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Sachsen-Anhalt Sachsen-Anhalt: Kurzkredit für Siegelring

Von STEFFEN REICHERT 28.12.2008, 18:59

LEIPZIG/RASSNITZ/MZ. - Und als die junge Frau das Pfandhaus verlassen hat, erklärt Gerstenberger warum. "Wie wollen Sie den Wert bestimmen, wo es die Dinger gratis zum Telefon-Vertrag gibt?" Auch Fahrräder lehnt Gerstenberger strikt ab. Die Gefahr sei zu groß, dass gestohlene Räder dabei sind. "Da hätte ich ja dreimal am Tag die Polizei im Haus."

Es ist ein kleines und zentral gelegenes Geschäft, das Gerstenberger seit zwölf Jahren in der Messestadt betreibt. "Pfandhaus Leipzig" steht schlicht über dem Eingang. Die meisten Kunden, die hierher kommen, wissen, wie es läuft. Es braucht keine großen Worte. Gegen die Annahme von Wertgegenständen wird ein zeitlich befristetes Darlehen vergeben.

Barbara Gerstenberger setzt die große Lupenbrille auf und sucht den kleinen Stempel im Gold. Sie holt den Prüfstift, um die Echtheit der Steine prüfen zu können. Und wer es bis hierher geschafft hat, dessen Schmuck kommt auf die Waage, die regelmäßig amtlich geeicht wird. "45 Euro würde ich Ihnen dafür geben - wie immer", sagt sie zu dem jungen Mann, der den Siegelring abgibt. Er kommt regelmäßig mit dem Schmuckstück, weil sein Lehrlingsgeld nicht reicht. "Der löst ihn auch garantiert wieder ab", ist sich Barbara Gerstenberger sicher.

Hierher kommen Menschen aus allen sozialen Schichten: Rentner, Sozialhilfeempfänger oder Mütter, denen das Geld ausgegangen ist. Leute, die selbst am Geldautomaten keinen Überziehungskredit mehr bekommen. Oder Unternehmer, die dringend Geld brauchen. Selbst der Sponsor eines Fußballklubs, sagt Gerstenberger, lässt regelmäßig für ein paar Tage seine wertvollen Uhren beleihen.

In Pfandhäusern geht es schnell und diskret zu. Die "Schufa" wird nicht gefragt. Wichtig ist nur: Gerstenberger will Einkaufsbelege und den Personalausweis sehen - ohne Papiere läuft nichts. Den jungen Mann, der ihr einen Satelliten-Receiver anbietet, schickt sie genau so wieder weg, wie die Frau, die ein Armband aus 750er Gold, aber angeblich keinen Ausweis dabei hat. Leute wie diese haben keine Chance im Leihhaus. Und Laptop-Kunden? Aussichtslos. "Da kann man ja den Wertverfall voraussagen". Gebrauchte Gameboys? "Im Leben nicht!" Denn stets drohe die Gefahr, dass Kunden ihre Ware nicht auslösen und die Stücke dann versteigert werden müssen. Wenn sich Interessenten finden. Sonst bleibt Gerstenberger auf der Ware sitzen.

Hardy Fiegert aus Rassnitz bei Schkopau im Saalekreis hat sich auf Autos, Motorräder und Baumaschinen spezialisiert. Seit zwölf Jahren schon betreibt der frühere Spediteur gemeinsam mit seiner Frau ein Pfandhaus - er im Verkauf, sie in der Buchhaltung. "Ich kenne mich seit meiner Lehre mit Autos aus", sagt er, warum er sich auf diesen Zweig spezialisiert hat. Ein einziges Mal in all den Jahren hat Fiegert einen Rahmenriss an einem Fahrzeug zu spät erkannt - das ist sein Geschäftsrisiko.

Seine Kunden kennt er in aller Regel. Sie bringen Transporter und Cabriolets, Boote und Motorräder vorbei. "Unternehmer wollen oft kurzfristig liquide sein", erklärt der 43-Jährige. "Manche holen die Fahrzeuge am selben Abend wieder ab." Bei Fiegert wird die Ware versichert und gut eingelagert. Die Kunden kommen aus ganz Mitteldeutschland zu ihm, weil sie im kleinen Rassnitz nicht erkannt werden. Diskretion ist Ehrensache. Vor kurzem hat Fiegert in Halle ein Pfandhaus für kleinere Stücke eröffnet. "Da ist es der Kundschaft in der Regel egal, ob sie gesehen wird." Aber da sind auch die beliehenen Werte deutlich geringer. Halle ist nicht Leipzig.

Barbara Gerstenberger aus Leipzig macht am liebsten in Schmuck. Sie beleiht praktisch den Goldwert - die Kursschwankungen eingerechnet. Gold ist sicher, im Notfall lässt sie es einschmelzen. Pelze sind ihr wegen der Mottengefahr zu anfällig. Und Kunst? Davon versteht sie nichts. Fernseher? Nur mit Kaufbeleg.

An diesem Nachmittag wird sie doch noch unruhig. 1 000 Euro für den Sport Chronographen aus Glashütte hat sie dem Kunden am Vormittag ausgezahlt. Etwa 5 000 Euro wäre die Uhr wert, die Quittung ist dabei. Aber ist die Uhr wirklich echt oder wurde sie getäuscht? Barbara Gerstenberger wälzt noch lange die Kataloge, vergleicht die Abbildungen, schaut noch einmal in die Preislisten, bis sie wirklich sicher ist. Die Uhr ist echt, die Ausführung in "Stahlmetallic" serienmäßig. Und so wird es doch noch ein guter Tag für sie.