Wissenschaft Ahoi, Gelber Sack! Warum Forscher mit einem Floß aus Müll über die Elbe fahren
Es besteht aus alten Joghurtbechern und ausrangierten Plastiktonnen: das Forschungsfloß „Recyclo“ zeigt, was mit Recycling alles möglich ist. Die Besatzung will auch herausfinden, wie schadstoffbelastet die Elbe ist.

Halle/MZ - Leinen los und schon übernimmt der Fluss das Floß, das am Freitagvormittag gemächlich in die Elbe gleitet. Der Motor kommt nicht sofort zum Einsatz. „Wir haben uns am Dienstag die Schiffsschraube an einem Stein kaputtgefahren“, sagt Felix Dobritz. Damit das nicht noch einmal passiert, wird jetzt penibel auf den Abstand zum Flussboden geachtet. Zumal am Vorabend eine neue Schraube installiert wurde. „Ja, sowas gehört auch zur Forschung dazu“, meint Dobritz.
Er und seine Kollegen Roman Maletz und René Zippel sind im Auftrag der Wissenschaft auf der Elbe unterwegs. Dienstag starteten sie in Dresden, ihr Ziel ist Magdeburg. Am Freitag stand der Abschnitt von Wittenberg nach Dessau-Roßlau auf dem Programm. 44 Kilometer Strecke, eines der kürzeren Teilstücke.
Die drei Forschungsflussfahrer gehören zur TU Dresden. Dort arbeiten sie am Institut für Abfall- und Kreislaufwirtschaft, wobei auch andere Fachbereiche am Floßprojekt beteiligt sind. Das Wassergefährt mit dem Beinamen „Recyclo“ wiederum passt sehr gut zum Bereich der Wissenschaftler. Denn man könnte es auch als schwimmenden Gelben Sack bezeichnen. „Zum Bau haben wir überall, wo es möglich war, recyceltes Material verwendet“, erklärt Roman Maletz, den die vergangenen Tage auf dem Wasser gut gebräunt haben.
Holzdielen aus Kunststoff
Da wäre zum Beispiel das Deck des Wassergefährts, das zwar wie aus Holzdielen gefertigt aussieht, jedoch aus Plastik besteht. „Die Bretter stammen von einer Firma aus dem Erzgebirge, die sie aus Kunststoffresten herstellt“, erklärt Dobritz, der das Floß über ein Jahr hinweg konzipiert und gebaut hat. „Am Ende handelt es sich da um Joghurtbecher oder andere Verpackungen, die umgearbeitet wurden.“ Solche Neunutzungen zu zeigen, ist ein Anliegen der Wissenschaftler. „Was in der Mülltonne landet, ist eben nicht nur Müll, sondern oft noch gut zu gebrauchen - das müssen wir viel stärker nutzen.“

Unter den Kunststoffbrettern sind drei lange Schwimmkörper befestigt. Deswegen nennt Felix Dobritz das Floß auch nicht Floß, sondern Trimaran - klingt besser und auch wertiger. Die Schwimmkörper bestehen aus ausrangierten Fässern. „In denen hatte eine Autowerkstatt Scheibenwischerflüssigkeit gelagert“, sagt der 40-Jährige. Damit das Boot schnittiger im Wasser liegt, sind die Fässer mit Blumentöpfen und alten Salatschüsseln vorne abgerundet. „Alle Seile, die wir verwendet haben, sind alte Kletterseile“, erklärt Dobritz. Der Motor wurde beim THW aussortiert. Nur bei den Schrauben sei es nicht möglich gewesen, recyceltes Material zu nutzen.
Die Elbe hat das Schiff nun komplett erfasst. Es geht bergab, wie man in der Schifffahrt sagt - also der Flussmündung zu. Vom Wasser aus erlebt man die Landschaft ganz anders. Die Elbe hat erstaunliche viele Sandstrände, an denen sich Reiher und andere Wasservögel tummeln. Wenige Angler stehen am Rand, Boote sind kaum unterwegs. Nur die wuchtige Viking Astrild, ein Schweizer Flusskreuzfahrtschiff, ist in Richtung Dresden unterwegs. Die Menschenleere, der leichte Wind, die Sonne - so angenehm kann Forschung sein.
Wasserprobe beim Klärwerk
Allerdings ist der Trip der Wissenschaftler nicht nur eine Schaufahrt - dafür würde aktuell auch das Publikum fehlen. Fünf Kilometer nach dem Start in Wittenberg beginnt René Zippel damit, Becher, Glaskolben und Pipetten auszupacken. „Wir nehmen jetzt eine Wasserprobe“, sagt er. Das wird natürlich nicht an einem beliebigen Ort gemacht. „Wir passieren gleich ein Klärwerk und da ist es natürlich spannend, welche Stoffe wir dort im Wasser finden.“
Zippel, der noch Student ist, wirft sich auf den Boden des Trimarans und angelt mit ausgestrecktem Arm das Wasser. Dann wird pipettiert und filtriert, aber noch nicht analysiert. „Das geschieht erst im Labor, in der kommenden Woche“, sagt Zippel. Damit die Proben bis dahin frisch bleiben, werden sie verschlossen in eine Kühlbox gelegt - neben Salat und Getränkedosen. „Wir untersuchen das Wasser auf etwa 40 Stoffe“, erklärt Zippel. Darunter sind Rückstände aus Schmerzmitteln, UV-Filter, wie sie in der Sonnencreme vorkommen oder auch Pestizide. „Aus der Erfahrung heraus kann man schon sagen, dass die Elbe in einem ganz guten Zustand ist“, sagt Zippel. Die Zeiten, in denen man schon aus 200 Metern Entfernung den Fluss riechen konnte, seien vorbei. „Wir waren sogar schon in der Elbe schwimmen“, sagt der 26-Jährige. Sichtbare Schäden hat das nicht hinterlassen.

50 bis 60 Wasserproben sammeln die Forscher auf ihrer 200 Kilometer langen Reise. Mit Sensoren, die im Wasser hängen, wird aber auch dauerhaft gemessen. „Damit sammeln wir Daten zum pH-Wert, der Temperatur und auch der elektrischen Leitfähigkeit der Elbe“, erklärt Roman Maletz. Solche Werte können darüber Aufschluss geben, welche Fremdstoffe sich im Fluss befinden. Zudem gibt es noch eine Isotopenanalyse, über die bestimmt wird, aus welchen Zuflüssen sich die Elbe speist und wie die Zusammensetzung sich verändert.
Barbie aus den 1960ern
Eine Schafherde trinkt am Flussufer. Auf der anderen Seite liegen zwei Wassertouristen am Strand – nackt. Roman Maletz hat sich gesetzt und erzählt von einem Start-up, an dem er beteiligt ist. Es berät Unternehmen zum Thema Nachhaltigkeit. „Wir haben zuletzt mit dem Spielzeughersteller Mattel ein Programm erstellt, bei dem altes Spielzeug zurückgenommen und wieder aufgearbeitet wird“, berichtet der 41-Jährige. Die größte Rarität sei bisher eine eingesandte Barbie-Puppe aus den 1960er Jahren gewesen. „Die hatte aber eine Bleibelastung, mit der sie es heute nie in den Handel schaffen würde.“

Firmen hätten ein großes Interesse an solchen Nachhaltigkeitsstrategien. „Die Nachfrage ist enorm“, sagt Maletz. Mit den Forschungsfloß solle deswegen auch für die Umweltwissenschaften geworben werden. „Der Personalbedarf wird in unserem Bereich immer größer.“
Maletz zückt jetzt sein rotes Notizbuch. Es ist das Logbuch der Fahrt. Darin wird notiert, was passiert: Wenn der Motor mal streikt, die Schiffsschraube Beulen bekommt oder das Sonnensegel vom Wind verweht wird. Das ist nicht alles wissenschaftlich relevant, aber es soll helfen, die schwimmende Forschungsstation zu verbessern. Denn die aktuelle Fahrt wird nicht die letzte der „Recyclo“ sein. „Am Samstag erreichen wir unser Ziel in Magdeburg“, sagt Maletz. Dann komme der etwa 10.000 Euro teure Trimaran erst einmal in ein Lager. Im kommenden Jahr soll er aber zurück ins Wasser, um weiter nach Hamburg zu schippern. Dann heißt es auch wieder: Ahoi, Gelber Sack!