Schlagzeilen. Südbrandenburg gilt als Hotspot beim Rechtsextremismus. 

Die Fachstelle Antisemitismus Brandenburg als Anlaufstelle für Betroffene ist ein Projekt der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus in Berlin. Eine abschließende Auswertung von Vorfällen und Zahlen lag noch nicht vor. 

Direktor: Gedenkstätte kann Tausende Besucher nicht überwachen

Für die Gedenkstätte Sachsenhausen ist es laut Drecoll schwer, Schmierereien und Hassparolen zu verhindern und die Täter ausfindig zu machen. „Die Gedenkstätte ist ja frei zugänglich und es sind bis zu 2000 Menschen pro Tag hier. Wir können das gar nicht überwachen, selbst wenn wir es wollten. Und es muss ja auch ein offener, transparenter und freier Ort bleiben.“ Die Gedenkstätte arbeite sehr gut mit den Sicherheitskräften, mit der örtlichen Polizei zusammen, und bringe verfassungsfeindliche Symbole auch zur Anzeige, sagte Drecoll. Die Hassbotschaften kämen allerdings nicht so häufig in den geführten Gruppen vor, so dass sich die Verantwortlichen schwer identifizieren ließen. Deshalb ist es für uns gar nicht so leicht, das für die Zukunft zu verhindern.“

Weiter kein Antisemitismusbeauftragter in Brandenburg

Der Landtag in Potsdam hatte sich im November 2023 für einen stärkeren Kampf gegen Antisemitismus ausgesprochen und die Weichen gestellt, um erstmals das Amt eines Antisemitismusbeauftragten einzurichten. Doch die Besetzung verzögert sich. Im zuständigen Landtagsausschuss war bislang keine Einigung auf einen gemeinsamen Personalvorschlag zustande gekommen. 

Wegen antisemitisch motivierter Taten 94 Verfahren bei Staatsanwaltschaften

Bereits im vergangenen Jahr hatte sich laut Polizei die Zahl der antisemitisch motivierten Straftaten in Brandenburg stark erhöht. Die Behörde registrierte 284 derartige Delikte, fast 70 Prozent mehr als 2022. 

Bei den Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaften in Brandenburg im Zusammenhang mit Antisemitismus deutet sich auch eine Zunahme an. Bislang seien in diesem Jahr 94 Verfahren mit antisemitischer Tatmotivation erfasst worden, teilte die Zentralstelle zur Bekämpfung von Hasskriminalität im Land Brandenburg auf Anfrage mit. Im gesamten Jahr 2023 waren es 193 Verfahren. Daher scheine es bislang einen Anstieg der Verfahren zu geben, sagte ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft. Bei der Mehrheit der strafrechtlichen Ermittlungen geht es um Volksverhetzung, Gewaltverherrlichung und das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen.