Zwangsadoption Zwangsadoption: Wiedersehen nach 20 Jahren
Köln/Pößneck/MZ. - Köln - Pößneck, 440 Kilometer, mit dem Auto knapp vier Stunden. Und doch liegen Welten dazwischen. Die Distanz zwischen der Metropole am Rhein und der thüringischen Stadt trennte zwei Jahrzehnte lang Mutter und Tochter. Zwei Jahrzehnte Ungewissheit, Sehnsucht und Angst vor dem Wiedersehen.
Eine deutsch-deutsche Familiengeschichte mit Happyend. Elke Cetin ist 45 Jahre alt. Dreifache Mutter, aufgewachsen in Jena, nach der Wende über Hannover nach Köln gekommen. Geschieden, wieder verheiratet, nach dem Tod der jüngsten Tochter auf der Suche nach den beiden älteren Kindern. Die waren ihr noch zu DDR-Zeiten weggenommen worden. Zwangsadoptiert, weil die ehelichen Verhältnisse damals geprägt waren von Streit und Zank und Verzweiflung. Kein gutes Umfeld für kleine Kinder, sagten die Behörden.
Montagmorgen, 7.30 Uhr. Ein Anruf vom Jugendamt Jena: "Wir haben Ihre Tochter gefunden, sie wohnt bei Jena. Und Sie sind auch noch Großmutter." Elke Cetin zittert. Seit sieben Jahren steht sie mit den Behörden in ihrer Geburtsstadt in Verbindung. Keine Spur von Anke, die jetzt 25 Jahre alt sein muss. Dann bekommt die Frau eine Handy-Nummer. Die von Anke Krampikowski, ihrer Tochter.
Pößneck, eine kleine, gemütliche Wohnung in der Innenstadt. Auch hier ruft das Jugendamt an: "Wir haben Ihre Mutter gefunden, in Köln, hier ist ihre Nummer ." Auch Anke Krampikowski kann es kaum fassen. Auch sie hat jahrelang nach ihrer Mutter gesucht. Was tun, wenn man nach 20 Jahren den Menschen findet, der einem das Leben geschenkt hat und der doch so fremd ist? Anke Krampikowski schreibt eine SMS. Elke Cetin ruft zurück. Beide sind sich sofort vertraut. Sie wollen sich sehen, am liebsten gleich.
Donnerstagmittag, vor der Goethe-Galerie in Jena. Es schneit, es ist kalt. Ohne zu wissen, wie die andere aussieht, erkennen sich Mutter und Tochter sofort. Umarmen sich, Elke Cetin weint. Anke redet gleich drauflos: "Das ist Beatrice, meine Jüngste, ein Jahr alt, und das ist Philip, dein mittlerer Enkel, der ist schon vier." Michael, der Größte, sei sieben und gerade bei seinem Vater. So schnell ist Familiengeschichte erzählt. Vorläufig.
Anke zeigt ihrer Mutter ein Foto: "Das ist meine Adoptivmutter. Ich habe meinen anderen Eltern viel zu verdanken." Elke Cetins Lippen zittern, wehmütig blickt sie ins Leere.
Nachdem Anke auf der Welt ist, bröckelt die Ehe von Elke Cetin, die Kinder leiden unter den ständigen Auseinandersetzungen der Eltern. Das Jugendamt Jena schaltet sich ein. Anke kommt ins Heim, wird mit sieben Jahren adoptiert. Wächst südlich von Jena auf, auf dem Land, hört von den neuen Eltern, dass ihr Bruder, drei Jahre jünger als sie, tot sei. Erst jetzt, beim Wiedersehen, erfährt sie, dass Peter lebt - auch er wurde zwangsadoptiert, damals, gleich nach seiner Geburt. Der heute 23-Jährige lebt in Hannover.
Für Elke Cetin gibt es nach der Trennung keine Möglichkeit, ihre Tochter zu sehen. Die Sehnsucht bleibt, die Hoffnung, eines Tages herauszufinden, was aus dem Kind geworden ist. Nachzuholen, was in vielen Jahren nicht möglich war. Auch Anke will mehr wissen als das, was ihr erzählt wird.
Jetzt, nach dem ersten Wiedersehen, beginnt die Aufarbeitung einer ganz besonderen Beziehung. Beginnt vielleicht ein neues Zusammenwachsen. Auch Peter, der Bruder, wird beim nächsten Treffen dabei sein. Elke Cetin ist glücklich. "Das ist plötzlich wie ein ganz neues Leben", sagt sie.
Anke sagt beim Abschied zum ersten Mal "Mutti". Sie weiß, dass ihr der schwerste Gang erst noch bevorsteht. Sie muss zu ihrer Adoptivmutter, um ihr zu sagen: "Mutti, ich habe meine Mutter gefunden." Es wird nicht leicht werden.