rund drei Prozent zweimal geboostert Virologe rät zum Abwarten: Zweite Booster-Impfung in Sachsen-Anhalt kaum genutzt
Seit Monaten empfiehlt die Stiko eine vierte Impfung, doch genutzt wird sie bislang kaum. Dafür gibt es gute Gründe, meint Virologe Klaus Stöhr. Für wen ist der zweite Booster sinnvoll?

Halle/MZ - Bereits seit Februar empfiehlt die Ständige Impfkommission (Stiko) Menschen über 70 eine vierte Corona-Impfung, aber genutzt haben sie in Sachsen-Anhalt bislang nur wenige: Nach Angaben des Gesundheitsministeriums in Magdeburg erhielten bis Mitte Mai gerade einmal 3,1 Prozent der Menschen im Land eine zweite Boosterimpfung. Dabei ist mehr als jeder vierte Sachsen-Anhalter über 65 Jahre alt, hinzu kommt das Personal in Kliniken und Pflegeheimen, für das die vierte Impfung ebenfalls empfohlen wird. Zum Vergleich: Eine Zweitimpfung haben inzwischen knapp drei Viertel der Bevölkerung erhalten. Virologe Klaus Stöhr sieht gute Gründe für ihr Zögern: „Sich jetzt impfen zu lassen, ist unvernünftig“, sagt Stöhr der MZ. Der Virologe betont: Eine zweite Auffrischungsimpfung sei zwar sinnvoll - aber nicht jetzt.
In den Arztpraxen ist die Impfmüdigkeit deutlich spürbar: „Die Bereitschaft der Patienten ist überschaubar“, sagt Franz Dießel, Hausarzt aus Halle. Angesichts der zurückgenommenen Maßnahmen und der sinkenden Belastung der Krankenhäuser sei es derzeit schwierig, Menschen zu einer Corona-Impfung zu bewegen. Etwa 14 schützende Spritzen verabreiche er derzeit pro Woche - zur Hochzeit der Pandemie waren es bis zu 70. Obwohl das Virus aktuell einen großen Teil seines Schreckens verloren hat, blickt der Mediziner mit Sorge gen Herbst. „Corona ist eine saisonale Erkrankung. Wir werden im Herbst wieder ein Problem bekommen“, glaubt Dießel. Das sieht auch Hausarzt Robin John aus Schönebeck (Salzlandkreis) so. Auch er impft zwar täglich, aber deutlich weniger Patienten als noch vor einem Jahr. „Was mich sorgt, ist, dass es für den Sommer keine klare Ansage von der Politik gibt“, so John. Man müsse jetzt sicherstellen, dass Risikopatienten geschützt in den Winter gehen.
Virologe rät zur Impfung im Herbst
Virologe Klaus Stöhr gibt indes Entwarnung: Er rät Senioren erst ab dem Herbst zu einer zweiten Boosterimpfung. Ausgenommen sei jedoch das Personal im Gesundheitssektor. Hier gehe es vor allem um den Schutz anderer.
Grundsätzlich lässt die Schutzwirkung einer Corona-Impfung über die Zeit nach - bei älteren Menschen meist schneller als bei jüngeren. Die Auffrischungsimpfung kann den vollen Schutz wiederherstellen, im Falle der vierten Impfung allerdings nur für etwa drei Monate. Im Sommer sei das Infektionsrisiko deutlich geringer als bei fallenden Temperaturen, so Stöhr. Dann treffen sich wieder mehr Menschen in Innenräumen.
Mit Blick auf die Senioren meint der Virologe daher: Zweiter Booster ja, aber zur richtigen Zeit. „Im Herbst wird für alle Über-60-Jährigen eine vierte Impfung sicherlich empfehlenswert sein. Für alle anderen ergibt das keinen Sinn.“ Denn stark gefährdet seien angesichts der vergleichsweise milden Omikron-Variante momentan vor allem die Älteren. Damit die im Herbst auch tatsächlich geschützt sind, müsse man sich allerdings jetzt vorbereiten.
Unklarheit über Impflücke
Laut Stöhr besteht nach wie vor Unklarheit über die Impflücke im Land: Wie groß ist der Anteil der ungeimpften Senioren? Und wie kann man sie erreichen? „Ich hoffe, dass man eine Studie aus der öffentlichen Hand finanziert, die die Immunlücke in Deutschland aufdeckt.“ Dann könne man nach Faktenlage reagieren.
Die Bundesländer beginnen derzeit mit den Vorbereitungen auf eine mögliche weitere Corona-Welle im Herbst. Unter dem Vorsitz Sachsen-Anhalts haben sich die Gesundheitsminister der Länder vergangene Woche für eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes stark gemacht. Der muss der Bundestag noch zustimmen. Die Gesetzesänderung soll es den Ländern ermöglichen, bei Bedarf kurzfristig die Maskenpflicht in Innenräumen, die 2G-Regel sowie verpflichtende Hygienekonzepte wieder einzuführen. Im Falle der Impfungen verweist das Landesgesundheitsministerium auf MZ-Anfrage auf die Empfehlung der Stiko. „Nach wie vor gilt, dass eine Corona-Schutzimpfung sowohl dem individuellen Schutz als auch der Eindämmung der Corona-Pandemie dient“, hieß es dazu aus Magdeburg.
Kommt die „Killervariante“?
Doch was geschieht, wenn das Virus bis zur Erkältungswelle im Herbst mutiert und sich eine gefährlichere Variante ausbreitet? „Das ist das am wenigsten wahrscheinliche Szenario“, sagt Virologe Stöhr. Auch er rechnet ab dem Herbst zwar mit steigenden Infektionszahlen, allerdings nicht mit einer Überlastung der Intensivstationen - auch aufgrund des inzwischen hohen Anteils an Geimpften und Genesenen. „Der Infektionsdruck wird im Winter geringer als in den Vorjahren sein, aber es wird noch viele Erkrankungen geben. Die Corona-Bekämpfung wird jedoch der gegen Influenza ähneln.“ Vorausgesetzt, es ließen sich möglichst viele Ältere impfen.