Erwischt! Lehrermangel Sachsen-Anhalt!: Bildungsministerium nach bewiesenem Lehrer-Klau in Erklärungsnot

Magdeburg - Die Gewichte sind höchst ungleich verteilt: Hier das Land Sachsen-Anhalt, mit 15.000 angestellten und verbeamteten Lehrern als Arbeitgeber ein Gigant. Auf der anderen Seite: freie Schulen, oft von Kirchen oder Vereinen getragen, in der Regel mit knappen Finanzen.
Kann es sein, dass der Riese den Zwergen Mitarbeiter abspenstig macht? Dass Behörden gezielt Lehrer ansprechen, um sie in den Staatsdienst zu lotsen? Mehrere Schulen hatten der MZ von solchen Fällen berichtet. „Solche Fälle von Abwerbung gibt es nicht“, beteuerte vor einem halben Jahr der Sprecher des Bildungsministeriums. Jetzt lässt sich ein solcher Abwerbeversuch schriftlich belegen - und er liegt erst wenige Wochen zurück.
E-Mail vom 11. April belegt Abwerbeversuch von Lehrern
Das Beweisstück ist eine E-Mail des Landesinstituts für Schulqualität und Lehrerbildung (Lisa), abgesandt am 11. April. „Sehr geehrte Kollegin, sehr geehrter Kollege, ich möchte Sie auf die zahlreichen Stellenausschreibungen auf dem Bildungsserver aufmerksam machen“, schrieb eine Mitarbeiterin, die den Text „mit freundlichen Grüßen“ und ihrem Namen abschloss.
Bekannt wird der Fall nun durch einen der Empfänger. Der Lehrer unterrichtet an einer freien Schule - und das im Bereich Naturwissenschaften, in dem die Personallücken in allen Schulen besonders groß sind.
Der Pädagoge hatte zuvor an einer von der Behörde angebotenen Qualifizierung teilgenommen. Für die Anmeldung nutzte er eine E-Mail-Adresse seiner Schule. Genau an diese schickte das Lisa den Hinweis auf die Jobangebote des Landes.
Die freie Schule, die anonym bleiben will, ist empört. Der Verband Deutscher Privatschulen (VDP) ist es ebenso. „Wenn sich dieser Vorfall so bestätigen sollte, finden wir das sehr unredlich“, sagte Landesgeschäftsführer Jürgen Banse.
Das Land reagiert kleinlaut. Dass die E-Mail versandt wurde, bestreitet das Bildungsministerium nicht. Allerdings: Ein Urheber lasse sich beim besten Willen nicht finden. Man habe das mit großem Aufwand versucht, beteuert ein Sprecher. Alle Mitarbeiter, die Zugriff auf die E-Mail-Adresse hätten, seien befragt worden. „Alle haben schriftlich erklärt, dass diese Werbe-E-Mail nicht von ihnen erstellt wurde“, heißt es weiter. „Der Fall bleibt mysteriös. Wir können ihn nicht final aufklären.“
Verhalten sei indiskutabel
Die gleiche Antwort des Ministeriums bekam auch Thomas Lippmann, Bildungspolitiker und Fraktionschef der Linken. Er hat den Vorfall zum Thema einer Kleinen Anfrage gemacht. „So ein Verhalten ist indiskutabel“, so der studierte Lehrer. „Das Land hat ein ganzes Jahrzehnt lang zu wenig Lehrer ausgebildet und bedient sich nun beim Personal der freien Schulen, die selbst gar nicht ausbilden dürfen.“ Viele dieser Privatschulen seien ohnehin erst entstanden, nachdem öffentliche Schulen geschlossen worden waren. „Erst haut man Schulen weg und dann klaut man denen, die die Löcher stopfen, das Personal“, ärgert sich Lippmann.
Schweigen Schulen aus Angst?
Der VDP ist überzeugt, dass der angeschriebene Lehrer kein Einzelfall ist. Schon die Anrede „Sehr geehrte Kollegin, sehr geehrter Kollege“ zeige, dass der Adressatenkreis größer gewesen sei. In vielen weiteren Fällen würden Lehrer mündlich angesprochen.
VDP-Geschäftsführer Banse berichtet von einem Seiteneinsteiger, den eine freie Schule habe gewinnen können. Die Prüfung der pädagogischen Eignung habe das Landesschulamt genutzt, um dem Mann die sofortige Einstellung im Landesdienst anzubieten, mit einem Gehaltsaufschlag von mehreren Hundert Euro. „Solche Fälle höre ich immer wieder“, sagt Banse. „Die Schulen wagen es aber nicht, zu protestieren, weil sie keinen Ärger mit dem Land haben wollen.“
Das Bildungsministerium verspricht nun, dass sich ein derartiger Vorgang nicht wiederholen soll: „Wir haben alle Mitarbeiter noch einmal sensibilisiert.“ (mz)