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Tagebau Schleenhain Tagebau Schleenhain: Bagger-Havarie gibt Rätsel auf

Von Ralf Böhme 15.10.2012, 18:45
Ein rund 950 Tonnen schwerer Bagger liegt im Tagebau Vereinigtes Schleenhain bei Deutzen, nachdem er von einer Abraumkante verschüttet wurde. (FOTO: DAPD)
Ein rund 950 Tonnen schwerer Bagger liegt im Tagebau Vereinigtes Schleenhain bei Deutzen, nachdem er von einer Abraumkante verschüttet wurde. (FOTO: DAPD) dapd

Deutzen/MZ. - Wie ein eingeklemmter Riesensaurier steckt der Kohlebagger fest. 1 000 Tonnen Stahl können weder vor noch zurück - herabgestürztes Erdreich drückt das Großgerät auf die Seite. Menschen sind bei der Havarie Ende August glücklicherweise nicht zu Schaden gekommen. Seit sechs Wochen grübeln nun Bergleute und Wissenschaftler, was zu tun ist. Ratschläge dafür gibt es reichlich, vor allem am Aussichtspunkt hoch über dem Tagebau Vereinigtes Schleenhain. In Scharen wandern die Schaulustigen dorthin. Manchmal herrscht im Umfeld deshalb sogar Stau. Dann ist der Parkplatz voll, vor allem am Wochenende. Gut dran ist, wer mit dem Zug nach Deutzen (Landkreis Leipzig) kommt. Vom Bahnhof sind es kaum 500 Meter bis zur Unglücksstelle.

Warten auf Gutachten

Wie lange das Ungetüm noch so da liegt, ist ungewiss. Bislang schütten Kipper große Mengen Kies auf die Zufahrten, um später womöglich schweres Gerät bugsieren zu können. Zunächst jedoch will das Bergbauunternehmen Mibrag ein Gutachten abwarten und auswerten, warum die Erdmassen überhaupt ins Rutschen geraten sind. Pressereferentin Elke Hagenau rechnet damit, dass vielleicht Anfang Dezember "eine der wichtigsten Etappen der Bergung" erfolgt. Bis dahin werde man keine Fragen zu den laufenden Untersuchungen und Vorbereitungen beantworten. Die Folge: Für Besucher an der Tagebaukante gibt es genügend Raum für Spekulationen.

Heiner Schwarzenau aus Zeitz ist bereits zum vierten Mal hier. Seinen Beobachtungen zufolge habe die Mibrag damit begonnen, ausgewählte Elemente vom Bagger zu entfernen. Der gelernte Stahlbauschlosser bezweifelt, ob die Anlage nach einer möglichen Bergung noch einsatzfähig ist. "Wenn zentrale Teile wie die Antriebswelle verzogen sind, wartet nur noch der Schrottplatz." Marcel Pannicke, ein Ausflügler aus Altenburg, erinnert sich an eine Erzählung seines Großvaters. Der alte Bergmann habe erzählt, dass im benachbarten Tagebau Haselbach in den 1980er Jahren etwas Ähnliches passiert sei. Dabei habe eine herabfallende Böschung einen Baggerfahrer erschlagen. Inzwischen sei die Anlage, die man damals wohl nur zur Hälfte bergen konnte, geflutet. Ein Badesee ist entstanden.

Plötzlich blinken auf der Tagebausohle - vielleicht 60 Meter unter dem Aussichtspunkt - einige Lichter auf. Sogleich fragen sich die Zaungäste, ob ein neues Problem aufgetaucht ist? Leider ist niemand vom Unternehmen vor Ort, der Auskunft geben könnte. Lediglich der wortkarge Wachmann eines Sicherheitsunternehmens achtet auf Ordnung im Revier. So versucht Sebastian Lehmann, ein junger Mann aus Leipzig, eine Erklärung. Er meint: "Die Lichter signalisieren, dass die Bandanlage wieder in Betrieb ist." Sie bringe die Kohle direkt ins Kraftwerk Lippendorf. Es steht ganz in der Nähe. Aus seinen Kühltürmen steigen dicke Dampfwolken auf. Jeder, der sich der Region über die A 38 nähert, sieht sie wie Wegweiser schon aus 15 Kilometer Entfernung.

Schautafeln am Aussichtspunkt veranschaulichen die Entwicklung des kurz nach dem Zweiten Weltkrieg aufgeschlossenen Tagesbaus. Beim Abbau ist kein Ende abzusehen: Die Mibrag schätzt die erkundeten Vorräte auf 300 Millionen Tonnen. Die Flöze erreichen teils eine beeindruckende Stärke - bis zu 30 Meter. Vor diesem Hintergrund leuchtet manchem Besucher allerdings die offizielle Mitteilung des Unternehmens nicht ganz ein. Aus ihr geht unter anderem hervor, dass der eingeklemmte und verschüttete Bagger in einem bergbaulich komplizierten Abschnitt steht - die Altkippe Regis. Edeltraud Wagner aus Borna, deren Mann vier Jahrzehnte im Bergbau tätig gewesen ist, macht die Mibrag-Bosse für die Havarie verantwortlich. Es sei die blanke Gier. Denn genau an der Unglücksstelle habe man schon früher einmal abgebaut. Nun wolle man den Rest rausholen. Das sei der Grund, warum ein Teil der aufgeschütteten Kippe riskant wieder abgetragen werden solle. Und das sei nun gründlich schief gegangen.

Restrisiko bleibt

Carsten Drebenstedt von der Bergakademie Freiberg schränkt ein: Ein Restrisiko bleibe trotz intensiver Bohrerkundung immer - in jedem Tagebau, sagt der Professor. Schließlich sei der Kohleabbau immer ein erheblicher Eingriff in die Natur, die stets nach Gelände- und damit auch Energieausgleich strebe. Böschungen etwa, die für die jeweiligen Verhältnisse zu steil sind, müssen ihm zufolge zwangsläufig nachgeben. Zwar gebe es Erfahrungswerte, aber es komme immer auf die genauen Umstände an. Feste Kohle erlaube mitunter steile Böschungen von 50 oder gar 60 Grad, bei Sand hingegen sei eine flache Neigung von unter 34 Grad angesagt. Komme sogar noch Wasser ins Spiel, müsse man extrem vorsichtig zu Werke gehen.

Mit einer Annahme räumt der Geotechniker freilich auf: Die Bergung mit Hilfe eines Krans, das könne man vergessen. So einen Kran gebe es einfach nicht. Deshalb sieht Drebenstedts Fahrplan so aus: Als erster Schritt muss der Abschnitt möglichst intensiv entwässert werden. Das mache den Untergrund fest. Der zweite Schritt sollte auf eine Stabilisierung des Gerätes durch Erdaufschüttung und Schwellen-Stapel hinauslaufen. Und schließlich erhofft sich der Professor eine Hilfe durch hydraulische Zylinder, die den Koloss dann Zentimeter für Zentimeter anheben. Unabhängig von diesem Lösungsansatz kommt massive Kritik von Umweltschützern. Greenpeace beispielsweise warnt grundsätzlich vor unkalkulierbaren Erdrutschgefahren. Braunkohlentagebaue sind letztlich lebensgefährlich, so Greenpeace-Energieexperte Gerald Neubauer.