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Halberstädter Würstchen Halberstädter Würstchen: 135 Jahre Tradition aus Sachsen-Anhalt

Von Ralf Böhme 20.11.2018, 09:00
So stehen sie im Supermarkt: Würstchen aus Halberstadt.
So stehen sie im Supermarkt: Würstchen aus Halberstadt. Jürgen Meusel

Großes Würstchenessen, dieser Termin ist in Halberstadt heilig und gesetzt. Dienstag um 12 Uhr sitzen Firmenchefs und Qualitätskontrolleure an einem Tisch, der Senior des Unternehmens in der Mitte. Und Ehre, wem Ehre gebührt: Ulrich Nitsch, nach dem Mauerfall der Retter der Würstchenfabrik im Harz, greift zuerst zu.

Der gelernte Metzger, inzwischen 80 Jahre, kommentiert das Ritual mit den Worten: „Der Appetit kommt beim Essen.“ Senf sucht man übrigens vergeblich. Es schmeckt auch ohne, da sind sich alle einig.

Wer jetzt die Ohren spitzt, hört gleich das urige Knacken beim ersten Biss. Und dieses Erlebnis soll es auch bleiben. Denn erst die Unverwechselbarkeit macht den Inhalt von Konserven für den Verbraucher unterscheidbar, und nur das zahlt sich letztlich aus, inzwischen seit 135 Jahren, seit dem 23. November 1883.

Das ist der in Halberstadt amtsgerichtlich verbriefte Geburtstag der Wurst in der Dose. Im Jubiläumsjahr teilt die Firma ihr Glück: Fünf Cent von jedem verkauften Erzeugnis gehen an ein SOS-Kinderdorf.

Kauen, Schmecken, mit der Zunge schnalzen - Jan Hofmann prüft seit acht Jahren alles, was unter der Marke „Halberstädter“ in die deutschen Verkaufsregale kommt.

Längst sind sein Gaumen, die Nase und die Augen darauf geschult, um auch kleinste Abweichungen von der Norm zu erkennen. Dabei bleibt nichts dem Zufall überlassen, weder bei den selbst gemischten Gewürzen noch bei Schweine- oder Rindfleisch, beim Speck oder in punkto Wurstgestalt. „Ein Würstchen zu sehen, das geplatzt ist, tut mir weh.“

Bei so viel Hang zum Perfektionismus wundert es nicht, dass Hofmann eigentlich nicht mehr messen oder wiegen muss. Der Lebensmitteltechniker, Absolvent der Hochschule Anhalt in Köthen, sieht und fühlt inzwischen, ob ein Würstchen wie gefordert 15 Zentimeter lang ist und 50 Gramm auf die Waage bringt.

Halberstädter Würstchen: Das unterscheidet die Produkte von den anderen deutschen Herstellern

Dafür, was die Halberstädter von allen anderen deutschen Würstchen unterscheidet, ist Wolfgang Hoffmeister zuständig. Seines Zeichens Brandmeister kümmert er sich seit 18 Jahren darum, dass das Buchenfeuer im 1913 errichteten Ofen nicht ausgeht und immer ausreichend würziger Qualm durch die Räucherkammern zieht.

Wie das genau funktioniert, wissen nur wenige Eingeweihte im Untergeschoss der Fabrik. Es ist quasi ein Betriebsgeheimnis. Auch die Bauunterlagen liegen unter Verschluss, falls irgendwann ein Neubau fällig ist.

Zwar bleiben die aufgereihten Würste kaum länger als eine Viertelstunde im Rauch. Jedoch würden sie in dieser Zeit, erklärt Produktionsleiter Heinz Klein, einen geschmacklichen Schub erfahren. Das Fleisch im Schafdarm trocknet in dieser Zeit, gewinnt zudem seine ganz eigene Farbe. Danach folgt immer noch ein Ruhetag, an dem die Wurst zur echten Halberstädter reift.

Trotz ihrer Einzigartigkeit ist selbst die beste Wurst nicht automatisch gegen Wechselfälle gefeit. Nicht nur einmal in ihrer Geschichte droht der Fabrikation die Krise, so zuletzt vor einigen Jahren - nach einem Streit mit einem großen Discounter.

Halberstädter Würstchen: Streit um Preise bedrohte die Firma aus Sachsen-Anhalt

Silke Erdmann-Nitsch, die heutige Geschäftsführerin, spricht nicht zufällig von einem permanenten und harten Kampf um den Platz in den Verkaufsregalen. Bekanntheit und Sympathie, die Umfragen der Marke immer wieder bescheinigen, seien leider nicht alles.

Am Ende müsse die Spitzenqualität zuerst die Einkäufer überzeugen. Oft sei aber einzig und allein der Preis das Maß aller Dinge.

Deshalb setzt die Firma verstärkt auf neue Produkte, darunter komplette und unkomplizierte Mahlzeiten aus Dose oder Glas. Als Dauerläufer erweise sich die legendäre Soljanka.

Nun läute man mit Klassikern der heimischen Küche die nächste Runde ein: Wurstgulasch mit Nudeln oder alternativ Klopse mit Nudeln. Eine der größten deutschen Lebensmittelketten wittert bereits ihre Chance und präsentiert diese Konserven in der hektischen Vorweihnachtszeit. „Mit der schnellen Dose verbinden wir größte Hoffnungen“, betont die Unternehmerin.

Darüber hinaus erschließt Halberstädter neue Marktregionen - beispielsweise für Kunden, die Erzeugnisse ohne Schweinefleisch bevorzugen.

Zur 135-jährigen Geschichte gehören aber auch Tiefpunkte. Der erste große Tiefschlag verbindet sich mit der Einweihung des Kyffhäuserdenkmals 1896. Firmengründer Friedrich Heine erfüllt seinen Auftrag, 40.000 Würste zu liefern. Leider spielt das Wetter nicht mit, die meisten Ehrengäste verschwinden nach kurzer Zeit. Was bleibt: ein volles Lager mit 30.000 Würsten, glücklicherweise verschweißt in Konserven.

Halberstädter Würstchen: So überstand das Unternehmen den Zweiten Weltkrieg und die Treuhand

Mindestens noch zwei Mal steht die Existenz auf dem Spiel: Nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Sowjetische Besatzung die Fabrik enteignet, und Anfang der 1990er Jahre. Die werkseigene Ausstellung „Konservierte Zeiten“ erinnert daran - und Karlheinz Krone, zur Wendezeit der Betriebsleiter.

Auch heute wandert der Pensionär noch manchmal durch die Halberstädter Würstchenzentrale, trägt verwuscheltes Grauhaar, Brille, in der Hand einen Stoffbeutel. Jeder Quadratzentimeter des Werkgeländes ist ihm vertraut. Holz tafelt die Wände in der Verwaltung. Sonnenstrahlen blinken durch Jugendstil-Glasfenster. Ein massiver Schreibtisch, einst sein Arbeitsplatz.

Ab und zu sitzt dort noch Investor Ulrich Nitsch, dessen Geld 1995 die Halberstädter Wurst rettet. Mit fünf Millionen D-Mark bringt er die Halberstädter damals auf EU-Standard.

Für Krone ist das im Rückblick ein großer Glücksfall. „Es geht um die Wurst, und das im doppelten Sinn.“ Abriss oder weitermachen, das sei die entscheidende Frage gewesen. 200 Mitarbeiter geben noch heute die richtige Antwort, auch wenn im Laufe der Zeit 120 Stellen abgebaut worden sind.

Auch im Jubiläumsjahr 2018 liefert das Werk wieder Millionen von Würsten, die aneinander gereiht der Entfernung bis nach New York und zurück entsprechen. Damit sind Halberstädter Nicht nur die Nummer eins im Osten, sondern auch Aushängeschild des Landes.

Bestes Beispiel: Die Halle 23 b, das ist der Stammplatz alljährlich auf der Grünen Woche in Berlin. Und startet Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) in fremde Länder, um neue Investoren zu werben, sind Halberstädter Konserven ein beliebter Gruß aus der Heimat.

Ebenso ist man Haus- und Hoflieferant für die Vertretungen Sachsen-Anhalts in Berlin und Brüssel. Irgendwann in den nächsten 135 Jahren, scherzt Geschäftsführerin Nitsch-Erdmann, werde man auch noch über den Weißwurst-Äquator kommen und Halberstädter endlich in Bayern und Baden-Württemberg verkaufen können. (mz)

Kerstin Ebing füllt die Wurstmasse in den Darm und Gudrun Hille (rechts) gibt die Würste in ein Gestell zur Weiterverarbeitung.        
Kerstin Ebing füllt die Wurstmasse in den Darm und Gudrun Hille (rechts) gibt die Würste in ein Gestell zur Weiterverarbeitung.        
Jürgen Meusel
Jens Fischer überwacht die brennenden Buchenholzspäne in der Räucherkammer und reguliert die optimale Temperatur.
Jens Fischer überwacht die brennenden Buchenholzspäne in der Räucherkammer und reguliert die optimale Temperatur.
Jürgen Meusel
Heinz Klein beim Öffnen einer Tür der Räucherkammer.
Heinz Klein beim Öffnen einer Tür der Räucherkammer.
Jürgen Meusel
Die geräucherten Würstchen werden manuell in die Dosen gefüllt und anschließend maschinell verschlossen.
Die geräucherten Würstchen werden manuell in die Dosen gefüllt und anschließend maschinell verschlossen.
Jürgen Meusel
Ein Werbefoto aus der DDR.
Ein Werbefoto aus der DDR.
Jürgen Meusel
Millionen von Halberstädter Würste werden jährlich in Dosen und Gläser gefüllt. In diesem Jahr feiert die Fabrik ein Jubiläum: 135 Jahre gibt es die Konservenproduktion schon. Trotz zahlreicher Investitionen geschieht vieles noch in Handarbeit und nach traditionellen Verfahren, nicht zuletzt in der Räucherei. Dort reifen die Würste im Buchenrauch. Das ist einmalig in Deutschland.
Millionen von Halberstädter Würste werden jährlich in Dosen und Gläser gefüllt. In diesem Jahr feiert die Fabrik ein Jubiläum: 135 Jahre gibt es die Konservenproduktion schon. Trotz zahlreicher Investitionen geschieht vieles noch in Handarbeit und nach traditionellen Verfahren, nicht zuletzt in der Räucherei. Dort reifen die Würste im Buchenrauch. Das ist einmalig in Deutschland.
Jürgen Meusel
Millionen von Halberstädter Würste werden jährlich in Dosen und Gläser gefüllt. In diesem Jahr feiert die Fabrik ein Jubiläum: 135 Jahre gibt es die Konservenproduktion schon. Trotz zahlreicher Investitionen geschieht vieles noch in Handarbeit und nach traditionellen Verfahren, nicht zuletzt in der Räucherei. Dort reifen die Würste im Buchenrauch. Das ist einmalig in Deutschland.
Millionen von Halberstädter Würste werden jährlich in Dosen und Gläser gefüllt. In diesem Jahr feiert die Fabrik ein Jubiläum: 135 Jahre gibt es die Konservenproduktion schon. Trotz zahlreicher Investitionen geschieht vieles noch in Handarbeit und nach traditionellen Verfahren, nicht zuletzt in der Räucherei. Dort reifen die Würste im Buchenrauch. Das ist einmalig in Deutschland.
Jürgen Meusel