Sachsen Sachsen: Zweigeteiltes Gedenken in Dresden

DRESDEN/MZ. - Wilfried Schulz steht vor dem Dresdner Rathaus, er hält ein großes Transparent: "Gedenken allein reicht nicht", steht darauf. Schulz ist seit zwei Jahren Intendant des Dresdner Schauspielhauses, ein gewitzter Theatermann, der ordentlich Leben in den Bühnenbetrieb gebracht hat. "Die Hilflosigkeit der Stadt macht uns mit hilflos", sagt er und erzählt, dass das Ensemble lange diskutiert hat, was es denn machen soll an diesem Sonntag, dem Dresdner Gedenktag an die Bombenacht vor 66 Jahren. "Reicht eine Menschenkette, wenn sie sich den Nazis und Neonazis nicht entgegenstellt?"
Dresden gedenkt seit Jahren zweigeteilt: Die einen machen Menschenkette, die anderen versuchen, sich den Neonazis in den Weg zu stellen. Etwa 17 000 Menschen haben am Sonntagmittag der Bombardierung der Stadt im Frühjahr 1945 gedacht und sich zu einer imposanten Menschenkette durch die Innenstadt formiert, um damit ein Zeichen gegen einen Neonazi-Aufmarsch am Nachmittag zu setzen.
Am 13. und 14. Februar 1945 waren bei den Luftangriffen britischer und amerikanischer Bomber auf Dresden etwa 25 000 Menschen ums Leben gekommen. Weite Teile der historischen Altstadt brannten nieder, die Frauenkirche stürzte ein. Dieses Datum mahne, dass so etwas nie wieder passieren darf, sagte Dresdens zweiter Bürgermeister Detlef Sittel (CDU). Mit der Menschenkette, zu der ein breites Bündnis aus Politik, Kirchen und Verbänden aufgerufen hatte, setzten die Dresdner ein "stilles und entschiedenes Zeichen" gegen Jung- und Altnazis, die den Gedenktag besudeln würden.
Die Menschenkette, in die sich unter anderem Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich, Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (beide CDU) sowie mehrere Landespolitiker einreihten, führte vorbei an der Synagoge und der wiederaufgebauten Frauenkirche über die Elbbrücken in die Neustadt und zurück. Für fünf Minuten schloss sich die Kette dann mit dem Läuten aller Dresdner Kirchglocken. Kurz nach 14 Uhr löste sich die Kette auf. Im vergangenen Jahr war es Demonstranten gelungen, durch Sitzblockaden einen Neonazimarsch durch die Stadt zu verhindern. Das ging diesmal nicht, weil das Dresdner Verwaltungsgericht den Nazis Recht gegeben hatte: Auch sie dürfen demonstrieren. Wer sie behindert, muss von der Polizei beiseitegeräumt werden.
Ein Großaufgebot an Polizisten aus etlichen Bundesländern sperrte den Weg der Neonazis hinterm Hauptbahnhof durchs Uni-Viertel deshalb weiträumig ab. Das Gelände wurde eingezäunt, Wasserwerfer standen auf Kreuzungen und in Nebenstraßen. Versuche von Grünen und Anti-Nazigruppen, per Gerichtsbeschluss dennoch in der Nähe der Neonazis protestieren zu dürfen, waren am Samstag vorm Bundesverfassungsgericht gescheitert. Diesmal kamen weitaus weniger Rechte als 2010, nach Polizeiangaben waren es maximal 2 000, im Vorjahr waren es mehr als dreimal so viele.
Nahe der geplanten Marschroute versammelten sich am Nachmittag dennoch mehrere tausend Gegendemonstranten. Viele waren direkt von der Menschenkette weitermarschiert zum Bahnhof. Aber alles blieb friedlich. Am kommenden Samstag geht es weiter: Dann erwartet Dresden den nächsten Neonazi-Aufmarsch, wieder ein angebliches Trauern um die Dresdner Bombentoten.
