1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Sachsen-Anhalt
  6. >
  7. Streit um Abwasseranschlüsse: Streit um Abwasseranschlüsse: Verfassungsgericht prüft Altanschließer-Beiträge

Streit um Abwasseranschlüsse Streit um Abwasseranschlüsse: Verfassungsgericht prüft Altanschließer-Beiträge

16.10.2016, 07:27
Rohre einer Sanitärinstallation.
Rohre einer Sanitärinstallation. dpa

Dessau - In Zehntausenden Haushalten flatterten im vergangenen Jahr Briefe mit Gebührenbescheiden ein - für oft lange zurückliegende Abwasseranschlüsse. Grund dafür ist eine Übergangsvorschrift in Sachsen-Anhalt. Die Linken-Fraktion rief das Landesverfassungsgericht an. Das beschäftigt sich von Dienstag an mit den Regelungen. Eine Entscheidung wird binnen drei Monaten erwartet.

Worum dreht sich der Konflikt?

Im Kern geht es um die Frage, wie lange ein Haushalt nachträglich noch für einen Wasseranschluss zur Kasse gebeten werden darf. Bei diesen sogenannten Altanschließerfällen treiben die Zweckverbände oft Jahre, manchmal sogar Jahrzehnte nach dem Bau oder Anschluss von Abwassersystemen noch Gebühren dafür ein. Während die Regierung davon überzeugt ist, dass dies rechtmäßig ist, hat sich die Linken-Fraktion als Opposition im Landtag an das Landesverfassungsgericht gewandt. Das soll klären, ob die aktuellen Regelungen zu Altanschließern verfassungsgemäß sind.

Wen betrifft es?

In Sachsen-Anhalt sind nach Angaben des Verbands Deutscher Grundstücksnutzer etwa 85 000 Haushalte betroffen. Allein im vergangenen Jahr wurden demnach mehr als 78 000 Bescheide mit einem Volumen von 77 Millionen Euro verschickt. Für den Einzelnen geht es um Forderungen von bis zu vielen tausend Euro. Rund 36 000, also etwa die Hälfte der im vergangenen Jahr angeschriebenen Sachsen-Anhalter, habe Widerspruch eingelegt, sagte ein Verbandssprecher.

Wie kam es zu dem Streit?

In Sachsen-Anhalt galt viele Jahre überhaupt keine zeitliche Obergrenze für nachträgliche Bescheide. Nach einem Bundesverfassungsgerichtsurteil aus dem Jahr 2013 zu einem Fall aus Bayern änderte sich das. Die obersten Richter hatten festgelegt, dass die Beiträge nicht beliebig lang nach Anschluss erhoben werden dürfen. Viele Bundesländer, darunter auch Sachsen-Anhalt, änderten daraufhin ihr Kommunalabgabengesetz. Im Land gilt seitdem eine Verjährungsfrist von zehn Jahren. Eigentlich. Denn es gibt eine Übergangsregelung im Gesetz: Bis zum Stichtag Ende 2015 wurde diese zeitliche Obergrenze außer Kraft gesetzt. Das führte zu einer Flut an Bescheiden im vergangenen Jahr - und ließ den Streit hochkochen.

Was geschah bisher?

Die Altanschließer-Beiträge beschäftigen nicht zum ersten Mal die Justiz. Erst im Februar dieses Jahres hatte das Oberverwaltungsgericht in Magdeburg die Regelungen als rechtmäßig eingestuft. Das Innenministerium empfahl den Gemeinden dennoch per Erlass, auf das Eintreiben der Gebühren bis zu einer höchstrichterlichen Entscheidung zu verzichten. Auch der Landtag stimmte im Sommer für eine Lockerung: Zweckverbände können auf das Eintreiben der Gebühren bis zur gerichtlichen Klärung verzichten. Beide Empfehlungen sind nicht verpflichtend.

Sind die Regelungen in Sachsen-Anhalt ein Einzelfall?

Nein, die Diskussion gibt es in vielen Bundesländern, vor allem im Osten. Hintergrund ist hier, dass nach der Wiedervereinigung viele Kläranlagen und Leitungen teuer neu gebaut wurden, aber zunächst auf das Eintreiben von Beiträgen verzichtet wurde. So wird die Frage um die Altanschließer in Mecklenburg-Vorpommern bald das Bundesverfassungsgericht beschäftigen. Und die Richter in Karlsruhe hatten auch schon mit den Brandenburger Regelungen zu nachträglichen Anschlussgebühren zu tun. Sie erklärten sie für unwirksam. Auf dieses Urteil verweisen Kritiker der Übergangsvorschrift in Sachsen-Anhalt und hoffen auf eine ähnliche Entscheidung. Gegenstimmen meinen, die Fälle in Brandenburg seien ganz anders gelagert.

Welche Folgen könnte das Urteil haben?

Das kommt ganz darauf an. In Brandenburg hatten die Instanzen vor dem Bundesverfassungsgericht die Regelungen für rechtmäßig erklärt - und erst ein Gang nach Karlsruhe brachte endgültige Klärung. Das könnte auch in Sachsen-Anhalt passieren. Werden die Regelungen für unwirksam erklärt, könnte ein langer Streit darüber folgen, wer sein Geld zurückbekommt - und wer die dann fehlenden Einnahmen der Zweckverbände kompensiert. So passiert es derzeit in Brandenburg.

Wer kann sich beim Erfolg vor den Verfassungsgerichten Hoffnung auf Rückzahlung machen?

Rein rechtlich müssten alle ihr Geld zurückbekommen, die gegen die Bescheide in Widerspruch gegangen seien, sagte ein Sprecher des Verbands Deutscher Grundstücksnutzer. Wer in Treu und Glauben die im Nachhinein als verfassungswidrig erklärten Beiträge gezahlt habe, könnte auf den Kosten sitzen bleiben. „Das ist Gift für den sozialen Frieden.“ Einige Zweckverbände in Brandenburg zahlten deshalb allen Altanschließern die Beiträge zurück, andere nicht.

Der Grundstücksnutzer-Verband pocht darauf, künftig auf Anschließerbeiträge zu verzichten und die Abwasserbeseitigung gänzlich über Gebühren zu finanzieren. „Potsdam ist ein gutes Beispiel“, sagt der Verbandssprecher. „Die Stadt hatte schon vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts eine reine Gebührenfinanzierung - und daher nie ein Problem mit Altanschließern.“ (dpa)