Schulserie Teil 1 Schulserie Teil 1 : App statt Kreide - so funktioniert die digitale Schule

Raßnitz - Der Arm von Nele geht zuerst nach oben. Dann folgen Fiona und die anderen Kinder der Klasse 2a der Grundschule „Paul Maar“ in Raßnitz (Saalekreis). In ihren Händen halten sie laminierte Zettel. Auf denen ist ein schwarz-weißes Muster zu erkennen - sogenannte QR-Codes.
„Die kann man jetzt mit einem Handy einscannen“, erklärt Solvejg Mettin. Und das macht die Klassenlehrerin auch gleich. Sie richtet die Kamera ihres Telefons auf ihre Schüler. Ein Kärtchen nach dem anderen wird eingelesen. „Das ist Plickers - unsere neueste Entdeckung“, sagt Mettin.
Schluss mit Kreide und Schwamm - Kinder lernen mit interaktiver Tafel
Hinter dem Namen verbirgt sich ein Lernspiel. Auf der interaktiven Tafel, die im Klassenraum der 2a die Kreideschreibfläche längst ersetzt hat, steht ein Wort: „Stadt“. Nun soll dessen Wortart bestimmt werden. Vier Möglichkeiten stehen zur Auswahl: Substantiv, Verb, Adjektiv oder Artikel.
Die Schüler antworten, indem sie ihren Zettel entsprechend drehen. Jede der vier möglichen Arten, den QR-Code nach oben zu halten, steht für eine der Antworten: A, B, C oder D. Solvejg Mettin scannt nun die Codes und bekommt sofort das Ergebnis auf ihr Mobiltelefon: „Alle haben Substantiv ausgewählt, 100 Prozent richtig - sehr gut, nächstes Wort“.
So funktioniert die virtuelle Schule
Plickers ist ein Beispiel dafür, wie in der Grundschule im Saalekreis moderne Medien in den Unterricht eingebunden werden. Statt Kreide, Schwamm und Polylux gibt es hier Beamer, Tablets und drahtloses Internet. Und die Online-Plattform „Moodle“, eine Art virtuelle Schule auf der Dateien ausgetauscht und Übungsaufgaben gemacht werden können. „Wir haben schon mehr als 40 Lerneinheiten online“, sagt Solvejg Mettin, die auch Schulleiterin ist.
Die Raßnitzer sind, was man digitale Vorreiter nennt. Eine Schule, die ganz nach dem Geschmack der Bundesbildungsministerin sein dürfte. Anja Karliczek (CDU) hatte Mitte April ein Umdenken in ihrem Bereich gefordert. Neben neuen Fächern plädiert sie auch für einen stärkeren Einsatz von Tablets und Mobiltelefonen in Schulen.
Schamgefühl bei Offline-Schulen?
Der Vorstoß der Ministerin stieß nicht nur auf Wohlwollen. Kritisiert wurde etwa die fehlende technische Ausstattung. Denn um mit Tablets zu arbeiten, muss man die erst einmal besitzen. Die MZ hat deswegen auch eine Schule gesucht, deren Technik veraltet ist. Allerdings war keine der angefragten Einrichtungen zu einem Gespräch bereit.
Selbst der Weg über Interessenvertretungen wie den Grundschulverband hatte keinen Erfolg. Dessen Vorsitzende Thekla Mayerhofer meint: „Die Angst, als Einrichtung auch vor Eltern negativ dazustehen, ist anscheinend zu groß.“
Schulen haben oft größere Baustellen als Digitalisierung
Dabei können die Schulen mitunter nichts für eine rückständige Ausstattung. Viele Direktoren haben größere Baustellen als die eigene IT-Infrastruktur. Manchmal ist die größte Baustelle sogar, dass es keinen Direktor gibt. Hinzu kommt, dass bei fast allen Ausschreibungen ein Eigenanteil gefordert wird. Den muss der Schulträger aufbringen, zumeist also die Kommunen. Und deren Kassen sind oft leer.
Die Grundschule „Paul Maar“ hat da einen Vorteil. Raßnitz liegt in Schkopau, einer der reichsten Gemeinden in Sachsen-Anhalt. Als Solvejg Mettin Anfang 2017 in der MZ vom neuen Digitalisierungs-Programm des Landes las, rief sie sofort Schkopaus Bürgermeister an.
„Der war begeistert“, erzählt sie. Der Eigenanteil von 25 Prozent wurde besorgt und alle vier Grundschulen in der Gemeinde bewarben sich mit einem eigenen Medienkonzept um die Förderung. „Ende März kamen die Ergebnisse“, sagt Mettin. „Und unsere Schule hat die Höchstpunktzahl erreicht.“
Lern-Apps haben auch ihre Tücken
Sollte es die Förderung geben, will die Schulleiterin davon neue Laptops, mehr interaktive Tafeln und einen weiteren Satz Tablets kaufen. „Derzeit haben wir nur 16 iPads - zu wenig für eine Klasse“, sagt Mettin. Deswegen müssen immer zwei Schüler mit einem Gerät arbeiten. Auf Dauer sei das nicht optimal.
Welche Apps auf die Tablets kommen, sucht die Schulleiterin aus. Inspirationen holt sie sich bei Kollegen oder auf Testseiten. Vor dem Einsatz prüfe sie jede Anwendung: „Denn was auf den ersten Blick gut aussieht, kann didaktisch ganz schöner Murks sein“, sagt Mettin. Sie öffnet eine App, bei der aus Buchstaben ein Wort gelegt werden soll.
„Vom Ansatz her ist das gut gedacht“, sagt Mettin. Dann berührt sie ein „R“. Aus den Lautsprechern tönt ein gesprochenes „Er“ - und die Schulleiterin schüttelt den Kopf. „In der ersten Klasse benutzen wir nicht den gesprochenen Buchstaben, sondern den Laut.“ Richtig müsste es also „Rrr“ heißen - wie das Knurren eines Hundes. Für den Unterricht ist die App also unbrauchbar.
Gefahren der digitalen Welt
An Alternativen mangelt es jedoch nicht. Solvejg Mettin öffnet interaktive Geschichten, Zahlenraum-Programme und eine virtuelle Puppenbühne. „Mit der können die Schüler kleine Videos gestalten und die dann auf der interaktiven Tafel zeigen.“ Außerdem ist es möglich, die Filme auf die schuleigene Plattform hochzuladen. „Und dort können sich dann auch die Eltern anschauen, was ihre Kinder so machen.“
Für Mettin gehören solche Anwendungen in die Schule. „Die Kinder wachsen in einer Gesellschaft auf, in der digitale Medien allgegenwärtig sind.“ Über das Smartphone wischen ist so eingeübt wie die Seite in einem Buch umblättern. „Das kann man in der Schule nicht einfach ausblenden.“
Das bedeute jedoch nicht, dass in Raßnitz nicht auch in der Fibel gelesen und ins Schulheft geschrieben wird. „Es geht nicht darum, die alten Methoden zu verwerfen, sondern durch neue zu ergänzen“, sagt sie.
Dass die digitale Welt auch Gefahren mit sich bringt, dessen ist sich die Schulleiterin bewusst. „Wenn ich zum Beispiel nicht weiß, wo der Server eines Programms steht, benutze ich keine Namen meiner Schüler, sondern nur Anfangsbuchstaben.“ So ist es etwa bei Plickers, dem Spiel mit den QR-Codes.
Nach mehreren Runden „Wortarten bestimmen“, folgt die Auswertung. Und die zeigt eine Schwäche der 2a: „Die Adjektive wurden nur zu 60 Prozent richtig erkannt“, resümiert Solvejg Mettin. „Da müssen wir also noch ein bisschen üben.“ (mz)