Unglück in Weißenfels Unglück in Weißenfels: Trauer und Hoffen

WeISSENFELS/MZ. - Es sollte ein Tag der Fröhlichkeit werden, es wurde ein Tag der Trauer. Am späten Sonntagnachmittag strömen hunderte Weißenfelser in die Marienkirche am Markt, Tränen in den Augen, Kerzen in den Händen. Manche legen Plüschtiere nieder, Kinder haben Bilder gemalt. Ein Mädchen weint in den Armen seiner Mutter. Fassungslosigkeit. In der Stadt, wo für diesen Tag ein Karnevalsumzug geplant war, weinen die Menschen nun um ein totes Mädchen und sind gequält von der Ungewissheit, was mit dem zweiten verschwundenen Kind passiert ist.
Es war Sonnabendnachmittag, als eine 43-jährige Weißenfelserin verzweifelt auf das Polizeirevier kam. Sie vermisste zwei ihrer Kinder, die jüngsten. Sofort machen sich die Polizisten auf die Suche nach der Fünfjährigen und dem Sechsjährigen. Etliche Einsatzkräfte, auch von Feuerwehr, Deutschem Roten Kreuz und Technischem Hilfswerk, werden angefordert. Kurz nach 23 Uhr dann erste traurige Gewissheit: Das Mädchen wird an der Herrenmühle tot aus der Saale geborgen. Vom Bruder fehlt indes Sonntagabend noch jede Spur. Taucher suchen nach ihm.
"Ich habe die Marienkirche noch nie so voll gesehen", sagt der evangelische Pfarrer Martin Schmelzer kurz vor der Andacht. 500 Menschen haben hier Platz. Heute sind es deutlich mehr. Der Pfarrer sagt: "An diesem Abend ist die Kirche ein Platz für Trauer, ein Platz für Tränen, ein Platz, um sich gegenseitig zu stärken und Trost zu finden."
Als Oberbürgermeister Robby Risch (parteilos) das Wort ergreift, kann er Tränen kaum zurückhalten. Seit dem Morgen ist er auf den Beinen, spricht mit den Einsatzkräften und koordiniert mit. "Ich bin dankbar, dass so viele Menschen Solidarität und Mitgefühl zeigen", sagt er. Bereits am Sonnabend hatten sich etliche Menschen über soziale Netzwerke im Internet zusammengetan, halfen den Einsatzkräften noch in der Nacht bei der Suche. Als dann eine Jugendliche an das Mikrofon tritt, stockt den Trauernden in der Marienkirche der Atem. Es ist die ältere Schwester der beiden Kinder. Das Reden fällt ihr schwer, aber die Worte sind gut zu hören. "Ich möchte mich im Namen meiner Eltern und Geschwister für die Hilfe bedanken", sagt sie und ihre Stimme bricht. "Soviel menschlichen Zuspruch hätten wir nicht erwartet - dankeschön."
Menschlicher Zuspruch und Hilfe waren unter anderem von Stephanie Leipner (22) und Mario Mosert (41) gekommen. Wie versteinert stehen sie Sonntagvormittag am Rande der Leipziger Straße. "Hoffentlich wird der Junge noch gefunden", sagt die junge Frau. "Ich arbeite in einer Kindertagesstätte, da hat man schon eine besondere Beziehung zu Kindern." Als sie über Lautsprecherdurchsagen in der Stadt von dem Verschwinden hörten, hätten sie gleich "ein paar Kumpels zusammengepfiffen, Taschenlampen organisiert und geholfen, zu suchen", so Mosert. "Kinder, das geht einem doch ans Herz", sagt er. Das Duo kennt zudem noch die betroffene Familie.
Die beiden Kinder stammen aus einfachen sozialen Verhältnissen, sagen Vertreter der Stadt bei einer Pressekonferenz. Die alleinerziehende Mutter sei sehr bemüht und besorgt um ihren Nachwuchs. So hat auch die Mitteldeutsche Zeitung die Frau erlebt, als sie in glücklicheren Zeiten davon berichtete, wie sie ihre Kinder trotz kleinem Geldbeutel fördern möchte. Eine Mutter, die eine Menge dafür tut, dass ihre Kinder Chancen in ihrem Leben bekommen - und nun eine Tragödie durchlebt.
Gegen 22 Uhr am Sonnabend waren Hundeführer einer Staffel aus dem thüringischen Marlishausen mit Suchhunden ausgerückt. Am Wohnhaus der vermissten Kinder hat "Ronja", ein Labrador-Riesenschnauzermix, Witterung aufgenommen - von einem Kinderschuh. Der Hund führte die Helfer hinab zur Leipziger Straße, dann auch eine Böschung hinunter und an der Saale entlang. Nach etwas mehr als drei Kilometern und einer Suchzeit von gut einer Stunde endet "Ronjas" Einsatz. "Das Tier ist erschöpft", sagte Hundeführer Dirk Zahm. Ronja habe Schwerstarbeit geleistet. Bei ihrer Arbeit nehmen die Suchhunde einen Geruch auf, der entsteht, wenn Bakterien Hautschüppchen von Menschen zersetzen. Während die Hunde mögliche Spuren verfolgten, waren Boote des Technischen Hilfswerkes auf der Saale unterwegs. Helfer leuchteten das Ufer mit Suchscheinwerfern aus. Der Parkplatz neben der Wohnanlage am Töpferdamm war da längst zur Einsatzleitstelle geworden. "So einen riesigen Einsatz habe ich noch nie gesehen", erklärt Marcus Scheschowitsch (27).
"Ein Einsatz wie dieser belastet alle - gerade wenn es um Kinder geht", sagt Silvio Klawonn vom Kriseninterventionsteam der Polizei. Er betreut die Kameraden an diesem Sonntag vor Ort. "Im Moment sind alle sehr gefordert und angespannt", sagt er. Der Stresspegel bei solch einem Einsatz steige nach und nach: "Das ist wie bei einem Glas, das stetig volltropft und irgendwann überläuft." Plötzlich laufen zwei junge Leute auf ihn zu. Sie sind verzweifelt. Es sind Angehörige. Es wird geredet, Tränen fließen. Was kann man ihnen in solch einer Situation sagen? "Man hört einfach zu", sagt Klawonn später. Besonders zermürbend sei die Ungewissheit. "Diesen Konflikt zwischen Hoffen und Bangen hält kein Mensch lange aus." Seit Sonnabend wird die Familie von Notfallseelsorgern betreut.
Auch am Sonntagabend haben die Retter die Hoffnung nicht aufgegeben, den Jungen doch noch lebend zu finden. Polizeihauptkommissar Jörg Bethmann spricht das aus, was sich viele Weißenfelser zu dieser Zeit auch wünschen: "Wir hoffen, dass er sich vor Schreck vielleicht irgendwo versteckt hat."

