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"Michel Deere" "Michel Deere": Der Youtube-Star mit Traktor aus dem 90-Seelen-Dorf

Von Felix Fahnert 21.09.2019, 10:00
Michel Allmrodt steht vor einem Traktor des Landwirtschaftsbetriebs in Schönwalde in der Altmark und spricht in die Kamera.
Michel Allmrodt steht vor einem Traktor des Landwirtschaftsbetriebs in Schönwalde in der Altmark und spricht in die Kamera. Felix Fahnert

Schönwalde - Die großen Maschinen, sie haben es Michel Allmrodt angetan. „Es ist wie eine Sucht, ich will immer wieder auf ’nem Traktor sitzen“, sagt der Landwirt, als er auf den J6210R klettert. 240 PS, acht Gänge - Technik, die begeistert. „Ich muss erst die Drillmaschine hochheben, das läuft über die Hydraulik!“ Der Koloss fängt an zu tuckern, es geht aufs Feld, mitten in der Altmark. Mit dabei hat Allmrodt eine kleine Kamera und ein Handstativ, mit dem er sich selbst bei der Arbeit filmen kann. Und was der 29-Jährige filmt, geht hinaus in die Welt - es sehen Millionen im Internet.

Schnelles Internet als Auslöser

Der Landwirt aus dem 90-Seelen-Dorf Schönwalde bei Tangerhütte hat es zu einem erfolgreichen „Youtuber“ geschafft - mit Videos über Traktoren, Mähdrescher oder Saat- und Erntetechniken. „Ich kann es manchmal auch nicht glauben“, sagt Allmrodt. Knapp 70.000 Abonnenten hat sein Kanal „Michel Deere“ mittlerweile, eine Kombination aus Vorname und dem Landtechnikhersteller.

Viele Videos haben hunderttausende, manche sogar Millionen Klicks. Landmaschinen - ein vermeintliches Nischenthema, für das es im Netz aber einen riesigen Markt gibt. Und wenige, die Videos dazu so persönlich und professionell an den Mann und die Frau bringen wie Allmrodt. Um aufzuklären und um zu unterhalten, wie er selbst sagt. „Ich denke mir: Einer muss es ja machen, also mach ich’s!“

Aktuell arbeite er zur Hälfte als Landwirt im Betrieb der Familie - und zur Hälfte als Youtuber. Angefangen hat alles 2006, das Jahr, in dem das schnelle Internet nach Schönwalde kam. „Mich hat Technik ja schon immer gereizt“, sagt Allmrodt. Doch der Internetzugang sei dann wie ein Tor zu einer neuen Welt gewesen. „Wir waren da gerade in der Pubertät. Ich bin die erste Generation Internet vom Dorf!“ Videos mit Handys aufzunehmen und dann bei Youtube hochzuladen, lag da geradezu auf der Hand. „Es war ja keine Kunst, sich dann da anzumelden.“

„Das Internet war quasi meine große Stadt“

2007 war das - zwei Jahre, nachdem das heute milliardenschwere Portal überhaupt gegründet wurde. „Mir hat es einfach Spaß gemacht, das noch ein bisschen zu verfeinern.“ Allmrodt legte also Musik unter seine Aufnahmen, kaufte Kameratechnik - und fand im Netz schnell eine Gemeinschaft, die sich für seine Videos interessiert. „Das Internet war quasi meine große Stadt.“ Und das Interesse an seiner Arbeit, es wuchs allmählich.

Bis er irgendwann „Atlantis 1“ versenkte. Sommer 2011, Praktikum in Lettland, mittlerweile studiert Allmrodt Agrarwissenschaften an der Uni Halle. Die Kamera hat er natürlich mit ins Baltikum genommen. „Ich habe dort eine Maschine unfreiwillig unter krassen Bedingungen im Schlamm versenkt.“ Chaotische Bedingungen, Stress, Angst, eine schlaflose Nacht - es hätte eigentlich kaum schlimmer laufen können. Doch für den Praktikanten Allmrodt sollte genau das der Durchbruch werden.

In einer dramatischen Rettungsaktion wird der riesige Mähdrescher von zwei Traktoren und einem Bagger aus einem Torfloch befreit. Festgehalten hat er es in einem knapp fünfminütigen Video, „Atlantis 1 ist versunken!“ heißt es bei Youtube.

„Das ist dann richtig durch die Decke gegangen.“ Mehr als 16 Millionen Klicks aus der ganzen Welt hat das Video heute - und ist einer der Gründe, warum Allmrodt so erfolgreich ist.

„Influencer“ und der Kampf um die Kanäle

Erfolgreich sein, das heißt im Internet: „Influencer“ (deutsch: Beeinflussender) sein. Denn der Kampf um die Kanäle, die viele Menschen erreichen, wird gnadenlos geführt - vor allem von der Werbeindustrie. Videoproduzenten wie Allmrodt profitieren davon, sie können mit ihrer Arbeit gutes Geld verdienen. Und das funktioniert bei Youtube auf zwei Wegen: Zum einen durch Werbeclips, die vor oder während der Videos laufen. Je mehr Zuschauer, desto mehr Geld erhält der Betreiber des Kanals. Zum anderen aber durch das „Influencer“-Marketing, also durch Produktplatzierungen von Firmen. Sie versprechen sich einen guten Werbeeffekt, wenn angesagte Leute wie Michel Allmrodt ihre Produkte nutzen oder testen.

„Ich habe dieses Jahr zum ersten Mal Sonnenblumen angebaut“, erzählt er. Nachdem das Video dazu online stand, regte sich Interesse. „Eine Firma mit speziellem Schneidwerk kam auf mich zu und hat gesagt: Wir stellen dir Schneidwerk zur Verfügung, du machst einen Film damit.“ Bedingung: Der Name muss genannt werden.

Online und offline, beides gehört zum Arbeitsalltag von Michel Allmrodt

Allmrodt sieht das positiv. „Man hat dadurch Zugänge, die man sonst nicht hat.“ Er weiß aber auch, dass es ein schmaler Grat ist zwischen Abhängigkeit und gutem Material für neue Videos. „Ich will den Spagat schaffen zwischen Produktplatzierung, von der ich etwas habe, und dem Inhalt, mit dem ich aufkläre und zeige, was und wie wir etwas machen.“ Wie viel Geld bei seiner Arbeit als Youtuber rumkommt, will Allmrodt nicht sagen. Aber: „Wenn ich den ganzen Alltag dafür verschwenden würde, könnte ich wahrscheinlich davon leben.“

Dann fährt ein großer Lkw am Landwirtschaftsbetrieb vor. „Oh, da muss ich kurz hin“, sagt Allmrodt, legt die Kamera beiseite und steigt aus dem Traktor. Die große Düngerlieferung ist da, der 29-Jährige kümmert sich. Online und offline, beides gehört zu seinem Arbeitsalltag. Hier Landwirt im 90-Einwohner-Dorf, da Agrar-Influencer mit 70.000 Abonnenten.

Im vergangenen Jahr hat Allmrodt sein Masterstudium in Halle abgeschlossen, lebt nun wieder in der Altmark. Und produziert nicht nur zusammengeschnittene Videos von Maschinen, sondern auch sogenannte „Vlogs“, eine Abwandlung der digitalen Tagebücher „Blogs“. Dabei spricht er direkt in die Kamera. Seine Aussagen schneidet er abgehackt aneinander, ähnlich wie es andere Youtuber tun. „Ich denke schon im Winter nach, was ich machen kann“, sagt Allmrodt. „Eine Woche vorher schreibe ich ein kleines Drehbuch.“ Manches entstehe aber auch spontan. Meist werden aus anderthalb Stunden Material zehn bis 15 Minuten lange Videos.

Keine Scheu vor Streitthemen

Die Themen stammen oft aus seinem persönlichen Arbeitsalltag: Wie man zum Beispiel einen Pflug richtig einstellt, sei nachgefragt: „Sogar in Berufsschulen laufen da Videos von mir“, erzählt er. Die Kommentare bestätigen das: „Besser als jedes Lehrbuch“, heißt es da. Es geht ihm aber auch darum, mit Vorurteilen aufzuräumen. „Es ist immer einfach, Landwirte für alles verantwortlich zu machen, etwa beim Insektensterben.“ Der psychische Druck, der auf vielen Landwirten laste, werde aber viel zu wenig wahrgenommen. „Letztes Jahr war das schlechteste aller Zeiten, wir haben ein dickes Minus und keine Reserven.“

Er geht deshalb auch auf die große Politik ein - und spricht strittige Themen wie die Nutzung von Glyphosat an. „Ich bin relativ direkt - es soll jeder selbst entscheiden, wie er es findet.“ Doch nur noch „Michel Deere“ sein, das würde Glaubwürdigkeit kosten - schließlich ist die Arbeit im Betrieb Basis seiner Videos. „Es war immer mein Ziel, den Landwirtschaftsbetrieb zu übernehmen.“

Fehlt eigentlich nur noch eine eigene Familie. „Das ist gar nicht so leicht hier in der Region, in Halle war das einfacher“, sagt er schmunzelnd. Vielleicht kann ja auch hier das Internet Abhilfe schaffen. Allmrodt kennt sich dort ja bestens aus.

Auf der Jagd nach Klicks und Abonnenten

Michel Allmrodt ist nicht der einzige erfolgreiche Youtuber in Sachsen-Anhalt. Alexander Prinz, im Netz bekannt als „Der dunkle Parabelritter“, hat mit 170.000 hierzulande die meisten Abonnenten. Prinz kommt aus Halle. Sein Kanal steht unter dem Slogan „Krach, Kultur, Kritik“ und beschäftigt sich vor allem mit Heavy Metal und allem was dazu gehört: Alben, Festivals, Konzerte und den Lebensstil rund um die Musikrichtung. Zuletzt engagierte sich Prinz auch gegen Hass und Mobbing im Netz.

Deutschlandweit ist der erfolgreichste deutsche Youtube-Star Bianca Claßen. Sie betreibt den Kanal „BibisBeautyPalace“, der insgesamt 5,68 Millionen Abonnenten hat. Die 26-Jährige beschäftigt sich in ihren Videos vor allem mit den Themen Mode, Kosmetik und Lifestyle. Knapp dahinter liegt mit 5,61 Millionen Abonnenten Julien Bam, bei dem es meist um Musik und Tanzen geht. „Gronkh“ liegt mit 4,86 Millionen Abonnenten auf Rang drei. Er beschäftigt sich mit Computerspielen. (mz)