Stadtgottesacker in Halle Stadtgottesacker in Halle: Stifterin wird für ihre Millionenspende geehrt
Halle/MZ. - So beginnen Märchen, aber dieses spielte Anfang der neunziger Jahre und wurde wahr. Marianne Witte aus Mülheim an der Ruhr, promovierte Ärztin, Mutter von fünf Kindern, Großmutter von zehn Enkeln, rief eine Stiftung ins Leben - und ließ dem Stadtgottesacker mit den Jahren mehr als fünf Millionen Euro zufließen. In diesem Jahr kommt eine weitere Millionen hinzu, und so kommt es, dass der gut 400 Jahre alte Friedhof demnächst wieder in alter Schönheit erstrahlt.
Jahrelang blieb im Dunkeln, woher die Millionenspenden kamen. Am Mittwoch wird auf dem Stadtgottesacker eine Tafel zu Ehren der Stifterin enthüllt. Bereits am Dienstag stellte sie sich im Studio des lokalen Fernsehsenders TV Halle den Fragen von MZ-Chefredakteurin Monika Zimmermann. Marianne Witte: Eine 80-jährige fröhliche Frau, in dunkelblauem Blazer und hellblauer Jeanshose. "Ach Gott", sagt sie, als sie ins Studio tritt. "Da musst du jetzt durch", sagt ihr Mann.
Mehr als sechs Millionen Euro - es ist die größte Privatspende, die nach der Wende nach Halle geflossen ist: "Ich wollte von dem relativ großen Vermögen, zu dem ich nichts beigetragen habe, etwas zurückgeben", sagt Marianne Witte. Ihr Engagement für den Stadtgottesacker geschehe "in dankbarer Erinnerung an meinen Vater".
Der hieß Karl Ziegler. Er übernahm 1936 eine Professur in der Saalestadt und wurde Direktor des Chemischen Instituts. Von Heidelberg zog die Familie nach Halle. Gemeinsam mit Giulio Natta entwickelte Karl Ziegler später die Ziegler-Natta-Katalyse - erstmals gelang den beiden, vereinfacht gesagt, Plastik unter Normalbedingungen herzustellen. Die daraus folgenden Patente warfen ein Vermögen ab. 1963 bekamen Ziegler und Natta den Chemie-Nobelpreis; Karl Ziegler war da bereits Direktor des Max-Planck-Instituts für Kohlenforschung in Mülheim.
Dass sie schon damals den Stadtgottesacker bewusst wahrgenommen hat, daran kann sich Marianne Witte heute nicht erinnern. Warum aber hat sie sich gerade den Stadtgottesacker ausgesucht? "Wir wollten einen sinnvollen Beitrag zum Aufbau Ost leisten", sagt sie und: "Für Friedhöfe wird als Letztes was getan." Aber der Stadtgottesacker ist ja nicht irgendein Friedhof. In der Tat gehört er zu Halles wichtigsten Sehenswürdigkeiten und gilt als bedeutendster Renaissance-Friedhof Europas.
Stadtbaumeister Nickel Hofmann errichtete ihn 1590 bis 1594 nach dem Vorbild eines italienischen Campo Santi; eine solche Anlage gibt es nördlich der Alpen keine zweite. Angelegt wurde der Stadtgottesacker bereits im Jahr 1529, damals befand er sich noch außerhalb der Stadtmauern. Umgeben wird die Anlage von 94 Grabbogen-Gewölben. Viele bedeutende Persönlichkeiten haben dort ihre letzte Ruhestätte gefunden: August Hermann Francke, der Gründer der Franckeschen Stiftungen, August Hermann Niemeyer, ein Urenkel Franckes, der als zweiter Gründer der Stiftungen bezeichnet wird, der Aufklärer Christian Thomasius, geistiger Vater der halleschen Universität, sowie der Komponist Robert Franz.
1945 wurde der Friedhof bei Bombenangriffen stark beschädigt - allein am 31. März stürzten bei einem Angriff 27 Schwibbögen in sich zusammen. Seit der Wende bemüht sich die Stadt darum, die alte Schönheit des Friedhofs wiederherzustellen. Ohne die regelmäßigen Millionenspenden Marianne Wittes wäre ein Ende der Arbeiten wohl auf Jahre nicht abzusehen gewesen. Heute sagt die Stadt der großen Gönnerin Danke.