Windparks in Sachsen-Anhalt Windparks in Sachsen-Anhalt: Entfernung zu Siedlungen könnte weiter schrumpfen

Domnitz - Man muss vor die Tür gehen, um das gesamte Ausmaß zu erfassen. Schräg links über den Hof von Mechthild und Henning Lattorff bis zum Gartentor, dann scharf rechts den Feldweg hoch, am Wäldchen vorbei, das sie hier „Vogelbusch“ nennen. Dann kann man immer mehr von ihnen sehen. Am Ende zählt man 24 Windräder, hier, am Ortsrand von Domnitz, Saalekreis. „Früher“, sagt Henning Lattorff, 69, „konnte man ungestört bis zum Horizont gucken.“
Windräder im Saalekreis: „Manchmal klingt es auch wie Schiffssirenen“
Lattorffs wohnen nicht nur in Sichtweite der Windräder. Einige kann man, je nach Standpunkt, auch aus dem Wohnzimmerfenster sehen. Sie wohnen auch in Hörweite. Mechthild Lattorff, 63, Pfarrerin im Ruhestand, spricht von einem „Fauchen“, vor allem nachts, wenn es auf der viel befahrenen Straße direkt vorm Haus ruhig ist. „Manchmal klingt es auch wie Schiffssirenen“, sagt sie. Tagsüber hört man davon nichts, da ist die Straße lauter.
Ab 2010 wurden die Anlagen quasi vor ihrer Nase errichtet. Als sie standen, hat Henning Lattorff irgendwann einen langen Spaziergang unternommen. Er hat sich unter jedes einzelne Windrad gestellt, hat mit ihm geredet. Klingt spinnert. Er aber sagt: „So haben wir unseren Frieden damit gemacht.“
Windkraft-Debatte: Abstandsregelungen sollen gelockert werden
Aber dann haben sie die Berichte über die aktuelle Windkraft-Debatte gelesen. Über die Abstandsregelungen, die gelockert werden sollen, unter anderem nach dem Willen der Grünen. So hält etwa Umweltministerin Claudia Dalbert die in einem Gesetzentwurf des Bundes vorgesehene Mindestentfernung von 1.000 Metern zu Wohnsiedlungen für zu viel. Aus Sicht der Grünen-Politikerin würde das den Ausbau der Windkraft gefährden.
Die Debatte über die Lockerung von Abstandsregeln für Windparks hat einen ernsten Hintergrund: Unter anderem wegen strenger Naturschutzvorschriften und Klagen von Umweltverbänden und Bürgerinitiativen ist der Ausbau der Windkraft massiv ins Stocken geraten. So sind in Sachsen-Anhalt im ersten Halbjahr 2019 nur 14 neue Anlagen ans Netz gegangen.
Aus Sicht der Landesregierung bedeutet ein Ausbau allerdings nicht zwangsläufig, dass die Gesamtzahl der rund 2 900 Windräder im Land steigt. Vielmehr sollen alte Anlagen durch neue, leistungsfähigere und meist größere ersetzt werden. (mz)
Setzen Befürworter gelockerter Abstandsregeln wie Dalbert sich durch, könnten Windparks künftig womöglich näher an Wohnhäuser gebaut werden. Lattorffs haben sich hingesetzt und einen Brief an die MZ geschrieben: „Sollte ... die Abstandsregelung aufgeweicht oder aber höhere Windräder die bereits vorhandenen ersetzen und so zu den bisherigen Beeinträchtigungen noch der belastende Schlagschatten hinzu kommen, werden wir wohl nicht die einzigen BürgerInnen sein, die sich dagegen rechtlich wehren werden“, heißt es in dem Brief. Und: „Offenbar sind den Grünen die Belange der ländlichen Bevölkerung nicht sonderlich wichtig.“
Familie Lattorff: Keine wütenden Windkraft-Widerständler
Also sitzt man jetzt im Lattorff’schen Wohnzimmer, um sich selbst ein Bild zu machen. Und schnell wird klar: Man hat es hier nicht mit wütenden Windkraft-Widerständlern zu tun. Sondern mit Menschen, die das Gefühl haben, mit ihnen werde nicht mehr geredet.
Seit 1983 leben Lattorffs in Domnitz. 1990 haben sie die alte Schule am Ortsrand gekauft, ein denkmalgeschützter Ziegelbau aus dem 19. Jahrhundert mit einem Baracken-Anbau aus den 1960ern. Henning Lattorff hat hier seine Werkstatt für Modellbau und Werbemittel. Seine Frau war lange Pfarrerin im Ort. Zwischendurch sind sie für mehrere Jahre nach Halle gezogen. An den Wochenenden aber waren sie immer in Domnitz. Seit zwei Jahren wohnen sie wieder fest hier. Die Straße vorm Haus, sagen sie, hat sie noch nie gestört. „Die war ja immer schon da.“
„Einseitige Parteinahme für die Interessen der Windkraftbetreiber“
„Wir sind keine Windkraft-Gegner!“ Mechthild Lattorff ist es wichtig, das gleich zu Beginn des Gesprächs zu betonen. Im Gegenteil: „Wir sind für die Energiewende.“ Sie versuchen, so haben sie es in ihrem Brief an die MZ geschrieben, „mit der Natur im Einklang zu leben“. Sie kaufen regional ein, soweit möglich, versuchen Plastik zu vermeiden. Ihren alten Küchenherd heizen sie mit Holz. Mechthild Lattorff geht mit ihren Kindern und Enkeln regelmäßig zu den „Fridays for Future“-Demos in Halle.
Sie ist auch Mitglied im Bund für Umwelt- und Naturschutz. Und Wählerin der Grünen. Doch nun hat sie auch an deren Landtagsfraktion einen Brief geschrieben. Sie wirft den Grünen darin eine „einseitige Parteinahme für die Interessen der Windkraftbetreiber“ vor. Und schließt mit einer Bitte: „Bitte geben Sie ... den Menschen auf dem Land nicht das Gefühl, als Wählergruppe uninteressant zu sein!“
In der Windkraft-Debatte steckt auch ein Stadt-Land-Konflikt
Die Antwort aus Magdeburg hat sie enttäuscht. Darin wird betont, wie wichtig die Windkraft für die Energiewende sei, von einem „konfliktarmen“ Ausbau ist die Rede. Zu allgemein, finden Lattorffs. Für sie steckt in der Windkraft-Debatte auch ein Stadt-Land-Konflikt. Sie habe das Gefühl, sagt Mechthild Lattorff, es werde über ihre Köpfe hinweg entschieden. „Es kann doch nicht sein, dass man den Ausbau erneuerbarer Energien ausspielt gegen die Bedürfnisse der Bevölkerung vor Ort.“ Für jemanden, der in der Stadt wohne, sei es leicht, gelockerten Abstandsregelungen zuzustimmen, meint ihr Mann. „Aber ein Großteil der Menschen lebt nun einmal auf dem Land.“
Es geht also längst nicht mehr bloß um ein paar Windräder. Es geht, so sieht das jedenfalls Mechthild Lattorff, am Ende irgendwie auch um die AfD. Die ehemalige Pfarrerin sorgt sich: Viele Menschen wendeten sich ohnehin von der Politik ab, weil sie den Eindruck hätten, man höre ihnen nicht zu, ihre Probleme würden nicht ernst genommen. Die Windkraft-Debatte verstärkt diesen Eindruck aus ihrer Sicht bloß noch. Am Ende, befürchtet sie, wählten viele dann AfD. Aus Frust. Aus Protest. Dabei betont sie: „Vor deren Karren wollen wir uns nicht spannen lassen!“
Grüne im Land sind auch für Windparks in ehemaligen Tagebauen
Aber was ist die Lösung? Neben der Lockerung der Abstandsregeln haben sich die Grünen im Land auch für Windparks in ehemaligen Tagebauen ausgesprochen, weit weg von Wohnhäusern. Lattorffs finden das gut. Sie sagen aber auch: Man müsse prüfen, wie viele Windräder überhaupt notwendig seien.
Man könnte jetzt einwenden: Was soll das? Die Anlagen vor ihrem Gartenzaun sind doch sowieso schon da. Ja, sagt Henning Lattorff, und fügt ein „aber“ hinzu: Es gehe ja nicht bloß um den Neubau, sondern auch um das sogenannte „Repowering“. Dabei werden vorhandene Anlagen durch größere und leistungsstärkere ersetzt. Von dem durch das Drehen der Rotorflügel verursachten Schlagschatten, sagt Lattorff, „sind wir bisher verschont geblieben“. Dazu stehen die Anlagen zu weit von ihrem Grundstück entfernt. Der geringste Abstand, er hat das mal ausgerechnet mit Hilfe von Google Maps, liegt bei 500 Metern. Seine Befürchtung: Mit höheren Windrädern drohe auch ihnen Schattenwurf, zusätzlich zum Lärm.
Pressesprecherin von „eno energy“: „Wir nehmen solche Bedenken sehr ernst“
Kann Kathleen Zander solche Sorgen verstehen? Sie ist Pressesprecherin des Unternehmens „eno energy“, das sechs der Anlagen in Domnitz geplant und gebaut hat und die Betriebsführung dafür übernommen hat. „Wir nehmen solche Bedenken sehr ernst“, sagt sie am Telefon. Das Unternehmen sei stets offen für Gespräche mit Anwohnern. Für die übrigen Windräder in und um Domnitz seien allerdings andere Planer und Betreiber verantwortlich.
Immerhin: Repowering steht im Ort bisher nicht zur Debatte. „Uns sind keine derartigen Pläne bekannt“, sagt Antje Klecar, Bürgermeisterin der Stadt Wettin-Löbejün, zu der Domnitz gehört. Noch nicht. (mz)