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Sachsen-Anhalt Sachsen-Anhalt: Ende einer Haft ohne Gitter

Von Kai Gauselmann 16.04.2007, 18:41

Quedlinburg/MZ. - "Das ist mir neu, das muss ich erstmal verdauen." Quedlinburgs Vize-Bürgermeister Wolfgang Scheller (parteilos) war nicht angetan von den Neuigkeiten über das zumindest vorläufige Ende der Überwachung von Frank O. "Das kommt dem Sicherheitsgefühl der Bürger nicht entgegen. Das wird zu einiger Verunsicherung führen", sagte Scheller. Er kündigte an, am Mittwoch bei einem Treffen mit Innenminister Holger Hövelmann (SPD) den Fall zu besprechen.

Der 40-jährige Frank O., der wegen Mordes und versuchten Totschlags mehr als die Hälfte seines Lebens hinter Gittern verbrachte, lebt wieder bei seinen Eltern in einem Quedlinburger Neubaugebiet. Dort wurde er nun monatelang auf Schritt und Tritt von Zivilbeamten überwacht - obwohl er offiziell aus der Haft entlassen worden war. O. sei auch weiterhin gefährlich, lautete die Begründung des Justizministeriums für die aufwendige Aktion. Dass die Beamten nun aber plötzlich abzogen, wird in dem Neubaublock kritisch gesehen. "Das Geld, das die Überwachung verschlungen hat, ist rausgeschmissenes Geld, wenn er wieder machen kann, was er will", sagte ein Anwohner. Eine Rentnerin meinte, ihr sei "schon ein bisschen mulmig".

Ulrich Huppenbauer wohnt nicht in der Harz-Kleinstadt, kennt Frank O. aber sehr gut. "Es war allerhöchste Zeit, dass die Bewachung zu Ende geht", sagte er. Der evangelische Seelsorger der JVA Naumburg hat O. im Gefängnis betreut und nach seiner Entlassung besucht. Was Huppenbauer dabei sah, das habe ihn schockiert. "Er wurde als freier Mann entlassen, das hatte mit Freiheit aber nichts zu tun, was da abgelaufen ist." Die strenge Überwachung, letztlich eine Art Haft ohne Gitter, hielt Huppenbauer gar für kontraproduktiv. "Die stand der Resozialisierung völlig entgegen." Der gelernte Lackierer O. habe ein Jobangebot gehabt und sei auf Wohnungssuche gewesen. "Das hat sich durch die Bewachung zerschlagen."

Die Überwachungs-Aktion ist zumindest in der Geschichte Sachsen-Anhalts ohne Vorbild: Rund um die Uhr hatten 32 Zivilpolizisten O. beschattet, blieben ihm mit Pkw und Fahrrädern auf den Fersen. 90 000 Euro allein an Personalkosten soll die Aktion im Monat gekostet haben. Die polizeiliche Bewachung des von einem Gericht freigelassenen Häftlings war der Schlusspunkt eines langen juristischen Tauziehens.

2002 sollte O.s Haftzeit eigentlich enden - doch der Landtag beschloss extra ein Gesetz zur nachträglichen Sicherheitsverwahrung. O. blieb hinter Gittern, kämpfte aber für seine Freilassung. 2004 wurde das Landesgesetz vom Verfassungsgericht gekippt. Doch O. blieb im Gefängnis: Der Bundestag hatte inzwischen ein Gesetz zur Sicherheitsverwahrung beschlossen. Auch dagegen ging O. an. Im vergangenen Dezember ordnete dann das Landgericht Magdeburg seine Freilassung an. Gutachter hatten O. attestiert, nicht mehr hochgradig, sondern nur noch "mittelgradig gefährlich" zu sein - zu wenig für eine Sicherungsverwahrung.

Wieso die Überwachung am Montag aufgehoben wurde, ist nicht ganz klar. Die Behörden hielten sich mit Erklärungen zurück. Noch vor wenigen Wochen hatten Innenminister Hövelmann und Justizministerin Angela Kolb (SPD) ausdrücklich erklärt, O. müsse zunächst einen Therapievertrag unterschreiben, dann erst würde die Überwachung gelockert. O. soll nicht nur seine Bereitschaft zu einer psychologischen Behandlung erklären und nach Magdeburg umziehen, sondern auch den Therapeuten von seiner Schweigepflicht entbinden - damit er den Behörden Auskunft darüber geben kann, ob die Therapie Wirkung zeigt. Doch bis Montag hatte O. den Therapievertrag noch nicht unterschrieben.

Weder Frank O. noch sein Anwalt Volker Buchwald waren am Montag auf MZ-Anfrage zu einer Stellungnahme bereit. Buchwald hatte allerdings im Vorfeld die Rechtmäßigkeit der Polizei-Überwachung bezweifelt.