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Spurensuche Spurensuche: Skatkarten im Elbe-Schlamm

Von Steffen Könau 04.07.2005, 18:32

Lödderitz/MZ. - Die Flotte des Römer-Kaisers Tiberius fuhr vor 2 000 Jahren die Elbe hinauf, um einen Feldzug gegen die Markomannen vorzubereiten. Mitteldeutschland fand mit den Notizen eines Reiterobersten den Weg in die Geschichtsbücher - gefeiert aber wird das Jubiläum nicht.

Das Getreide steht kniehoch. Bis zum Wald eine sattgrüne Fläche, mittendrin ein kippliger Hochstand. Bernd Willing stiefelt durch die Saat und schüttelt den Kopf. "Das ist nicht weiter schlimm", sagt er, "man sieht nämlich sowieso nichts."

Nur jemandem wie Willing, als Geschichtskenner geübt im Aufspüren kleinster Unregelmäßigkeiten im Gelände, fällt auf, dass die Felder beim Örtchen Lödderitz in der Nähe von Aken seltsame Unterschiede aufweisen. "Links", beschreibt der Forscher, "ist alles voller Scherben." Rechts dagegen sei nie etwas gefunden worden.

Feld am Elbe-Ufer

Dabei könnte gerade dieses Feld, nur ein paar hundert Meter vom Ufer der Elbe entfernt, historischer Boden sein. Bernd Willing zumindest, von Beruf technischer Diagnostiker und von Berufung Experte für die Römerzeit, wäre nicht überrascht. "Auch wenn man vorsichtig sein muss mit solchen Aussagen", tastet er sich voran, "weil man sonst sofort als Spinner gilt."

Doch eigentlich ist die Indizienkette, an der Willing und andere seit Jahren knüpfen, fest genug, eine Galeere aus dem dicksten Elbeschlamm zu ziehen. Einerseits sind da die Luftaufnahmen von Lödderitz, die auf dem Acker die typischen Umrisse eines römischen Feldlagers zeigen. "Solche Lager", erläutert Bernd Willing mit dem Finger auf dem Blatt, "haben immer die Form einer Skatkarte."

Und andererseits gibt es die Augenzeugenberichte von jenem sagenhaften Feldzug, den der römische Kaiser Tiberius im Jahr 5 nach Christus gegen den Markomannenhäuptling Marbod vorbereitete. Nach den Aufzeichnungen des Reiterobersten Velleius Paterculus fuhr die römische Flotte damals durch das Siedlungsgebiet der Hermunduren, die nach Überzeugung der Germanen-Expertin Erika Schmidt-Thielbeer bei Köthen lebten. Am 400. Meilenstein der Elbe dann, berichtet Velleius, hätten sich die aus Richtung Mainz herbeimarschierenden Legionen unter Tiberius mit ihrer Flotte getroffen.

Für Bernd Willing ein Puzzle, in dem alle Teile wie von selbst an den richtigen Platz schnappen. Die skatkartenförmige Vegetationsmarke eines Römerlagers ist auf Luftaufnahmen von Lödderitz deutlich zu sehen. Die Elbe ist in der Nähe. Die Entfernung stimmt. Ist das also der Ort, an dem Tiberius lagerte? "Wenn ja", sagt Willing, "markieren die Aufzeichnungen darüber das Heraustreten unserer Region aus dem vorgeschichtlichen Dunkel - vor genau 2 000 Jahren".

Einigkeit über den genauen Ort des Treffens aber herrscht nicht in der diskussionsfreudigen Römer-Gemeinde. Lödderitz hat Konkurrenz, weil niemand weiß, von wo aus Velleius seine 400 Meilen zählte. "Es könnte hier sein", sagt Willing ganz realistisch, "oder eine Flussbiegung weiter." Die Schwierigkeit liege darin, dass der heutige Kenntnisstand über das Germanien der Römerzeit "beschämend gering" sei. "Wir wissen nicht mal, ob der ,Salas' der Römer die Saale meint."

Nicht das einzige Problem, mit dem die Römer-Forscher zu kämpfen haben. Es fehlt an Beweisen, an greifbaren, anfassbaren - nicht nur in Lödderitz. "Leider ist bis heute auf dem ganzen Gebiet der Ex-DDR nicht ein einziges Römerlager archäologisch nachgewiesen worden", klagt Bernd Willing. Obwohl sie da sein müssen, die Lager, weil die Legionen auf ihrem Marsch natürlich regelmäßig rasten mussten.

Jubiläum ohne Feier

Doch das ist lange her. Und niemand sucht so richtig danach. Zu DDR-Zeiten habe aus politischen Gründen kein Interesse bestanden, die Spuren der Römer zu finden, klagt Willing. Heute dagegen ständen Augustus und Germanicus im Schatten von Entdeckungen aus Bronze- und Eisenzeit.

Selbst das 2 000. Jubiläum der Ersterwähnung der Region in den Geschichtsbüchern mag deshalb niemand im Lande feiern. Zu Bernd Willings großem Kummer reagierten weder die alarmierte Landesregierung noch lokale Politiker auf die Anregung, den Anlass doch dafür zu nutzen, "ein bisschen für unser Land zu trommeln."

Statt dass sich die Menschenmassen im nachgebauten Römerlager gegenseitig auf die Sandalenfüße treten, wächst also weiter Gras über die Geschichte. Doch zwei Landvermesser ziehen dieser Tage übers Feld bei Lödderitz, um Baufreiheit für den neuen Elbedeich zu schaffen, der nächstes Jahr entstehen soll. Für Bernd Willing die beste Nachricht seit langem: "Vielleicht", hofft er, "finden wir ja dann echte Beweise."