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Schönebeck Schönebeck: Oberbürgermeister droht die Abwahl

Von Jan-Ole Prasse 20.07.2013, 13:52
Der Stadtrat und Stadtteilwehrleiter Daniel Schürmann saß im Krisenstab, als Oberbürgermeister Hans-Jürgen Haase am ersten Tag nach seinem Urlaub die Feuerwehrleute als Flachzangen beschimpft haben soll.
Der Stadtrat und Stadtteilwehrleiter Daniel Schürmann saß im Krisenstab, als Oberbürgermeister Hans-Jürgen Haase am ersten Tag nach seinem Urlaub die Feuerwehrleute als Flachzangen beschimpft haben soll. A. Stedtler Lizenz

Schönebeck/MZ - Ein brauner Schlammpanzer auf Heckenrosen-Blättern am Elbufer ist fast alles, was in Schönebeck (Salzlandkreis) noch direkt an die Flut erinnert. 100 Meter weiter hängt noch ein Pappschild an einem Laternenmast. „Ein riesiges Dankeschön allen fleißigen Helfern sagen die Bewohner des Elbtores“ steht dort in großen Buchstaben. So friedlich und aufgeräumt die Szenerie sechs Wochen nach dem Hochwasserscheitel auch wirkt: In der 34?000-Einwohnerstadt brodelt es weiter gewaltig. Im Zentrum der Kritik: Oberbürgermeister Hans-Jürgen Haase (parteilos).

Dienstältestes Stadtoberhaupt in Sachsen-Anhalt

„Der Mensch ist nicht mehr tragbar“, sagt Günter Vogt, der im Stadtpark mit seinem Terrier spazieren geht. Dabei geht es um ein politisches Schwergewicht, einen erfahrenen Mann. Haase, seit 23 Jahren im Amt, ist dienstältestes Stadtoberhaupt in Sachsen-Anhalt. Doch damit könnte es bald vorbei sein. Der Stadtrat hat ein Abwahlverfahren beschlossen - 36 von 37 Mitgliedern stimmten dafür. Am 22. September - am Tag der Bundestagswahl - sollen die Bürger abstimmen. Es wäre die erste erfolgreiche Abwahl eines Oberbürgermeisters in Sachsen-Anhalt.

Der Grund für die Wut und Empörung in der Stadt an der Elbe: Haase war nicht da, als das Wasser kam. Während rund 5?000 Helfer gegen die Fluten kämpften, machte der Oberbürgermeister Urlaub. Wo er war, das will er bis heute nicht sagen. „Es war bekannt, bevor er losgefahren ist, dass der Scheitel in der Woche höher wird als 2002“, sagt Torsten Pillat, CDU-Fraktionsvorsitzender im Stadtrat. Erst nach knapp sechs Tagen, am 9. Juni, kam Haase zurück - genau an dem Tag, als der Pegel das erste Mal wieder gefallen ist.

In der Wut sind sich die Schönebecker einig

Es sind diese sechs Tage, die den 65-Jährigen sein Amt kosten könnten. Denn in der Wut sind sich die Schönebecker einig. Das ist auch in der Fußgängerzone zu spüren. „Der hat uns im Stich gelassen“, sagt Rene Backhaus. Der 22-Jährige hat selbst Sandsäcke gefüllt, als die Elbe ab 4. Juni immer näher rückte und bereits die ersten Stadtteile überflutete. Nur wenige Meter weiter schimpft eine junge Frau aus der Stadtverwaltung, die ihren Namen nicht nennen will: „Wenn einer in dieser Position während der Flut weg ist, dann muss er dafür büßen.“ Besonders kreidet sie dem Oberbürgermeister an, dass er sich bisher nicht für seine Abwesenheit entschuldigt habe.

Haase hat sich bislang auch vor dem Stadtrat nicht persönlich geäußert. Weder am 4. Juli, als es um seinen Urlaub ging, noch bei der Sitzung am 11. Juli, als der Abwahlantrag beschlossen wurde, war er anwesend. Jetzt sei er zwei Wochen lang krankgeschrieben, teilt die Pressestelle des Rathauses mit. Einzig ein Brief liegt bisher vor. Darin heißt es, dass der Krisenstab ihm bis zur letzten Minute versichert habe, er könne bedenkenlos in den Urlaub fahren. Sollte seine Abwahl erfolgreich sein, dann wünsche er seinem Nachfolger „die Weisheit, Naturkatastrophen voraussagen zu können“, schreibt Haase mit einer Mischung aus Verbitterung und Zynismus.

Seine Erklärung ist auf viel Unverständnis gestoßen. Steffen Behm, SPD-Fraktionschef, schüttelt nur den Kopf. „Hätte er wenigstens mal in einem Nebensatz erwähnt, dass es ihm leidtut. Aber nichts davon“, sagt der 29 Jahre alte Student in seinem Stammcafé am Marktplatz. Dabei schaut er grimmig zum blumengeschmückten Rathaus auf der anderen Straßenseite. Die SPD-Fraktion war am 16. Juni vorgeprescht und hatte den Abwahlantrag beschlossen, dem sich später auch CDU, Linke, FPD und zwei weitere kleinere Fraktionen anschlossen. „Bei einer Entschuldigung hätte man ja noch mal reden können, aber Haase hat sich ja noch mehr geleistet“, sagt Behm.

Mit dem „Mehr“ meint er einen Vorfall aus der Sitzung des Krisenstabes am 9. Juni - direkt nach der Rückkehr des Oberbürgermeisters. Dort habe er die Feuerwehrleute als „Flachzangen“ beschimpft, sagt der SPD-Stadtrat und Stadtteilwehrleiter von Felgeleben, Daniel Schürmann, der in der Sitzung dabei war. „Wir haben uns alle massiv beleidigt gefühlt“, erklärt der 33-Jährige.

T-Shirts mit dem Aufdruck „Flachzange“

Die mutmaßliche Beschimpfung hat die Feuerwehrleute im Stab auf eine ungewöhnliche Idee gebracht: T-Shirts mit dem Aufdruck „Flachzange“ als besondere Form des Protestes. „Davon gibt es 20 Stück“, sagt Schürmann. „Ich habe das in den folgenden Tagen bei jeder Gelegenheit getragen.“ Haase selbst hat sich auch zu diesen Vorwürfen nicht geäußert.

Bei allem Unmut: Die mögliche Abwahl löst selbst bei der politischen Konkurrenz gemischte Gefühle aus. „Er hätte sich einen Kultstatus erwerben können“, sagt Sabine Dirlich, Fraktionschefin der Linke. Denn Haase war durchaus beliebt. Bei der letzten Wahl 2008 wurde er mit 72,4 Prozent im Amt bestätigt. Und beim Hochwasser 2002 kürte ihn eine große Boulevardzeitung zum „Retter von Schönebeck“, weil er ohne Rücksprache den Katastrophenfall auslöste. Die Wiederwahl 2008 sei jedoch ein Bruch gewesen, sagt CDU-Fraktionschef Pillat. „Seitdem wirkt er amtsmüde.“

Die Hürden für die Abwahl sind hoch. 9?000 Schönebecker müssen gegen Oberbürgermeister Haase stimmen. Und wenn es nicht klappt? Behm macht sich Hoffnung: „Nach allem was passiert ist, glaube ich nicht, dass er um sein Amt kämpfen wird.“

Oberbürgermeister Hans-Jürgen Haase war im Urlaub
Oberbürgermeister Hans-Jürgen Haase war im Urlaub
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Die Elbe in der Schönebecker Innestadt trat über die Ufer. Der Pegel lag deutlich höher als bei der Flut 2002.
Die Elbe in der Schönebecker Innestadt trat über die Ufer. Der Pegel lag deutlich höher als bei der Flut 2002.
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