Da ist der Wurm drin Da ist der Wurm drin: Insektenprodukte halten Einzug in Sachsen-Anhalts Supermärkte

Halle (Saale) - Nein, Insekten habe sie noch nie gegessen, sagt Erika Nultsch. Das kenne sie bisher nur aus dem Fernsehen. Auf die Frage, ob sie bereit wäre, eine gesalzene Grille zu probieren, runzelt die Rentnerin aus Halle die Stirn und stellt ihre Einkaufstaschen ab. „Ich weiß nicht.“ Sie lächelt. 73 Jahre ging es ohne Insekten, doch die Neugier siegt.
„Na, geben Sie her“, sagt sie und nimmt den Grillen-Snack zwischen Daumen und Zeigefinger. Zum Testen lässt sie sich Zeit, versucht mit der Zunge, den Geschmack genau zu bestimmen. „Mehr als Salz und Essig kann ich nicht herausschmecken“, ist ihr Fazit. „Das ist jetzt ein neuer Trend?“, fragt Nultsch nach.
Insekten-Snacks bei Kaufland
Ja, Insekten werden nun auch in Deutschland immer häufiger als Lebensmittel angeboten. Zunächst waren die proteinhaltigen Tiere nur in einzelnen Restaurants erhältlich, dann kamen kleine Internethändler hinzu und nun ziehen sie auch in die Regale der großen Supermarktketten ein.
Die Kette Kaufland bietet seit Anfang Februar verschiedene Insekten-Snacks an. Neben Grillen mit Salz und Essig gibt es auch Buffalowürmer mit Sauerrahm- und Zwiebelgeschmack sowie Mehlwürmer in Knoblauch und Kräuter. Die 18-Gramm-Packungen haben den stolzen Preis von 6,99 Euro.
„Die neuen Produkte werden bisher gut angenommen“, sagt Kaufland-Sprecherin Andrea Kübler. Auch andere Ketten machen erste Angebote: So ist Rewe bereits 2018 mit einem Burger aus Buffalowürmern auf den Markt gegangen. Bei Netto werden seit Jahresbeginn Mehlwurm-Nudeln angeboten.
Weltweit gibt es mehr als 1 900 verschiedene essbare Insekten. Während viele Menschen in westlichen Ländern den Verzehr eklig finden, gehört das Essen der Kaltblüter in vielen Teilen von Asien, Afrika und Südamerika zum Alltag. Doch warum kommen Insekten nun auch in Deutschland in die Geschäfte? Wollen Zuschauer der TV-Sendung „Dschungelcamp“ nun die Mutproben auf dem eigenen Sofa nachholen?
Der Ernährungsforscher Guido Ritter erklärt es mit dem „Kribbelfaktor“. Den meisten Kunden gehe es darum „etwas Neues auszuprobieren“. Es würden eine Reihe Produkte auf den Markt gebracht, die unter dem Aspekt Innovation und kurzfristige Aufmerksamkeit wichtig seien. „Dann werden die meisten Verbraucher feststellen, hoppla, es ist gar nicht so spektakulär“, sagt der Professor für Lebensmittelsensorik an der Fachhochschule Münster.
Heuschrecke schmeckt nach Nüssen
Aufgrund des hohen Eiweißgehaltes könnten verarbeitete Insekten andere tierische Produkte ersetzen. „Gerade die Diskussion um Massentierhaltung bei Säugetieren kann dazu führen, dass Insekten als Fleisch-Alternative von Verbrauchern angenommen werden“, meint Ritter.
Das passiere aber nicht von heute auf morgen, sondern dauere eine Generation. Und noch einen Fakt betont Ritter: In Deutschland gebe es keinen Protein-Mangel. Weltweit sehe das anders aus. „Es muss auch auf Insekten zurückgegriffen werden, damit im Jahr 2050 bis zu zehn Milliarden Menschen auf der Welt ernährt werden können“, sagt der Lebensmittelexperte. Diese hätten auch eine bessere Öko-Bilanz als etwa Rinder (siehe: „Umweltfreundliche Insekten“).
Das mexikanische Restaurant Espita in Halle hat bereits viele seiner Kunden überzeugt: Immer zu Jahresbeginn kommen Insektengerichte auf den Tisch. Als Vorspeise steht auf der Karte dann beispielsweise Chapulines - gebackene Heuschrecken serviert in Maiscremesuppe.
„Geschmacklich erinnern die an Nüsse“, sagt Lokalleiterin Stephanie Spitznagel. „Inzwischen kommen einige Kunden nur, um die zu essen.“ Beliebt sei auch das Gericht Zophobas - geschwenkte Mehlwürmer mit Rucola und Sour Cream. Dass einige Menschen dazu sofort Igitt sagen, ist laut Ernährungsexperte Ritter rein „sozio-kulturell“ geprägt. „Es gibt keinen genetisch angeborenen Ekel.“ Lediglich Verwesungsgeruch werde von Menschen aus ganz unterschiedlichen Kulturkreisen als unangenehm empfunden.
Noch keine Zucht in Deutschland
Die als Lebensmittel angebotenen Insekten werden in Europa nicht wild gefangen. „Wer Insekten isst, trägt also nicht zum bedenklichen Insektensterben bei“, sagt Silke Schwartau von der Verbraucherzentrale Hamburg. Die Krabbeltiere würden in großen Anlagen etwa in den Niederlanden, in Frankreich und in Kanada gezüchtet. „In Deutschland ist das leider noch nicht möglich“, beklagt Lars Seitz der eine Insektenfarm in Schkeuditz (Sachsen) betreibt. Seitz züchtet 25 verschiedene Arten.
In seinen Terrarien leben Millionen von Insekten, die unter anderem als Futter an Tierhandlungen oder den Leipziger Zoo geliefert werden. Seit Januar 2018 ist der Verkauf von Insekten als Lebensmittel auch in der EU möglich - dazu wurden sie in die sogenannte Novel-Food-Verordnung aufgenommen. „Bei den deutschen Veterinärämtern gibt es aber noch keine Regelungen zu den Aufzuchtsbedingungen“, erklärt Seitz. Folglich sei auch kein Verkauf möglich. Die Grillen in den Kaufland-Märkten stammen daher aus Frankreich.
Sind Insekten-Produkte in Supermärkten überteuert?
Seitz hält seine Käfer, Grillen und Heuschrecken in unterschiedlich großen Terrarien. Meist sind sie mehr als ein Meter lang und 60 Zentimeter hoch und breit. Im Heuschrecken-Terrarium liegen Eierkartons, das vergrößert die Fläche für die Tiere, die mit Weizen und Gras gefüttert werden. „Insekten lieben die Massentierhaltung“, sagt der Züchter. Sie würden dicht zusammenrücken, damit es schön warm sei. Etwa vier bis fünf Wochen daure es, bis eine Heuschrecke ausgewachsen sei.
Die auf dem Markt befindlichen Insekten werden meistens zum sehr schnellen Töten bei minus 18 Grad Celsius tiefgefroren, gewaschen und kurzzeitig bei mindestens 85 Grad erhitzt, um mögliche Krankheitserreger abzutöten. Danach werden sie verarbeitet.
Seitz hält die aktuellen Angebote in deutschen Supermarkt eindeutig für zu teuer. Er rechnet vor: Eine Heuschrecke koste in der Produktion etwa 25 Cent und wiege etwa fünf Gramm. Selbst mit Verarbeitung und Verpackung dürfte eine 20 Gramm-Packung nicht mehr als 2,50 bis drei Euro kosten. Für das exotische Angebot müssen die Kunden derzeit also noch ungewöhnlich tief in die Taschen greifen.
Beim Handelsriesen Kaufland plant man schon die nächsten Produkte. So sollen künftig auch Nudeln, weitere Riegel und sogar ein Müsli mit verarbeiteten Insekten angeboten werden. Wem das nicht ausreicht, der kann in Online-Shops wie wuestengarnele.de auch ganz ausgefallene Artikel erwerben. Dort werden auch Insektenschokolade und Lutscher mit Wurm und Grille angeboten. Doch da müssen selbst die Betreiber einräumen: „Nur für mutige Zungen.“
Umweltfreundliche Insekten - Allergiker aufgepasst
Insekten sind umweltfreundlicher als Rinder und Schweine: Insekten können ihre Nahrung deutlich besser in wertvolle Nährstoffe umwandeln als andere fleischproduzierende Tiere. Im Vergleich zu einem Kilogramm Rindfleisch wird für ein Kilo Insekten beispielsweise nur ein Achtel an Rohstoffen benötigt, teilt die Verbraucherzentrale Hamburg mit, die dazu mehrere Studien ausgewertet hat (siehe Grafik). Es gibt noch keinen wissenschaftlichen Konsens darüber, ob Insekten leidensfähig sind.
Allergiker gefährdet: Bei Menschen mit Allergien gegen Hausstaub oder Schalen- und Krustentiere könnte sich eine Kreuzallergie gegen Insekten entwickeln, so die Verbraucherzentrale. Wer beispielsweise Garnelen nicht verträgt, der reagiert auch häufig auf Mehlwürmer. Die Allergien können durch Chitin oder das Muskelprotein Tropomyosin hervorgerufen werden, heißt es. Insgesamt ist das Risiko, auf Insekten allergisch zu reagieren, aber eher gering. (mz)