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Wölfe in Sachsen-Anhalt Wölfe in Sachsen-Anhalt: Wer hat Angst vorm bösen Wolf?

Von Katrin Löwe 14.03.2015, 10:21
Fünf etwa zweieinhalb Monate alte Wolfswelpen spielen auf dem Truppenübungsplatz Altengrabow.
Fünf etwa zweieinhalb Monate alte Wolfswelpen spielen auf dem Truppenübungsplatz Altengrabow. Bundesforstbetrieb Nördliches Sachsen-Anhalt/Landesamt für Umweltschutz Lizenz

Halle (Saale) - Die Fenster im Büro von Martin Trost stehen offen - und der Biologe warnt vor: Es könnte etwas riechen hier. Tut es. Den Grund präsentiert der Mitarbeiter des Landesamtes für Umweltschutz in einem kleinen Karton. In ihm lagert gerade Wolfslosung - also Kot. Verpackt in kleine Plastikdosen, eingelegt in Alkohol. Die Spur stammt frisch aus der Annaburger Heide. Acht Wölfe sind dort zuletzt nachgewiesen worden.

Isegrim, vor über 100 Jahren in Deutschland ausgerottet, wird wieder heimisch in Sachsen-Anhalt. Trost erinnert sich gut, wie er vor einigen Jahren auf dem Truppenübungsplatz Altengrabow (Jerichower Land) auf einer Jagdkanzel saß, um nach den ersten Wölfen Ausschau zu halten. Vier Stunden dauerte es, dann näherte sich ein Tier von hinten. „Es hat mich eindringlich beäugt und ist dann in aller Ruhe weitergezogen.“ Es war Trosts erster Wolf in freier Wildbahn - dort, wo sich das Raubtier zunächst in Sachsen-Anhalt wieder niederließ. Heute gilt das Rudel Altengrabow mit 14 von einst 16 Tieren als größtes im Land - aber längst nicht mehr als einziges.

Der 49-jährige Naturwissenschaftler verbringt inzwischen schon rund 80 Prozent seiner Arbeitszeit mit dem Wolf - mit der Bewertung von Hinweisen, Arbeit vor Ort ebenso wie mit Aufklärungsveranstaltungen. Dabei tat sich nach der ersten Wiederansiedlung in Altengrabow zunächst jahrelang wenig. „Das hat mich erstaunt, erst 2012/2013 gab es neue Rudel“, sagt Trost. Im aktuellsten Bericht über Vorkommen werden sechs Rudel und ein Einzelwolf gelistet - davor waren es drei Rudel, zwei Paare und ein Einzelwolf.

Insgesamt sind zuletzt 49 lebende Tiere nachgewiesen worden, von den 52 in den Rudeln gezählten sind drei tot. Wie hoch die Zahl der Tiere tatsächlich ist, weiß niemand so genau. „Es gibt Wölfe, die das Land nur durchwandern - wie viele das sind, ist völlig spekulativ“, sagt Wolfsbeauftragter Trost. Zudem kann auch die 2008 gestartete wissenschaftliche Beobachtung nicht in jedem Fall Klarheit liefern. „Es gibt im Land inzwischen rund 40 Fotofallen“, so Trost. Wölfe eines Rudels aber auch auseinanderzuhalten sei schwer. „Da braucht man schon richtig gute Bilder.“ Oder Tiere wie „Hinkebein“ im Rudel Göritz-Klepzig an der Grenze zu Brandenburg - ein Wolf mit verletztem Vorderfuß und dementsprechend auffälligem Gang.

Auf der nächsten Seite: Warum sich der Wolf weiter ausbreiten wird? Und warum keine Gefahr von den Tieren aussgeht?

Die Zahl der Hinweise auf Wölfe oder auf Verdachtsfälle hat sich zuletzt binnen eines Jahres in Sachsen-Anhalt auf rund 1100 verdoppelt. Darunter sind sowohl viele Fotofallen-Bilder als auch Sichtungen von Jägern oder Anwohnern, bei denen es zum Teil keine oder unzutreffende Nachweise gibt. Auf einem Handyfoto aus dem Norden habe sich ein Tier zuletzt als Fuchs entpuppt, so der Experte. Selbst aus Halle kam einst ein Bild. „Das Tier war nicht größer als die Radkappe von einem Auto und sicher kein Wolf.“ Nicht immer sei das aber eindeutig zu erkennen, räumt Trost ein. Schwarz-Weiß-Bilder bei Nacht - da schlagen Fotofallen oft an - und noch bei Nebel? Schwierig.

Sicher ist der Experte aber in einem Punkt: Der Wolf wird sich weiter ausbreiten. Aktuell werde geprüft, ob es neue Vorkommen zwischen Altengrabow und Göritz oder in den Zichtauer Bergen (Altmark) gibt. „Auch der Harz muss künftig mit dem Wolf rechnen.“ Bundesweit könnten nach einer Studie der Uni Freiburg theoretisch in Zukunft bis zu 400 Rudel leben. Grundsätzlich sei zwar denkbar, dass irgendwann über eine Obergrenze diskutiert wird. „Davon sind wir aber noch weit entfernt“, so Trost. Der Wolf ist streng geschützt, darf nicht getötet werden.

Konfliktfrei ist das Leben mit ihm indes nicht. Insbesondere Nutztierhalter, aber auch einige Jäger sehen den Wolf sehr kritisch. Das Umweltministerium listet seit 2008 insgesamt 114 Nutztiere auf, die vom Wolf - oder zumindest möglicherweise vom Wolf - gerissen wurden. 36 Schafe, ein Kalb und drei Tiere aus einem Rotwild-Gehege waren 2014 betroffen - die bisher höchste Zahl. Halter wurden insgesamt seit 2008 mit 13000 Euro entschädigt, weitere 4000 sind bereits bewilligt. Seit 2013 werden zudem Schutzvorrichtungen wie spezielle Zäune zu 80 Prozent gefördert. Bisher sind dafür 228000 Euro bereitgestellt worden. Längst nicht jeder Riss gehe aber tatsächlich auf einen Wolf zurück, sagt Trost - Erfahrungen aus Sachsen und Brandenburg nach sei er in Rund der Hälfte der gemeldeten Fälle Verursacher.

Trost ist auch öfter unterwegs, um Menschen die Angst vor dem Wolf zu nehmen. Eines seiner Argumente: „In Deutschland werden jährlich vier bis fünf Menschen von Hunden totgebissen.“ Mit dem Wolf habe es in den 15 Jahren seit seiner Wiederansiedlung in Deutschland nicht einen gefährlichen Vorfall gegeben. Dass ein Tier in Siedlungsnähe auftauchen kann, sei normal. Bei dem jüngst mitten durch niedersächsischen Siedlungen streifenden Wolf werde unterdessen spekuliert, ob er angefüttert wurde. Grundsätzlich gebe es Möglichkeiten, bei auffälligen Wölfen zu reagieren - in Niedersachsen etwa war der Einsatz von Gummigeschossen zur Vertreibung im Gespräch. In Sachsen-Anhalt sieht der Experte dafür im Moment aber keinen Anlass.

54 Antworten des Naturschutzbundes zum Wolf

Grimmiger Blick: ein Jungwolf in Altengrabow
Grimmiger Blick: ein Jungwolf in Altengrabow
Bundesforstbetrieb Nördliches Sachsen-Anhalt/Landesamt für Umweltschutz Lizenz
Leuchtende Augen bei Nacht - das Rudel im Raum Göritz-Klepzig
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Landesamt für Umweltschutz/Landesforstbetrieb Lizenz