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Die nicht ganz ernste Halbzeitbilanz der Kenia-Koalition Regierung Sachsen-Anhalt: Halbzeitbilanz der Kenia-Koalition in Magdeburg

Von Jan Schumann und Hagen Eichler 17.10.2018, 18:01

Vor zweieinhalb Jahren fand sich in Sachsen-Anhalt ein bundesweit einmaliges Bündnis. Als sogenannte Kenia-Koalition schlossen sich CDU, SPD und Grüne zusammen. Zugegeben: Es war nicht Liebe, es war Vernunft. Seitdem ist viel passiert im politischen Magdeburg:

Zoff, Rücktritt, aber auch einige Erfolge. Es ging rund wie auf einem Rummelplatz. Eine spaßige Zeit - mal mehr, mal weniger. Nicht immer blieben die Minister die besten Freunde. Klar ist jedenfalls: So ungewöhnliche Bündnisse erfordern auch eine ungewöhnliche Würdigung.

Mit unserem Karikaturisten Phil Hubbe ziehen wir eine besondere, garantiert halbernst gemeinte Halbzeitbilanz dieser Landesregierung. Und wir sind uns sicher: Auf diesem Jahrmarkt ist auch in den kommenden zweieinhalb Jahren für beste Unterhaltung gesorgt.

Rummelplatz-Chef und Vorturner in Personalunion. Übt sich seit 2016 in der Kunst des Drahtseilakts. Der Regierungschef versucht, diese ungleiche Koalition in der Balance zu halten: stolze Christdemokraten, nörgelnde Grüne und chronisch unzufriedene Sozialdemokraten.

Für Reiner „Stahlseil“ Haseloff ein schweißtreibender Job mit großer Fallhöhe.  Scheitert er, scheitert die Rummeltruppe. Um die Stimmung auf dem Platz hochzuhalten, versucht es Haseloff meist mit der Methode Zuckerbrot - holte aber auch schon die Peitsche raus, als er Umweltministerin Claudia Dalbert im Harzer Seilbahnstreit zurechtwies. Ein strapaziöser Job, weil die Blicke aller Sachsen-Anhalter auf ihm lasten. Trotz Wackler blieb er bisher auf dem Seil.

Zuständig dafür, Bonbons an Kinder und Eltern im Land zu verteilen. Das gilt im Speziellen für die Kitakosten, die seit Jahren unkontrolliert steigen. Nach zweieinhalb Jahren des Mixens versucht sich die Sozialdemokratin nun mit einer neuen Rezeptur: „Petras Beste, made in Sachsen-Anhalt“.  Eine muss es ja machen.

Grimm-Benne will jetzt, dass Eltern nur noch die Betreuung für ein Kind bezahlen - auf lange Sicht träumt sie gar von der kostenlosen Kita. Zuckerwatte für alle! 

Ansonsten bleibt es eher still um das sozialdemokratischste aller Ministerien, an dessen Spitze Grimm-Benne der SPD zu neuem Glanz verhelfen will: Arbeit, Soziales, Integration - sollte es seit 2016 durchschlagende Erfolge gegeben haben, gingen sie im Rummel der Koalition unter.

Spürt die hohe Drehzahl  im Kettenkarussell der Landespolitik. Dalbert wurde  schon mehrfach schwindelig - zwischen CDU und SPD haben es die Grünen nicht leicht, werden gelegentlich rumgeschubst. Siehe Tullner.

Dalbert testete die Grenzen im Koalitionsstreit um die Schierker Seilbahn im Harz. Wurde von Haseloff zurechtgewiesen, als sie sich störrisch zeigte. Dalbert und die Grünen halten dennoch an Ministerstuhl und Koalition fest - und belassen es beim Schimpfen über die „Harzmafia“.

Zu froh ist die kleine Partei über ihre Regierungsmacht. Dalbert lässt sich nicht ins Umweltprogramm reinreden, das die Grünen  als Prestigeprojekt vor sich hertragen. So grün kann Sachsen-Anhalt sein! Dennoch auf absehbare Zeit im Dauerclinch mit den Bauern.

Der stärkste Mann auf diesem Jahrmarkt. Als Champion unter den Rummelboxern lässt sich Holger Stahlknecht von keinem die Butter vom Brot nehmen. Zeigt solange die Muckis, bis auch der letzte Besucher applaudiert hat.

Durchsetzungsstark, selbstbewusst, unantastbar - als Innenminister greift er durch und hat mit zupackender Polizeiarbeit in Köthen ein zweites Chemnitz verhindert.  Verpflichtet hunderte Polizeischüler, um die Personallücken zu stopfen. Ärgert sich nun hin und wieder über Disziplinprobleme und kiffenden Polizisten-Nachwuchs. Sei’s drum.

Es ist Stahlknechts Jahr, als Chef der Innenminister-Runde kann er 2018 auch bundesweit die Fäuste zeigen. Läuft sich warm, um bald auch offiziell zum Boss auf dem Rummel gekürt zu werden.

Versucht sich wie Webel beim Ponyreiten, aber mit sichtbaren Problemen in der Bedienung. Der Mann mit der dicken Geldbörse kann sich bisweilen nur schwer im Sattel halten. Immer wieder bricht das Maultier lautstark aus. 

Schröder macht in der Landesregierung nicht immer Bella Figura. Eine Flugaffäre um hochpreisige Business-Class-Tickets für sich und seine Büroleiterin kostete ihn viel Ansehen auf dem Jahrmarkt.

Schröder hätte eigentlich gerne den Kollegen Stahlknecht herausgefordert, doch das wird nun nichts mehr. Dennoch macht der Finanzminister seine Hausaufgaben: Er präsentierte immer eine schwarze Null, allerdings vor allem dank Wahnsinnskonjunktur und Steuereinnahmen. Erfüllt so kostspielige Wünsche aller  Ministerkollegen.

Ist Sachsen-Anhalts Tourismus-Guru. Rührt die Werbetrommel im Ausland, will   mehr Gäste ins Land holen.

Der Mann mit dem Professoren-Sound ist kein Politiker von der Stange, sondern kam als beschlagener Hochschul-Praktiker. Damit ist Willingmann ein Exot. Zieht als Minister ein Los nach dem anderen, um schlummernde Wirtschaftskraft im Land zu entfesseln. 

Setzt Akzente mit der Meisterprämie fürs Handwerk. Will jetzt die Hochschulen zu Start-up-Oasen machen. Eines ist so sicher wie das Amen in der Kirche: Solange er   bleibt, haben Unis keine Angst vor Kürzungen. Sollte die SPD in den kommenden Jahren auf ihn als Spitzenkandidaten setzen, beginnt die nächste Lotterie. Denn drei Viertel der Sachsen-Anhalter fragen immer noch: Armin Wer?

Schwingt allzu gern den Hammer. Nicht nur bei „Hau den Lukas“, sondern auch bei „Hau die Grünen“.

Mit spitzer Zunge schießt der Schulminister immer wieder gegen den kleinen Koalitionspartner - zu grün, zu links, und immer diese Sonnenblumen! Tullners Waffe der Wahl ist sein Handy  - das Twitterprofil raucht regelmäßig.

Tullner indes bekommt im Regierungsbetrieb auch selbst mal was auf den Deckel - wegen Personalnot herrscht an den Schulen ständig Alarmstufe Rot, als verantwortlicher Minister zeigt er sich stark im Einstecken. Stemmt sich mit Hunderten, gar Tausenden neuen Pädagogen gegen den Trend. Punktete bei den Schülern mit einer Abiturreform, die tatsächlich mehr Gerechtigkeit in Sachsen-Anhalts Klassenzimmer brachte.

Hat vor Jahren eine Dauerkarte fürs Kettenkarussell gekauft. Hat immer noch nicht genug. Rainer Robra schwebt auch bei hoher Geschwindigkeit furchtlos über den Dingen.

Gibt den Ausputzer für die Ministerpräsidenten seit 2002, bekam 2016 zusätzlich die Zuständigkeit für Kulturpolitik - und damit gewissermaßen ein Dauer-Flugticket für Auslandsreisen im Namen des Landes.

Will mit dem Bauhaus-Jubiläum 2019 die Rekorde des Lutherjahres toppen - viel Glück dabei. Dem Landesweingut bescherte Robra als Schutzherr einen Neubau und damit eine Zukunft. Wie lange er noch seine Runden über dem Rummelplatz dreht? Keiner wagt eine Prognose. Robra könnte wohl noch im Kettenkarussell sitzen, wenn der Rest längst abgesprungen ist.

Persönlich sympathisch, rutscht die Justizministerin immer wieder unverschuldet ins Haifischbecken. Die Landespolitik ist bedrohlicher als gedacht, treibt Keding bisweilen Schweißperlen auf die Stirn.

Emotional aufgeladene Kriminalfälle wie Oury Jalloh machen den Job ungemütlich, immer wieder gibt es Zwischenfälle in den Gefängnissen… Ob das gut geht? Jedenfalls stänkert die Opposition mit Vorliebe gegen Keding - ähnlich den Krokodilen in der Wildwasseranlage.

Nebenbei bemüht sich die Ministerin darum, dass der Justizapparat in ein paar Jahren nicht ohne Personal dasteht. Es fehlen Richter und Staatsanwälte. Zudem stockt der Bau des Superknasts in Halle. Auch um die Gleichstellung voranzubringen, muss sich Keding sputen.

Döst beim Ponyreiten vor sich hin. Passt zur Performance als Minister: Webel tritt so selten in Erscheinung, dass sich viele fragen: Was macht er eigentlich?

Wie unfair. Der CDU-Chef hat im Stillen endlich den Deal zum Weiterbau der A 14 zur Ostsee ausgehandelt. Ausgerechnet mit dem BUND, ausgerechnet mit Hilfe dieser verbohrten Grünen! Tat’s weh? Genaues zur erstaunlichen Kooperation ist nicht bekannt.

Klar ist aber: Webels politisches Lebenswerk, die Vollendung der Autobahn, wird nun wohl doch nicht als Highway to Hell enden. Seine nächste Ausfahrt nimmt er im November: Dann wird er als CDU-Chef in Sachsen-Anhalt den Hut nehmen und Stahlknecht den Ring überlassen. Dreht auch als Minister womöglich seine letzte Runde auf dem Platz.

Es blieb bei einem Kurzauftritt: Felgner startete als sozialdemokratischer Shootingstar, wurde aber schnell als menschliche Kanonenkugel vom Platz geschossen. Der Grund: eine Affäre um dubiose Beraterverträge, in denen sich auch seine Unterschrift fand.

Nach Monaten hieß es deshalb: letzte Vorstellung für Flying Felgner. Mit der verhängnisvollen Unterschrift hatte ihn das Vermächtnis der Ära Bullerjahn eingeholt - Felgner war lange die rechte Hand des früheren Finanzministers.

Viele Zaungäste fanden: schade drum. Denn Felgner galt durchaus als frisches Gesicht auf dem politischen Rummelplatz, sammelte Pluspunkte im zwischenmenschlichen Bereich. Mit dem Abschied vom Rummel kann sich Felgner nun anderen Sphären zuwenden.