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Ungewöhnliches Hobby Ungewöhnliches Hobby: Zeitreise mit dem Schmalfilm ins Unbekannte

Von Ralf Böhme 01.02.2013, 20:27

Teicha/MZ. - Es könnte eine gemütliche Skat-Runde sein. Aber nur auf den ersten Blick. Was fehlen sind die Karten. An ihrer Stelle liegen schmale Filmdosen auf dem Stammtisch der Oldtimer-Gaststätte in Teicha (Saalekreis). Das dünne Blech umhüllt dabei Schätze: alte Schmalfilme, die einladen zu ungewöhnlichen Zeitreisen. Manch einer spricht schon von einem neuen Trend. Stehen solche Streifen in Filmklubs und Dorfgemeinschaftshäusern auf dem Programm, bleibt neuerdings häufig kein Platz frei. In diesem Fall führt die exklusive Tour ganz weit zurück, bis in die 1950er Jahre.

"Reiseleiter" ist Torsten Bageritz. Der Hallenser erzählt die Film-Geschichte beim allmonatlichen Schmalfilmer-Treffen. Seine Story, die spannend wie ein Polizeiruf 110 klingt, beginnt auf einem Flohmarkt in Markkleeberg bei Leipzig. "Und wie so oft beim Schmalfilm führt dabei der Zufall die Regie." Denn dort kauft der Hallenser aus reiner Neugier, wie der 44-Jährige sagt, "eine Katze im Sack". Das ist ein zerbeulter Schuhkarton - gefüllt mit alten Filmrollen.

Was auch dem Laien auffällt: Die Streifen sind verstaubt wie Schuhe, die Jahre lang nicht geputzt sind. Aber wer und was dort darauf zu sehen ist, weiß nicht einmal der Verkäufer. Bageritz wittert ein Geheimnis, das er lüften will. So wechselt der Dachboden-Fund für zehn Euro den Besitzer. Für einen Freak, der das Hobby seit fast 30 Jahren betreibt, ist das Geld gut angelegt. "Ich glaube, es ist so etwas wie Jagdfieber, auch eine Sehnsucht nach dem Ursprünglichen."

Mit dem Erwerb der acht Millimeter breiten Kunststoff-Streifen ist es freilich nicht getan. Jetzt folgt die mühevolle Kleinarbeit. Der Mann, der im Sozialamt des Landkreises in Merseburg arbeitet, erinnert sich: "Als ich die Filmstreifen unter die Lupe nahm, bekam ich doch einen Schreck, ungewöhnlich verstaubt, fleckig, rissig waren sie." Mehr als 300 spröde Stellen müssen geflickt werden. In Feierabendarbeit dauert so etwas mehrere Wochen. Nun endlich ist es soweit: Premiere in Teicha - Film ab!

Die Entdeckung von Dreißigacker

Nur das Surren des Abspielgerätes ist zu hören. Dann die ersten Bilder. Der kleine Kreis der Zuschauer ist gespannt. Aha, stellt man fest, ein Stummfilm in Schwarz-weiß. Und es muss Sommer sein. Auf der Leinwand zieht ein Pferdewagen die staubige Straße entlang. Schließlich laden einige Männer, die schwitzen, schwere Schulbänke aus massiven Holz auf. "Ist das eine Plackerei", meint Bageritz. Doch die Laune der Leute scheint gut zu sein, stellt sein Nachbar, der Schmalfilmer Michael Stabenow aus Halle, fest.

Schnitt. Die Kamera, vermutlich auf ein Stativ montiert, schwenkt in aller Ruhe hinüber zu einem neuen Haus, noch halb Baustelle. Eine Einblendung zeigt die Aufschrift "Schule". Dann wieder schweift der Blick rundum - ins Bild rückt ein Dorf in sonniger Hügellandschaft. Sein Name bleibt noch fast eine Stunde lang ein Rätsel. Erst gegen Ende der filmischen Chronik, und gerade da wackelt das Bild ein wenig, taucht für einen Moment ein Ortsschild auf. Bageritz stoppt den Projektor, spult zurück. Das Ganze noch einmal und noch einmal, endlich ist sich die Runde sicher: Dreißigacker, so das halb entzifferte, halb geratene Ergebnis .

Dreißigacker - niemand im Raum kennt diesen seltenen Namen. Gastwirt und Schmalfilm-Enthusiast Ralf Schaum, ein gebürtiger Thüringer, wagt einen Tipp: "Dreißigacker, das klingt irgendwie nach Thüringer Wald." Und Tatsache, der Mann behält Recht. Das Dorf gehört seit seiner Eingemeindung als Ortsteil zur Stadt Meiningen, wie sich bei einer Internet-Recherche herausstellt. Wenig später trifft sogar eine erste Reaktion aus Dreißigacker ein: Man sei begierig, den seit Jahrzehnten verschollenen Streifen zu sehen, teilt der Heimatverein mit. Einer der Kameraleute von einst - Ernst Bürkel, Ex-Lehrer, über 80 Jahre - lebe noch und sei glücklich über den Fund. Seine Hoffnung: die baldige Aufführung seines Films in Dreißigacker.

Das Beispiel zeigt, wie die Erinnerungen auch heute noch Emotionen wecken. Möglicherweise ist das auch eine Erklärung dafür, warum sich seit einigen Jahren immer mehr Menschen wieder Schmalfilme aus Kindheits- und Jugendtagen ansehen. Meistens geben die Amateur- Streifen der Nachwelt aber vor allen Dingen viele Rätsel auf. Diese Erfahrung kann Bageritz belegen.

Seit Jahren beispielsweise versucht der Schmalfilm-Freak und Heimatforscher den historischen Hintergrund eines Streifens aus der Kolonialzeit auf der Insel Sumatra - heute Teil von Indonesien - zu erhellen. Leider kommt er damit kaum voran. "Dabei ist es offenkundig die Arbeit eines ziemlich versierten Kameramannes, der sogar eine dramatische Jagd auf einen Tiger im Film festgehalten hat, und das in Großaufnahmen."

Tigerjagd ganz groß im Bild

Was Bageritz nach Stippvisiten in diversen Archiven inzwischen sicher weiß: Der Schmalfilm-Dreh liegt wahrscheinlich 70 Jahre zurück und sein Hauptheld stammt womöglich aus Bremen. "Preisfrage: Wer war zwischen 1940 und 1942 längere Zeit auf Sumatra?"

Seit zwölf Jahren lädt Bageritz alljährlich im Oktober zu einem Abend unter dem Motto "Gefundene Filme" ins Museum auf den Petersberg (Saalekreis) ein. Ralf Schaum, der ehemalige Motorrad-Rennfahrer und Technik-Fan, stellt gern von ihm und seinen Freunden restauriertes historisches Filmgerät im Dorfgasthof aus. Und Michael Stabenow präsentiert seine Halle-Chronik auf Schmalfilm im kleinen City-Kino "Zazie".

Was das Trio zur Ausnahme macht: Jeder filmt selbst, unbeeindruckt von der technischen Entwicklung. Weder an Filmmaterial noch an Ersatzteilen für Kameras und Projektoren herrsche bislang ein Mangel. Und der klassische Film nach Wolfener Rezept sei immer noch das haltbarste Medium, so ihre Überzeugung.