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Rappbode-Talsperre Rappbode-Talsperre: Europas längste Doppelseilrutsche wird eröffnet

Von Ingo Kugenbuch 09.11.2012, 19:33

Rübeland/MZ. - Angst. Dann kommt erst mal nichts. Und dann die Frage: Sind die völlig wahnsinnig? Wer um Himmels Willen rutscht freiwillig an einem 1000 Meter langen Drahtseil mit 90 Kilometer pro Stunde quer durch den grauen Harzhimmel - auf der längsten Doppelseilrutsche Europas? Da wäre zum Beispiel Mario Polke.

Er lächelt noch tapfer, nachdem er die schmalen Treppenstufen zu dem dreistöckigen Metallturm erklommen hat. "Es kribbelt ein bisschen im Bauch", sagt er und klickt seinen "Edelrid"-Helm zu. Hier oben geht ein kalter Wind, und der Blick schweift weit über das Land. Nach rechts, zur Rappbode-Talsperre, die mit 106 Metern die höchste Staumauer Deutschlands besitzt. Und dann nach links, runter nach Wendefurth, zur nachgeschalteten Sperre. Dort unten, einen Kilometer Luftlinie entfernt, wird Polke gleich ankommen. 90 Sekunden dauert die Fahrt an einem 12 Millimeter dicken Drahtseil.

Aber zunächst bekommt er ein Gurtsystem verpasst, das ihn vor dem Absturz in die Tiefe schützen soll. Und er wird von Maik Berke, 34, einem der Betreiber der "MegaZipline", eingewiesen: Polke muss sich nach vorne legen, bis sich die beiden Gurte, die ihn mit der Metallrolle an dem Seil verbinden, straffen. Seine Beine streckt er nach hinten in einen weiteren Gurt, so dass er jetzt bäuchlings und stocksteif in der Luft liegt. "Um die Fundamente habe ich keine Angst", witzelt Polke, "die halten." Schließlich habe er die selbst gebaut.

Polke, Chef einer Wernigeröder Baufirma, und sein Mitarbeiter Frank Richter gehören zu den Ersten, die nach der Tüv-Abnahme der Seilbahn über das Bodetal fliegen dürfen. 120 Meter beträgt der Höhenunterschied zwischen Start- und Zielpunkt. Die Stahlseile - jedes eine Tonne schwer - wurden mit einem russischen Lastenhubschrauber vom Typ Mi-8 über dem Tal gespannt. Bis Windstärke 6 darf gerutscht werden.

Jetzt holt sich Berke per Funk die Freigabe von seinem Bruder Stefan, 32, der den Seilflieger unten in Wendefurth in Empfang nehmen wird. "3, 2, 1, los." Berke zieht die Sperre aus der Rolle, und Polke zischt los. Das Seil summt und summt, und Polke wird kleiner und kleiner - ein winziger dunkler Fleck über dem Wasser im Sportbecken der Wendefurther Talsperre. Das aufgestaute Adrenalin macht sich durch einen Schrei Luft. Auch Kollege Richter, der später in einem Sitzgeschirr fahren wird, brüllt Anspannung und Freude heraus. Eine Fliehkraftbremse in der Rolle und das durchhängende Seil sorgen dafür, dass Polke und Richter mit fünf Kilometern pro Stunde sanft landen.

Hatte er keine Angst? "Angst nicht direkt, man ist ja doppelt gesichert", sagt Polke, nachdem er die Fahrt hinter sich hat. "Es kribbelt halt, wenn man über das Tal fliegt. Man spürt das Adrenalin, und die Augen tränen. Es ist ähnlich wie Motorradfahren - ein schöner Kick." Wird er noch mal fahren? "Na klar", sagt Polke ohne zu zögern. Sieben Mutige können nacheinander - jeweils zwei auch nebeneinander - das Drahtseil hinabrutschen. 35 Euro kostet ein Adrenalin-Kick. Wenn alle unten angekommen sind, werden sie mit einem Mercedes-Kleinbus zurück zum Start gebracht.

Obwohl diese für den Harz einzigartige Attraktion am Sonntag ab 10 Uhr mit einer großen Party eröffnet wird, ist Maik Berke, ein schmächtiger Mann mit Ziegenbart, noch ganz entspannt. Gemeinsam mit seinem Bruder Stefan betreibt er die Firma "Harzdrenalin" mit Sitz in Elbingerode (Harzkreis). Die bietet auch Touren mit dem Segway - einem zweirädrigen Elektrofahrzeug - zum Brocken und "Wallrunning" an - mit einem Seil gesichert laufen Adrenalin-Junkies die Staumauer der Wendefurther Talsperre hinunter.

Wie teuer die Seilrutsche war, will Berke nicht verraten. Nur so viel: "Für Segways, Wallrunning und Zipline haben wir insgesamt 600 000 Euro investiert", sagt er. Auf die Idee zum Bau der Rutsche sind die Brüder in Neuseeland gekommen. "Dort haben Natur, Abenteuer und Tourismus einen ganz anderen Stellenwert", sagt er und scheint sich immer noch darüber zu wundern, dass das 1 000 Meter lange Bauwerk tatsächlich genehmigt wurde - schließlich fliegt der Passagier verwaltungstechnisch betrachtet in der Stadt Oberharz am Brocken los und kommt in Thale an. Ein kleiner Flug für einen Menschen, aber ein großer Graben für die Bauverwaltung. "Ich habe all die Schwierigkeiten in dem Verfahren nicht persönlich genommen", sagt Berke und lächelt grimmig. Durch die mehrmonatige Verzögerung wird die Riesen-Seilrutsche nun nicht im Sommer, sondern erst im November eröffnet.

Braucht man außer einer gehörigen Portion Unerschrockenheit noch weitere Voraussetzungen, um mit der "MegaZipline" zu fliegen? Solange das Körpergewicht nicht unter 40 und über 120 Kilogramm liegt und weder Herzkrankheit noch Epilepsie bekannt ist, steht dem "schönen Kick" nichts im Weg. Im Winter sollte man sich allerdings warm anziehen. Skibrille und gefütterter Helm werden gestellt.