Der Lehrer-Schwindel Sachsen-Anhalt: Lüge um den Lehrermangel
Magdeburg - Dass dieser Sparkurs nicht gesund sein würde, ahnte Thomas Lippmann schon im Jahr 2013. „Die nächste Bombe“ werde in den Schulen platzen, warnte der damalige Landeschef der Bildungsgewerkschaft GEW.
Es war die Zeit, in der Jens Bullerjahn (SPD) als Finanzminister einen strikten Sparkurs in Sachen Bildung fuhr. Lippmann, heute Landtagsabgeordneter der Linken, mahnte: „Wir werden unser blaues Wunder erleben.“ Schon bald werde es Schulen mit zu wenigen Lehrern geben. Die Mitteldeutsche Zeitung titelte: „Bedrohlicher Lehrermangel?“
Das Schweigen der Minister
Aus Bedrohung wurde Realität, ab Montag verhandelt die aktuelle Koalition aus CDU, SPD und Grünen darüber, wie der Mangel bekämpft werden kann. Brisant: Mitten in den aktuellen Haushaltsverhandlungen wird nun klar, dass die frühere Landesregierung offenbar schon 2013 konkret über fehlende Lehrerstellen im großen Stil Bescheid wusste - und das Parlament darüber täuschte.
Dieser Vorwurf geht aus einem vorläufigen Bericht des Landesrechnungshofes hervor, der der MZ vorliegt. Demnach haben die damaligen SPD-Minister Jens Bullerjahn (Finanzen) und Stephan Dorgerloh (Kultus) die Zahl der Lehrerstellen schon bei den Haushaltsverhandlungen für 2014 viel zu niedrig angesetzt. So niedrig, dass die Stellen nicht für das vorhandene Personal reichten.
Problematisch: Beide Minister seien über das drohende Stellendefizit informiert gewesen - und hätten die Abgeordneten dennoch im Dunkeln gelassen, so der Prüfbericht.
Durch das Verschweigen rund 500 fehlender Stellen sei nicht nur das Recht des Parlaments verletzt worden - denn es sind die Abgeordneten, die das sogenannte Budgetrecht über den Landeshaushalt haben. Die Ministerien hätten auch in Kauf genommen, dass es 2014 in der Folge zu Verstößen gegen das Haushaltsrecht gekommen sei. Denn das Geld für die nicht eingepreisten Lehrer sei aus anderen Stellen im Haushalt geflossen. Unsaubere Arbeit gegen die Regeln, urteilt der Rechnungshof.
Angesichts der neuen Vorwürfe kommt Kritik von Swen Knöchel, Linken-Fraktionschef und Haushaltsexperte. „Offenbar wollte Bullerjahn den Sparkommissar geben“, es sei dem Minister immer um das Herunterschrauben der Stellen gegangen. Geld könne man durch das Manöver nicht sparen, so Knöchel. Die Statistik frisieren jedoch offenbar allemal. Um die Sparvorgaben zu erreichen, hätten sich die Ministerien „immer wieder selbst bemogelt“.
Das Verschweigen des Defizits sei hochproblematisch und eine „Frage von Klarheit und Wahrheit“. Aus dem Haushalt müsse eindeutig hervorgehen, wie viele Lehrer im Land arbeiten und bezahlt würden. Bis heute herrsche in dieser Frage im Bildungsministerium weitgehende „Intransparenz“, so Knöchel.
Für den Rechnungshof ist der Fall eindeutig. Laut Bericht war im damaligen Kultusministerium schon im Mai 2013 bekannt, dass ein 500-Stellen-Defizit für 2014 drohe. Das Finanzressort sei im Juni per E-Mail informiert worden. „Trotzdem wurde die Problematik während der Haushaltsverhandlungen im Ausschuss der Finanzen des Landtages nicht erörtert“, so der Bericht. Dorgerloh wird in der Haushaltsdiskussion um künftige Stellen lediglich mit dem Satz zitiert, das Thema sei „ohnehin eine relativ schwierige Materie“.
„Sehr kritisch hinterfragt“
Der Rechnungshof hat nun beide Ministerien zu Stellungnahmen aufgefordert. Das Bildungsressort - heute unter CDU-Minister Marco Tullner - räumte am Freitag einen Teil der Vorwürfe ein. Allerdings sei das Personalbudget des Ministeriums „in keinem Fall überschritten worden“, so Sprecher Stefan Thurmann.
Und ob „parlamentarischen Rechte missachtet wurden“, lasse sich noch nicht endgültig bewerten. Aus dem Finanzministerium heißt es hingegen: Ja, alle Forderungen nach mehr Stellen wurden damals „sehr kritisch hinterfragt“. Allerdings: Kenntnis über „rechtswidrige Stellenbewirtschaftung“ im Lehrerbereich habe es im Finanzministerium nie gegeben.
Der ehemalige SPD-Finanzminister Bullerjahn sagte am Freitag gegenüber der MZ, er könne die Vorwürfe zunächst nicht kommentieren. Bisher habe er keine Kenntnis vom Prüfbericht des Landesrechnungshofes. Dorgerloh war für die MZ nicht zu erreichen. (mz)