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"Sachlich nicht mehr zu rechtfertigen" "Sachlich nicht mehr zu rechtfertigen": West-Richter dominieren die Ost-Justiz

Von Markus Decker 25.01.2019, 09:00
Ein Richter liest in Erläuterungen zum Strafgesetzbuch.
Ein Richter liest in Erläuterungen zum Strafgesetzbuch. dpa

Magdeburg - Die 25 Präsidenten der obersten Gerichte in Ostdeutschland sind fast 30 Jahre nach dem Fall der Mauer ausschließlich Westdeutsche. Das ergibt sich aus einer MZ-Recherche. Danach sind die Präsidenten der Oberlandesgerichte, Oberverwaltungsgerichte, Landesarbeits- und Landessozialgerichte sowie der Finanzgerichte durchweg erst nach 1990 von Westdeutschland nach Ostdeutschland gekommen. Dabei handelt es sich um 18 Männer und sieben Frauen.

Entsprechend verhält es sich auch in Sachsen-Anhalt. Der Präsident des Oberlandesgerichts, Uwe Wegehaupt, kommt aus Quakenbrück, der Präsident des Oberverwaltungsgerichts, Oliver Becker, aus Osnabrück, die Präsidentin des Landesarbeitsgerichts, Kathrin Thies, aus Hoya/Weser und der Präsident des Landesozialgerichts, Michael Fock, aus Frankfurt am Main. Die Präsidentin des Finanzgerichts, Afra Waterkamp, hat in den 80er Jahren in Münster studiert.

Streit über den Wohnsitz der Richter

Die Linken-Abgeordnete im Magdeburger Landtag, Eva von Angern, kritisierte dies. „In den Gerichten sind Leute an der Spitze, die nicht nur aus den alten Bundesländern kommen, sondern dort auch weiterhin ihren ersten Wohnsitz haben“, sagte sie der MZ. „Das halte ich für problematisch. Wenn man in einem Land arbeitet, dann sollte man sich auch dazu bekennen.“

Von Angern fuhr fort: „Ich sehe hier eine gläserne Decke für Ostdeutsche. Es ist nun Sache der Landesregierung, Nachwuchsförderung zu betreiben, damit auch Ostdeutsche eine Chance bekommen.“ Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) habe selbst beklagt, dass zu wenig Ostdeutsche in Führungspositionen seien. „Aber klagen reicht nicht. Man muss auch handeln.“ Allerdings sei die zuständige Justizministerin Anne-Marie Keding (CDU) ebenfalls Westdeutsche.

Einige der Posten sind erst in den vergangenen Jahren neu besetzt worden. In Mecklenburg-Vorpommern wird gerade ein Präsident für das Oberlandesgericht gesucht. Doch auch hier ist nicht zu erwarten, dass ein Ostdeutscher das Rennen macht. Auf den kürzlich ausgeschiedenen Präsidenten Burkhard Thiele, der aus Hamburg stammt, sollte die in Dortmund geborene Monika Köster-Flachsmeyer folgen. Dagegen geht ein Mitbewerber juristisch vor - er kommt aus Lübeck.

Der Soziologe Raj Kollmorgen von der Hochschule Zittau-Görlitz sagte der MZ zu der Nachricht über die Westdominanz: „Das ist eine wichtige Botschaft und ein Befund, den man erst mal verdauen muss.“ Allerdings sei der Anteil der Ostdeutschen unter den Richtern Ostdeutschlands nach 1989 immer gering gewesen. Nach bisherigen Erkenntnissen liegt er bei 13 Prozent. Dafür gebe es auch Erklärungen, sagte Kollmorgen.

So seien im Zuge der Wiedervereinigung viele West-Juristen in den Osten gekommen, während ostdeutsche Juristen nicht ausreichend qualifiziert gewesen seien oder erst mit dem Studium begonnen hätten. Zudem dürften viele Richter wegen ihrer Staatsnähe nach der Wende ihren Job verloren oder zumindest keine Karrierechancen mehr gehabt haben. Überdies dominieren dem Soziologen zufolge seit 1990 „in der Judikative hochgradig formalisierte Laufbahnen. Da ist man 15 Jahre unterwegs, bis man oben landet.“ Dass Ostdeutsche bei der Besetzung der Präsidenten-Posten bis heute „keine Chance erhalten, obwohl sie seit 20 Jahren im Geschäft“ seien, sei jedoch „sachlich nicht mehr zu rechtfertigen“, findet er.

„Beklagenswerter Mangel an obersten Gerichten offensichtlich“

Die Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Katrin Göring-Eckardt, sagte der MZ: „Die Ursachen für die Unterrepräsentanz von Ostdeutschen in gesellschaftlichen Führungspositionen liegen lange zurück. Gerade an den obersten Gerichten ist dieser beklagenswerte Mangel offensichtlich, da für solche Spitzenpositionen neben einer langjährigen Ausbildung auch eine lange Berufserfahrung nötig ist und das Justizsystem in Ostdeutschland in den 1990ern komplett neu aufgebaut werden musste.“ Sie fügte hinzu: „Die Erklärung für heute darf aber keine Ausrede für morgen sein. Auch im allgemeinen Justizdienst sind Ostdeutsche unterrepräsentiert.“

Die Pensionierungswelle an Gericht rollt

Der Bundesgeschäftsführer des Deutschen Richterbundes, Sven Rebehn, erklärte, in den neuen Ländern werde sich die schon jetzt angespannte Personalsituation „durch eine große Pensionierungswelle bis 2030 deutlich verschärfen“. Die Gerichte und Staatsanwaltschaften verlören hier bald fast zwei Drittel aller Juristen. „Nachwuchs aus den westdeutschen Ländern dürfte nicht leicht zu werben sein, denn die Justiz muss bundesweit im nächsten Jahrzehnt etwa 40 Prozent aller Richter und Staatsanwälte ersetzen“.

Darum gelte es, „gerade in den ostdeutschen Ländern mehr Geld in die Hand zu nehmen, um ausreichend gut qualifizierte Nachwuchsjuristen zu gewinnen“. Im thüringischen Justizministerium meint man, bis 2031 sei sogar ein Übergewicht von Richtern ostdeutscher Herkunft „wahrscheinlich“.

Die lange vernachlässigte fehlende Repräsentanz Ostdeutscher in Führungspositionen ist seit einiger Zeit ein kontroverses Thema. Der Politikwissenschaftler Lars Vogel gibt den Anteil der Ostdeutschen in Führungspositionen mit sechs bis acht Prozent an - bei einem Anteil an der Gesamtbevölkerung von 17 Prozent.

(mz)