Telefon-Abzocke im Knast Sachsen-Anhalt: Telefon-Abzocke im Knast

Burg - Der blaue Apparat mit den silbernen Wähltasten ist klein und kantig, aufs Design wurde hier keine Energie verschwendet. Es ist nur ein Telefon, fest an der Wand verschraubt, nach allen Seiten offen und gegen Mithörer ungeschützt.
Und dennoch hat Cornelius R. in diesen Apparat nach eigener Schätzung 14.000 Euro gesteckt. „Das war der einzige Weg, Kontakt mit der Außenwelt zu halten“, sagt R. Der 47-Jährige hat acht Jahre im Gefängnis Burg gesessen.
„Ich habe meine Tochter angerufen, meine Frau, meine Eltern, meinen Anwalt“, erinnert er sich. „Wenn man eingesperrt ist, sucht man den Kontakt nach draußen.“ Ohne das Telefon, sagt er, wäre die Haft noch viel trostloser gewesen.
Häftling zahlt 14.000 Euro Telefonkosten im Gefängnis Burg
R., der zu Beginn des vergangenen Jahres entlassen wurde und heute einen anderen Nachnamen trägt, hat ein Vermögen in den Apparat stecken müssen. Sein einstiger Gefängnisdirektor nennt ihn einen „Vieltelefonierer“. Das ist nicht falsch und doch kaum die halbe Erklärung.
Denn R. wurde im Burger Gefängnis abgezockt. Die Telefongebühren waren drastisch überteuert - das hat R. schwarz auf weiß.
Wer in Sachsen-Anhalt hinter Gitter wandert, macht schnell Bekanntschaft mit den blauen Flurtelefonen. Handys sind den Gefangenen verboten. Sie sollen keine Möglichkeit haben, illegale Geschäfte fortzuführen oder Anderen zu drohen.
Die Gemeinschaftsapparate sind deshalb der einzige Ausweg. Sie lassen sich so programmieren, dass der Gefangene nur die genehmigten Telefonnummern anwählen kann. Und sie werden abgehört, sobald ein Richter das anordnet.
Wer telefonieren will, muss zuvor auf ein Guthaben-Konto einzahlen oder draußen jemanden finden, der das übernimmt.
Telefonapparate in Justizvollzugsanstalt Burg vom Hamburger Unternehmen Telio
Betrieben werden die Apparate nicht von der Anstalt selbst, sondern vom Hamburger Unternehmen Telio, nach eigener Auskunft „Europas Marktführer für Telefonanlagen im Justizvollzug“. Das Geschäft scheint lukrativ zu sein. Gefangene sind die perfekten Kunden, weil sie keine Wahl haben. Wer telefonieren will, muss also mit dem Besitzer der Apparate ins Geschäft kommen.
Das kostet. Als R. wegen Erpressung in Burg landet, sind für ein Ferngespräch 20 Cent pro Minute fällig. Ein Anruf ins Mobilnetz kostet 70 Cent, Auslandstelefonate bis zu 2,60 Euro. R. weiß, dass das weit über den Marktpreisen liegt und beantragt eine Senkung. Der Gefängnisdirektor lehnt das jedoch ab.
Man könne nichts machen, heißt es, das Telefon werde ja nicht von der JVA betrieben, sondern von einem Privatunternehmen – und mit dem gebe es eben Verträge.
Wucherpreise fürs Telefonieren im gefängnis - Häftling reicht Klage beim Landgericht Stendal Klage ein
R. ist nicht der erste Burger Gefangene, der an diesem Punkt scheitert. Doch er gibt nicht auf: 2013 reicht er beim Landgericht Stendal Klage ein. Die zuständige Strafvollstreckungskammer sieht sich außerstande, die Telefongebühren selbst zu beurteilen.
Sie holt sich daher als Sachverständigen den Berliner Telekommunikations-Experten Stefan Eberle. Er kommt zu dem Schluss: Die Preise in Burg liegen satte 272 Prozent über dem günstigsten Angebot für Gefängnisse. Dass jeder Insasse pro Monat zehn Freiminuten hat, ist da bereits eingerechnet.
Anhand der geschätzten Aufwendungen des Anbieters rechnet Eberle auch aus, wie viel Profit hängen bleibt. Er kommt auf eine Gewinnspanne von 66 Prozent, ein „sehr hoher“ Wert, wie der Sachverständige in seinem 34-seitigen Gutachten notiert.
Das Landgericht entscheidet daraufhin 2014, dass die JVA über den Antrag auf Senkung der Kosten neu entscheiden muss. Das Gefängnis legt dagegen Rechtsbeschwerde ein, doch vergeblich: Im Juni 2015 bekommt der Gefangene auch vom Oberlandesgericht Naumburg recht.
Abzock-Tarife im Gefängnis: JVA muss neu verhandeln
Die JVA muss nun reagieren. Mit Telio verhandelt sie über die Preise – und zum 1. Mai 2015 werden sie deutlich gesenkt. Ferngespräche sind mit zehn Cent und Mobilverbindungen mit 35 Cent nur noch halb so teuer wie zuvor.
Wie konnte es zu den Abzock-Tarifen kommen? Der Telefonmarkt-Experte Kai Petzke vom Online-Vergleichsportal teltarif.de hat einen Verdacht. „Das läuft wie in vielen Krankenhäusern. Der Betreiber schließt ohne Sachkenntnis einen Vertrag mit einem Dritten. Dabei hat er die Interessen der Nutzer kaum im Blick.“
Das Argument der JVA, Telio biete mit den Guthaben-Konten auch besonderen Service, lässt Petzke nicht gelten. „Das ist ein ganz normales Pre-paid-System. In jedem Handyladen an der Ecke gibt es da Kampfpreise. Wenn man sich bemüht, findet man auch günstige Anbieter.“
Haben sich die Verantwortlichen nicht bemüht? Mit Telio macht Sachsen-Anhalt bereits seit 2002 Geschäfte. Damals schloss das Justizministerium für zehn Jahre einen Rahmenvertrag, der sich durch Unterverträge noch verlängerte.
Im Justizministerium ist dafür heute als Abteilungsleiter ausgerechnet Thomas Wurzel verantwortlich - der einstige Burger Gefängnisdirektor, der R.s Antrag auf Preissenkung abgelehnt hatte.
Beim ersten Vertragsabschluss habe es auf dem Markt zu Telio gar keine Alternative gegeben, sagt Wurzel - räumt aber ein, niemand habe geprüft, ob Anbieter aus Krankenhäusern in Frage kommen könnten.
Und später? „Dass sich der Markt drastisch ändert und die Tarife überall sinken, war für das Ministerium so nicht erkennbar.“ Erst 2014 habe man durch das Eberle-Gutachten belegen können, dass es weitaus billiger geht.
Der Telefonstreit ist indes noch nicht abgeschlossen. Denn der Burger Strafgefangene R. geht 2015 auch gegen die neuen Tarife vor. Wieder klagt er - und seit vier Wochen hält er nun eine weitere Entscheidung des Landgerichts Stendal in der Hand.
Die Preise seien „noch immer nicht marktgerecht“, heißt es in dem Beschluss. Es sei keinesfalls zulässig, die überhöhnten Tarife „auf die Gefangenen abzuwälzen“. Das Justizministerium will nicht klein beigeben und hat Rechtsmittel eingelegt.
Ex-Gefangener will Gefängnisdirektor wegen Wucher verklagen
Der Ex-Gefangene Cornelius R. hat von künftigen Preissenkungen nichts. Er hofft allerdings, die überhöhten Gebühren zurückzubekommen. Seinen einstigen Gefängnisdirektor will er zudem wegen Wucher verklagen. „Er hätte mich vor einer solchen Ausbeutung schützen müssen, hat das aber nicht getan.“
R.s Klage von 2013 hat deutschlandweit viel bewegt. „Das war eine Musterklage“, sagt sein Anwalt Jan Oelbermann. Der Berliner hat nach eigenen Angaben Kläger in acht weiteren Ländern erfolgreich vertreten. „Wenn die Pflege der sozialen Kontakte für die Resozialisierung wichtig ist“, sagt er, „dann darf sie eben auch nicht durch überhöhte Tarife erschwert werden.“
Justizministerin Anne-Marie Keding (CDU) kündigt unterdessen an, die Telefonverträge für sämtliche Gefängnisse 2019 im Paket neu auszuschreiben.
Telio reagiert auf den Wucher-Vorwurf gar nicht. Auf MZ-Anfrage hüllt sich das Unternehmen in Schweigen. (mz)