Gebirgsschlag in Teutschenthal 1996 Gebirgsschlag in Teutschenthal 1996: Als schweres Beben die Region aus dem Schlaf riss

Teutschenthal/Halle (Saale) - Der Schreck aus der Nacht zuvor dürfte sicher heute noch manchem in den Gliedern stecken. Kein Wunder, schließlich hatte ein heftiger Erdstoß gestern früh um 5.36 Uhr Tausende Hallenser und Saalkreisbewohner aus dem Schlaf gerissen. Viele verließen in panischer Angst ihre Häuser. Was war geschehen?
Eine Antwort auf diese Frage gab es kurze Zeit später. Ein Erdbeben habe sich ereignet, hieß es aus dem Radio. Am frühen Nachmittag wurde die Nachricht dann konkret: Das Bergamt Halle teilte mit, daß sich in den weitverzweigten Schächten des ehemaligen Kalibergwerkes Teutschenthal ein Gebirgsschlag ereignet hatte. Nach offiziellen Information habe es bei dem Beben nur einen Verletzten gegeben. Ein 20-jähriger Hallenser erlitt durch ein umstürzendes Regal eine Schnittverletzung am Bein.
Erschütterungen der Stärke von 4,5 bis 5 auf der nach oben offenen Richterskala
Die Erschütterungen, so hieß es weiter, seien vom Geologischen Landesamt Baden-Württemberg mit einer Stärke von 4,5 bis 5 auf der nach oben offenen Richterskala registriert worden. Es war fast wie in einem Hollywood-Thriller: Häuser gerieten ins Wanken, knirschende Geräusche in Wohnungen und Fahrstühlen, Wände rissen, Dachziegel und Schornsteine stürzten auf die Straßen, Anbauwände und Regale kippten um, Türen öffneten sich. Ampeln setzten kurzzeitig aus.
In Zscherben brach der Dachstuhl eines Wohnhauses in sich zusammen. Die Verbindungsstraße zwischen Teutschenthal und Holleben bekam tiefe Risse. Jens Liebelt, Bewohner eines Hochhauses in Halle-Neustadt, beschrieb das Erlebnis: "Ich bin aufgewacht, weil mein Bett wackelte. Auf den Balkon habe ich mich erst gar nicht getraut." In seinem Viertel in der Bodestraße seien Familien mit Kindern aus den Häusern gelaufen.
"Gab es etwa eine riesige Explosion?"
Aufgeregt wurde diskutiert und spekuliert. "Gab es etwa eine riesige Explosion?" Jemand wollte einen hellen Lichtschein gesehen haben. Verkäuferin Margitta Kohlaus von der Silberhöhe dachte zuerst an ihre herzkranke Mutter, die zwei Straßen weiter wohnt. Im Laufschritt sei sie zu ihr geeilt. "Mutter hatte von der ganzen Geschichte nichts mitbekommen und fest geschlafen", so Frau Kohlaus erleichtert.
"Ich fühlte mich im 19. Stock meines Hochhauses wie auf einem Grashalm im Wind, so schwankte alles um mich herum", erzählt Ärztin Elisabeth Kilian aus Neustadt. Rund 200 Telefonanrufe ängstlicher, verwirrter und zum Teil in Panik geratener Menschen liefen in den folgenden eineinhalb Stunden nach dem Beben unter dem Notruf 110 bei der Polizei ein. Wieso bebt plötzlich die Erde? fragten die meisten Anrufer. Beantworten konnten sie die Beamten am frühen Morgen nicht. Sie schickten Einsatzkräfte an alle wichtigen Punkte der Stadt.
"Unsere Gäste waren natürlich auch wach geworden“
Die Glauchaer Straße mußte wegen Einsturzgefahr eines alten Hauses für den Verkehr gesperrt werden. Kurz nach demErdstoß klingelten an der Rezeption des Maritim-Hotels am Riebeck-Platz die Telefone. "Unsere Gäste waren natürlich auch wach geworden und fragten, was los sei", so die stellvertretende Direktorin des Hauses, Bettina Wellner. In Panik sei niemand geraten. Man habe im Empfangsbereich Fernseher und Radio angestellt, um die Gäste zu informieren.
Hollebens Bürgermeister Helmut Kitze war gleich nach dem Beben im Dorf auf den Beinen. Die Kirche und das Gelände rundum mußte er bis auf weiteres sperren: Risse in den Wänden. Außerdem war die erst kürzlich neu aufgesetzte Wetterfahne heruntergestürzt. In den betroffenen Saalkreisgemeinden bei Teutschenthal schwärmten Verwaltungsmitarbeiter aus. Schäden ermitteln, so hieß der Auftrag. So entschieden Fachleute beispielsweise, das Haus Nummer 5 in der Teutschenthaler Straße des Friedens zu räumen.
"Wir müssen ausziehen - aus Sicherheitsgründen"
"Wir müssen ausziehen - aus Sicherheitsgründen", erzählt Mieterin Claudia Menz. "Das Mauerwerk ist von Rissen übersät, der Schornstein eingestürzt und das Dach beschädigt." Es grenze an ein Wunder, daß im Haus niemandem etwas passiert sei, meint die junge Frau, obwohl doch alles so schrecklich gewesen wäre. "Das ganze Haus hat gewackelt. Die Kinder haben geschrien. Das Geschirr ist aus den Schränken gefallen."
Wo Claudia Menz jetzt wohnen wird, wußte sie gestern noch nicht. "Warten wir ab, was uns die Gemeinde anbietet." Fürs erste kam sie mit der Familie bei ihrer Schwester unter. Die Mieter in der Straße des Friedens waren im Schlaf von dem Beben überrascht worden - außer Otto Höpfl. Er hatte gerade Dienst im Kraftwerk Schkopau. Aber auch dort seien die Erschütterungen zu spüren gewesen. Ihm ging es wie seiner Familie zu Hause.
"Ich wollte mich gerade umziehen, als es losging."
"Ich wußte gar nicht so recht, was los ist." Das erklärte auch der Teutschenthaler Michael Höpfl. Im ersten Moment dachte er, daß ein Lkw am Haus vorbeigefahren sei. "Aber dann fiel die gesamte Stereoanlage vom Regal und mir auf den Kopf. Da ahnte ich nichts Gutes." Zum Glück sei ihm aber nichts passiert. Brigitte Schütze erlebte den Gebirgsschlag kurzvor Schichtbeginn auf der Arbeitsstelle in der Solbergwerke- und Aufbereitungs GmbH in Angersdorf.
"Ich wollte mich gerade umziehen, als es losging." In Windeseile hätte sie den Umkleideraum verlassen und sei auf den Hof gerannt. "Wir haben die Produktion vorsorglich unterbrochen, um nachzusehen, ob Geräte beschädigt wurden", so Geschäftsführer Jürgen Krumbein. Das sei nicht der Fall gewesen. Allerdings müßte ein 50 Meter hoher Schornstein - der jedoch schon lange nicht mehr in Betrieb sei - abgerissen werden.
"An der Spitze ist ein riesiges Stück Mauerwerk herausgebrochen."
"An der Spitze ist ein riesiges Stück Mauerwerk herausgebrochen." Weitaus extremer nahmen sich dagegen die Auswirkungen des Bebens im Teutschenthaler Freibad Pappelgrund aus. Dort rutschte nach einer Flutwelle ein Teil der Uferböschung herab und zog etliche Pappeln in das Gewässer. Auch auf der Straße vor dem Bad hatte der Gebirgsschlag an den Strommasten seine Spuren hinterlassen, wodurch die Gemeinde Teutschenthal mehrere Stunden ohne Strom war.
"Mal hatten wir Strom, und dann war er wieder für einige Zeit weg", erzählten die Leute im Dorf. Der Ausfall wirkte sich auch nachteilig auf das Geschäft von Bäckermeister Boltze aus. Eine Verkäuferin: "Wir konnten nicht alle Brötchen und Brote rechtzeitig fertiggebacken, weil plötzlich der Ofen nicht mehr funktionierte." (mz)