Sanierung Sanierung: Flutung erhöht das Risiko
COTTBUS/MZ. - Herr Wichter, wie ordnen Sie das Ereignis in Nachterstedt ein?
Wichter: Das Ganze scheint eine Kombination aus Setzungsfließen und Geländebruch zu sein, von denen es in der Lausitz schon mehrere gab. Nach dem Ende der DDR waren 150 Kilometer Tagebau-Kanten dadurch gefährdet. Vom Ausmaß her muss man es unter die größeren Setzungsfließungen einordnen. Das tragische ist, dass in Nachterstedt die Häuser praktisch an der Abbruchkante stehen.
...auf einer über 100 Jahre alten Abraumhalde.
Wichter: Das Tückische ist, dass so etwas beim Sanieren in Vergessenheit geraten kann. Wir hatten das in der Umgebung von Frankfurt / Oder auch, wo mehrere Restlöcher voll gelaufen sind und als Freizeitseen genutzt wurden. Dort wurde man sich sehr spät der Gefahr bewusst und die Ufer wurden erst nachträglich stabilisiert.
Warum rutschen Böschungen vor allem in der Braunkohle?
Wichter: In der Lausitz etwa liegen ziemlich reine und feine Sande mit gerundeten Körnern über der Braunkohle, die dann auf Halden gekippt werden. Wenn dann im Tagebaurestloch das Wasser steigt, steigt auch das Grundwasser in der Böschung - also im aufgeschütteten Sand - auf gleiches Niveau an. Tagebaurest-Löcher, die geflutet werden, gelten daher generell als setzungsfließ-gefährdet. Bei einem Drittel der Lochtiefe beginnt die Gefahr und die Ränder werden instabil. Der Boden bekommt Auftrieb und wiegt etwa eine Tonne pro Kubikmeter weniger als im trockenen Zustand. Gerade der Haldenfuß erhält seine Standfestigkeit aber durch das auf ihm lastende Gewicht. Irgendwann verhält sich dieses Wasser-Sand-Gemisch wie eine Flüssigkeit und kommt ins Rutschen...
Ohne Flutung keine Katastrophe?
Wichter: Ohne Wasser im Restloch wäre die Kippe wohl stehen geblieben, davon gehe ich aus.
Die LMBV schließt einen Zusammenhang mit dem untertägigen Altbergbau nicht aus...
Wichter: In der Literatur wird immer wieder darauf hingewiesen, dass Setzungsfließen eine Initialzündung brauchen. Dazu gehört natürlich auch der Altbergbau. Die Sicherung der Strecken geschah mit Holz, was über die Jahre natürlich verrottet. Es kann schon sein, dass das der Auslöser war.
Ist eine Bergung der Toten möglich?
Wichter: Die Rutschung ist passiert, die Chance, dass es gleich zu einer nächsten Rutschung kommt, ist eigentlich nicht da, denn die Fließrutschmassen haben eine dichtere Lagerung angenommen. Die Deutschen neigen da ein wenig zur Hysterie. Allerdings ist in den abgestürzten Massen eine Ortung von Personen sehr schwierig.
Ihr Kollege, Professor Hossein Tudeshki von der Berg-Uni Clausthal, hat jüngst erklärt, der ganze Ort sei gefährdet und müsse wohl geräumt werden.
Wichter: Das lässt sich bodenmechanisch nicht begründen.