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Straßenverkehr Straßenverkehr: Kreuze am Straßenrand zwingen zum Grübeln

Von Katrin Löwe 06.11.2005, 18:56

Quedlinburg/MZ. - Der Film ist keine zwei Minuten lang. Er zeigt ein junges Mädchen, das sich vor dem Spiegel hübsch macht, dann mit dem Fahrrad eine sonnige Allee entlangfährt. Erst das überraschende Ende macht nachdenklich. Das Mädchen legt Blumen an einer Unfallstelle nieder. Die Perspektive der Kamera wechselt, offenbart den Blick auf eine Beinprothese, die die Langhaarige ein Leben lang an das Unfassbare erinnern wird.

"Das ist schon beeindruckend", sagt die 18-jährige Stefanie Vogelbein. Sie ist Fahrschülerin bei Wolfgang Habenreich in Quedlinburg, der den Film in der theoretischen Ausbildung nutzt. "Ich versuche immer, die emotionale Seite mit anzusprechen, so oft wie möglich auf Risiken aufmerksam zu machen", erklärt der 53-Jährige. Mit Schockwirkung? "Manchmal bleibt mir nichts anderes übrig." Wenn Aufmerksamkeit nachzulassen droht, weil Fragen der Fahrphysik zu trocken erscheinen. "Dabei sind gerade die den wenigsten bewusst. Aber Fliehkräfte können Sie auch mit modernsten Autos nicht außer Kraft setzen", sagt er.

Blumen mahnen

Wenig später sitzt Stefanie Vogelbein am Steuer, nimmt ihre 25. Fahrstunde. Auf dem Weg nach Quarmbeck passiert der Fahrschul-VW Blumen am Straßenrand. Erst kürzlich hat ein 21-jähriger Motorradfahrer hier mit überhöhtem Tempo einen 71-jährigen Radfahrer erfasst. Der Senior starb. Habenreich scheut sich nicht, darauf hinzuweisen. Weil er weiß, was seine Schüler zuvor gesagt haben: Dass Kreuze in der Region nachdenklich machen. Alle anderen Unfälle, so schlimm sie auch sind, "gehören irgendwie dazu", sind Alltag.

Stefanie Vogelbein steuert den VW inzwischen durch die Innenstadt. In korrekter Sitzhaltung, mit peinlich genauem Blinken bei jedem Richtungswechsel, mit Schulterblicken, wie man sie in der Fahrschule lernt. Habenreich hofft, dass all das auch nach der Prüfung bleiben wird. "Für viele ist es später uncool, so zu fahren wie in der Fahrschule", weiß er. Von der Clique als Feigling hingestellt zu werden, das wollen sich vor allem junge Männer nicht antun. Obwohl jeder Fehler endgültig sein kann. Das weiß auch Frank Bernhardt, der bald mit dem Audi A6 der Eltern fahren will. 17 Jahre alt ist er, mitten in der Fahrausbildung. Und er erkennt bei Freunden: "Der Spaß fährt mit." Auch der Spaß am schnellen Fahren. Ob sie alle ihre Grenzen kennen? "Das hoffe ich", sagt er.

Defizite aufzeigen

Fahrlehrer Habenreich wünscht sich, dass mehr junge Leute die 2004 eingeführte zweite Phase der Fahrausbildung nutzen. In ihr haben Anfänger nach einem halben Jahr Praxis Gelegenheit, über Erfahrungen zu berichten, in einem Sicherheitstraining ihr Auto noch besser beherrschen zu lernen. Drei solcher 180 Euro teuren Kurse hat der Quedlinburger veranstaltet - mit Mühe, je sechs Teilnehmer zusammenzukriegen, obwohl Probezeitverkürzung und Versicherungsrabatte winken.

Fälle wie der von Sophia Mühlberg sind selten. Die 18-Jährige hat den freiwilligen Kurs selbst finanziert. "Ich wollte wissen, welche Defizite ich habe", sagt sie. Auch ein Beinahe-Unfall hat sie ins Grübeln gebracht. "Da war ich in Eile, das hätte nicht sein müssen."

Stefanie Vogelbein ist noch nicht so weit. Sie steht kurz vor ihrer Prüfung, übt noch einmal Einparken, denkt an den Schulterblick. Die Idee des Kurses findet aber auch sie gut. Und Habenreich hofft, dass es dabei bleibt, dass keiner seiner Schüler später einen schweren Unfall hat. "Es wäre die Hölle für mich, wenn eine Mutter in Schwarz zu mir käme."