Neue Lust aufs Fahrrad Neue Lust aufs Fahrrad: Geschäfte erleben Ansturm auf die Drahtesel

Merseburg/Günthersdorf - Wenn die Fahrrad-Handelskette Stadler in diesen Tagen pünktlich um 10 Uhr in ihrer Filiale im Einkaufspark in Günthersdorf die Türen für die Kundschaft öffnet, dann beginnt bereits der erste Ansturm. Erst in dieser Woche war es wieder zu erleben, dass sich noch vor Öffnung des Geschäfts bereits ein gutes Dutzend Kunden anstellte, um frühzeitig das ein oder andere Schnäppchen zu ergattern.
In der ganzen Republik scheint das Fahrradgeschäft derzeit einen Boom zu erleben, so auch in Günthersdorf. Doch warum ist das Kundeninteresse derzeit so groß, dass teils schon sichtbare Lücken in den Ausstellungsräumen klaffen und Händler mit dem Zusammenbauen neuer Räder kaum noch hinterherkommen?
Geschäfte bemerken eine verstärkte Anfrage
„Ja, auch wir bemerken eine verstärkte Anfrage, das aber auch schon seit einigen Wochen und nicht erst seit der Wiedereröffnung vieler Geschäfte“, sagt Harald Stepputat, Leiter der Stadler-Filiale in Günthersdorf, auf Anfrage der MZ. Grund für das länger anhaltende Interesse: Während viele Geschäfte in der Coronakrise geschlossenen bleiben mussten, war die Stadler-Filiale an der A9 stets geöffnet. „Wir hatten Kunden aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und sogar Brandenburg“, erzählt Stepputat, der sich die nun überall deutlich gestiegene Nachfrage von Kunden nicht so recht erklären kann - auch wenn es ihn natürlich freut.
Die Handwerkskammern machen mehrere Faktoren aus, die dazu beitragen, dass die Zweiradhändler aktuell ziemlich gestärkt aus der Krise herauskommen. Zum einen gehört das Frühjahr mit den Monaten März und April ohnehin zum wichtigsten Zeitraum für Geschäfte. Der Frühling ist für Zweiradhändler demnach vergleichbar mit dem Weihnachtsgeschäft für den Einzelhandel.
Besucherströme nun auf den Mai konzentriert
Zum anderen haben sich durch die Schließung der meisten Geschäfte die Besucherströme nun auf den Mai konzentriert. Die Kunden, die eigentlich schon im März oder April Investitionen geplant hatten, kommen wegen der Schließungen erst jetzt in die Läden. Während die Handwerkskammern nach pandemiebedingten Umsatzeinbußen von bis zu 60 Prozent von einer Aufholjagd sprechen, sehen es einzelne Händler kritischer.
Zu diesen gehört etwa Matthias Proske von der Radmanufaktur in Merseburg. „Es ist etwas problematisch, jetzt von einem Boom zu sprechen“, sagt er. Natürlich kommen derzeit deutlich mehr Kunden in die Geschäfte, weil sie es zuvor eben nicht durften. „Die Geschäfte haben sich zeitlich also einfach nur verlagert“, erklärt Proske, der eben nicht davon ausgeht, über das ganze Jahr gesehen, wegen des aktuellen Trends mehr Umsatz zu machen.
„Zudem sind wir natürlich auch im E-Bike-Bereich gut aufgestellt“
Von einem echten Ansturm kann der Merseburger Händler zudem eher weniger sprechen. Grund ist die hohe Spezialisierung der Radmanufaktur, die ihren Namen häufig alle Ehre macht, wenn beispielsweise die Räder direkt auf die Wünsche des Kunden zugeschnitten werden. „Zudem sind wir natürlich auch im E-Bike-Bereich gut aufgestellt“, ergänzt Proske. Und diese Modelle sind von Natur aus hochpreisiger.
„Nicht jeder ist in der aktuellen Krise aber bereit, größere Summen auszugeben“, gibt er zu bedenken. Dass Kunden derzeit auch mal etwas Geduld mitbringen müssen, hänge laut Proske auch damit zusammen, dass ein Monteur eben nur eine bestimmte Zahl von Fahrrädern am Tag zusammenbauen kann.
Nachfrage im Einsteigersegment ab 300 Euro
Von einem besonderen Moment, den das Fahrrad gerade erlebt spricht derweil David Eisenberger vom Zweirad-Industrie-Verband in der Deutschen Handwerks-Zeitung, dem Branchenblatt der Handwerkskammern. Laut ihm gebe es neben denen, die einen Neukauf ohnehin geplant hätte, auch viele, die das Rad derzeit für sich wiederentdeckten. Das zeige nicht zuletzt die gestiegene Nachfrage im Einsteigersegment ab 300 Euro, meint der Experte.
Und wer weiß: Da viele Deutsche wegen der Pandemie ihren Sommerurlaub in Griechenland, Spanien oder Thailand gedanklich abgehakt haben, boomt am Ende womöglich das Reisen vor der Haustür - dann aber mit dem Fahrrad statt mit dem Auto. (mz)