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Altersforschung Altersforschung in Sachsen-Anhalt: Professor Andreas Simm will mit Knusperbrot Leben alter Menschen verlängern

Von Ralf Böhme 27.03.2017, 06:00
Andreas Simm backt für die Wissenschaft und ein langes Leben.
Andreas Simm backt für die Wissenschaft und ein langes Leben. UKH

Halle (Saale) - Halles Methusalem-Professor Andreas Simm sucht für die nächste Zeit  dringend eine Bäckerei, die ihn bei seinen Forschungen unterstützt. Denn das Motto der von ihm geplanten, umfangreichen Untersuchungen könnte heißen: Iss dich gesund!

Den Altersforscher treibt die Frage um, wie ist Langlebigkeit aus biologischer Sicht zu bewerten und zu unterstützen. Wenn seine Vision greift, sorgt eines Tages womöglich ein neues Gesundheits-Brot dafür, dass noch mehr Menschen in guter Verfassung ihren 100. Geburtstag feiern können.   

Die ältesten Alten sind das am schnellsten wachsende Segment der Bevölkerung. Schätzungen zufolge steigt die Zahl der Hundertjährigen in Sachsen-Anhalt jährlich um etwa zehn Personen. Dass für diesen Trend langfristig wirkende genetische Faktoren verantwortlich sind, darf nach Ansicht vieler Wissenschaftler bezweifelt werden. Der Grund: Dafür vollzieht sich der Anstieg der durchschnittlichen Lebensdauer viel zu rasch. Der Rückgang der Sterblichkeit der über 80- und 90-Jährigen setzt in Deutschland nämlich erst nach 1970 ein.

Während um 1900 kaum Menschen ihren 100. Geburtstag erlebten, gab es laut Uno-Erhebungen im Jahr 2000 bundesweit bereits 7.200 Personen, die 100 Jahre und älter waren. Im Jahr 2025 kann diese Zahl bereits bei über 44.000 liegen. Nach einigen Hochrechnungen ist zu erwarten, dass zumindest etwa die Hälfte der 1970 oder später geborenen Mädchen 100 Jahre alt werden. Allerdings geht das in vielen Fällen mit einer spürbar nachlassenden Leistung einher. Nur etwa ein Drittel der heutigen Hundertjährigen erlebt das Alter ohne oder nur mit einem geringen Defizit.

Langlebigkeit in Mitteleuropa kann vor allem durch die stark verbesserte Behandlung von Herzproblemen erklärt werden. Hinzu kommt ein erweitertes Wissen vieler Menschen in Gesundheitsfragen. „Der Rückgang der Herz-Kreislauf-Sterblichkeit spielt eine zentrale Rolle.“ Das meint der Rostocker Demografie-Forscher Roland Rau. Die deutschen würden so alt wie nie zuvor. Ein Ende dieser Entwicklung sei nicht in Sicht. Generell würden Alterungsprozesse später einsetzen. Ein Beispiel: Frauen im Alter von 86 Jahren sind inzwischen so gesund wie 80-Jährige zwischen 1960 und 1970.

Seit etwa 2005 gibt es zwischen West- und Ostdeutschland kaum noch Unterschiede in der Lebenserwartung. Frauen hätten die Aussicht auf durchschnittlich 82,5 Jahre, Männer verfehlten diese Marke um zwei bis drei Jahre. Insgesamt werden Menschen inzwischen etwa doppelt so alt wie noch vor 200 Jahren.

Fest steht: Der Medizinprofessor von der Martin-Luther-Universität will in den kommenden drei Jahren das Hauptnahrungsmittel Nummer eins der Deutschen genauestens unter die Lupe nehmen: Unser täglich Brot. 

Als sein großes Ziel sieht er an, aus der Kruste ein neuartiges Nahrungsergänzungsmittel zu entwickeln. Nicht irgendeins unter bereits vielen vorhandenen Angeboten, sondern eins, mit dem man die körpereigene Abwehr gegen Krankheiten im Alter regelrecht trainieren kann.

Altersforschung in Sachsen-Anhalt: Als Mittel gegen Demenz und Lungentumore geeignet?

Ermittelt werden soll nach seinen Worten, unter welchen Bedingungen eine solche Therapie das Leben vieler Menschen noch einmal verlängern kann.  Auch Männer sollten etwas davon haben. Denn bisher würden fast nur Frauen 100 Jahre und älter.

Grundsätzlich müssten laut Simm, der in Halle-Kröllwitz das Forschungslabor der Klinik für Herzchirurgie leitet, zunächst zwei unterschiedliche Szenarien durchgespielt werden.

Einmal geht es dabei um eine Bremse von Demenzerkrankungen, die mit dem Absterben von Nervenzellen verbunden sind. Das andere Mal stehen Lungentumorzellen im Fokus. Das Problem dort: Könnte die zelleigene Abwehr so angeregt werden, dass damit das Wachstum des Tumors nachweislich zu hemmen ist?

Altersforschung in Sachsen-Anhalt: Die Suche nach der richtigen Kruste

„Die Frage, der wir auch nachgehen, ist, welche  Krusten-Version die wirksamste wäre, die beides kann“, blickt der Wissenschaftler voraus.  Welche Menge und in welchen Abständen man das Nahrungsergänzungsmittel  nehmen müsste, müsse gleichfalls noch beantwortet werden.

Um das alles herausfinden zu können, bedarf es Unterstützung.  Glücklicherweise gehört das Projekt zum Landesprogramm „Autonomie im Alter“, an dem die Martin-Luther-Universität mit fünf Themen beteiligt ist.

Dafür stehen insgesamt 2,3 Millionen Euro aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und aus Sachsen-Anhalts Haushalt  zur Verfügung.   

Altersforschung in Sachsen-Anhalt: Bäckerei als Partner gesucht

Wo es noch hakt: Simm fehlt bisher ein geeigneter und engagierter Bäckerei-Partner, der vielleicht an einem Kapitel der Wissenschaftsgeschichte mitschreiben will.

Bislang ist nach seinen Recherchen in der Region noch kein Handwerksbetrieb  bereit, mit ihm gemeinsam nach den wirksamsten Inhaltsstoffen im Brot zu suchen.

Schwere Zeiten liegen hinter ihm. August Weißberg aus Augsdorf (Landkreis Mansfeld-Südharz): „Ich war mehr im Bett als auf den Beinen.“ Diagnose: Herzrhythmusstörungen. Jetzt ist die Welt für Ur-Opa aber wieder in Ordnung.

Der 101-Jährige: „Wer den Mut nicht sinken lässt, hat immer eine Chance.“
Ihm ermöglicht eine erfolgreiche Operation - die Implantation eines Herzschrittmachers in der Helios-Klinik Eisleben - die Rückkehr ins selbstbestimmte Leben.

Dazu gehört für ihn der tägliche Blick in die Zeitung. Er ist der älteste Abonnent der MZ. Der Erfolg des Eingriffs ist unübersehbar. Seine Finger, stellt Weißberg zufrieden fest, zitterten nicht einmal mehr. 

So kann der ehemalige Kupfer-Bergmann mit ruhiger Hand eine Kerze anzünden. Den Wecker stellt er sich immer auf sieben Uhr. „Ich mache mich beizeiten aus den Federn.“ Toast aufbacken, Kaffee kochen -  kein Problem. Das habe er von seiner Frau gelernt. 67 Jahre dauerte das große Eheglück.

Reich könne man damit sicher nicht werden. Auch sei der Aufwand durchaus    beträchtlich, räumt Simm ein. Als eine der wichtigsten Herausforderungen an den Bäcker nennt der Altersforscher: Für belastbare Ergebnisse müssten beim Backen viele Parameter erfasst und stets nach wissenschaftlichen Vorgaben gearbeitet werden. Und es sei absehbar, dass man für die Testreihen recht viele Brote benötige, einige Hundert bestimmt.

Altersforschung in Sachsen-Anhalt: Voruntersuchungen machen Hoffnung

Einiges gibt ihm zufolge aber berechtigten Anlass zur Hoffnung, dass tatsächlich ein wissenschaftlicher Fortschritt erreicht werden kann.  So hätten bereits erste Vorarbeiten nachgewiesen, dass Extrakte aus der Brot-Kruste die Zellen vor oxidativem Stress schützen können.

„Beim Backen bilden sich modifizierte Eiweiße“, erklärt der Forscher einen der  Dreh- und Angelpunkte seiner Überlegungen. Freigesetzt würden die Verbindungen dann beim Essen.

Speziell die verzuckerten Eiweiße bringen laut Simm die Zellen dazu, ihr  eigenes Abwehrsystem zu aktivieren. Und auch dafür gibt es Anhaltspunkte:  „Je dunkler die Kruste, desto mehr solcher Verbindungen sind vorhanden.“

Altersforschung in Sachsen-Anhalt: Langes Leben von vielen Faktoren abhängig

Deswegen bestehe ein Teil des Projektes darin, herauszufinden, wie dunkel das Brot idealerweise gebacken sein müsste. Noch unklar sei auch, welche Getreidesorte und welche Backtemperatur das beste Ergebnis liefern. „Wir fangen mit Sorten an, die in Deutschland angebaut werden, also unter anderem Dinkel, Hafer, Weizen, Roggen.“

Dass er damit an einem Allheilmittel arbeitet, dieser Überschätzung schwört Simm ungefragt ab. Und wer dafür eine einfache Antwort parat hätte, liege höchstwahrscheinlich falsch.

André Rieu fiedelt, Gerda Schorat tanzt zur CD - mit 104 Jahren. Gerda Schorat, die zweitälteste Einwohnerin von Dessau-Roßlau, fühlt sich wohl im „Haus Anneliese“ in der Törtener Straße. 

Hier kennt sie sich gut aus, hat gute Freundschaften geschlossen. Seit zwölf  Jahren lebt die Frau in einer  hübsch eingerichteten Einraumwohnung des betreuten Wohnens. 

Dabei stammt die Mutter von vier Söhnen nicht aus der Gegend.  Die Familie kam aus dem ehemaligen ostpreußischen Zweilinden, heute Gussew in Russland. Nach Krieg und Vertreibung fasste man zuerst Fuß in der Altmark.  

Ihre vier Söhne gründeten Familien in Naumburg, im hessischen Butzbach, in Dessau und im Hunsrück. Seit 2002 ist Gerda Schorat heimisch an der Mulde. Und wenn es etwas zu feiern gibt, treffen sich dort fünf Generationen zu Mutters großer Kaffeerunde.

Den Söhnen folgten nämlich sechs Enkelkinder. Mittlerweile macht es schon etwas Mühe, da den Überblick zu behalten. So tummeln sich manchmal vier Urenkel am Tisch.

Dazu seien die Einflüsse, die auf die Lebenserwartung wirkten, einfach zu vielfältig. Vieles würde dafür sprechen, dass ein langes Leben von Faktoren  abhängt, die durchaus selbst gesteuert werden könnten.  

Altersforschung in Sachsen-Anhalt: Persönliches Verhalten beeinflusst Lebenserwartung maßgeblich

Die Veranlagung, sehr alt zu werden, mache vielleicht 25 Prozent aus. 75 Prozent erklären sich ihm zufolge weitgehend aus dem persönlichen Verhalten.   

Viele Studien, die Teilaspekte erfassten, stützen danach durchaus alte Erfahrungen. Dazu gehöre unter anderem die Aufforderung zum Maß halten. Für Simm ein geradezu klassisches Beispiel: Zuweilen ein Glas Wein, das sei auch für ihn nicht die Frage.

Aber täglich eine ganze Flasche, das verkrafte  der Körper nicht und nehme früher oder später nachweislich Schaden. Umso intensiver er im Reich der Moleküle forscht, desto mehr interessiert sich der Professor für Alltagserfahrungen alter Menschen.        

Altersforschung in Sachsen-Anhalt: „Auswirkungen werden mir selbst begegnen“

Eine Möglichkeit zur Begegnung bietet die von ihm geleitete Ringvorlesung  über die Altersforschung: „Wenn mir da Leute erzählen, wie sie früher zum Tanz zehn Kilometer weit gelaufen sind, stellt sich die Frage nach Bewegungsarmut in der Jugend nicht mehr.“ 

Offenbar begünstigten auch bestimmte Rituale wie Fastenzeiten den Stoffwechsel, wirkten sich der zeitweise Verzicht auf Fleisch oder Alkohol während der Fastenzeit positiv auf die Zellgesundheit aus.

Sogar der Humor dürfte beim Älterwerden eine nicht geringe Rolle spielen.   Simm, Jahrgang 1960, übt sich darin quasi im Selbstversuch. Sein Bestreben bringt der verheiratete Familienvater mit drei erwachsenen Kindern witzig so auf den Punkt: „Altersforschung ist die einzige Forschungsarbeit, bei der ich mir hundertprozentig sicher sein kann, dass mir die Auswirkungen selbst begegnen werden.“ (mz)