Sicherheit in Sachsen-Anhalt Polizeigewerkschaft testet Elektroschocker für Streifenbeamte - Herr Perlbach wird gegrillt

Magdeburg - Stefan Perlbach trägt ein weißes Unterhemd. Sonst nichts unter seinem DPolG-Poloshirt. Dass muss man vorwegschieben. Was jetzt passiert, ist nämlich ohne Netz und doppelten Boden. Denn Herr Perlbach wird gleich unter Hochspannung gesetzt. Im Selbstversuch testet er ein „Distanz-Elektro-Impuls-Gerät“. Umgangssprachlich Taser gerufen. Wobei Taser unter Elektroschockern so etwas ist, wie Tempo unter Papiertaschentüchern.
Herrn Perlbach werden aus besagtem Gerät gleich zwei Pfeile in den Rücken treffen und unmittelbar darauf in fünf Sekunden 95 Impulse von je 50.000 Volt. Normale Menschen stellen sich jetzt vermutlich die Frage: Was hat die Deutsche Polizeigewerkschaft DPolG gegen ihren ehrenamtlichen Pressesprecher in der Hand, damit er sich vorgeblich freiwillig grillen lässt?
Ungefährlich?
Wolfgang Ladebeck ist der Chef von Herrn Perlbach, und Herr Ladebeck sagt, dass der Herr Perlbach das mit dem Tasern macht, um die Ungefährlichkeit des Geräts und die Notwendigkeit der Beschaffung desselbigen für die Polizei zu begründen. Im Wahlkampf hätten nämlich alle Parteien versprochen, die Polizei besser auszurüsten, sagt Herr Ladebeck. Zwei Wochen nach der Wahl nimmt der Gewerkschaftsboss also die Politik beim Wort und hat daher zu einer Art Kaffeefahrt für Journalisten geladen. Herr Perlbach macht nicht den Eindruck, als sei er unfreiwillig da. Er lächelt.
Statt der gerne feilgebotenen Kochtopf-Sets stehen zunächst Helme aus Titan auf dem Programm. Der Hersteller heißt „Ulbrichts Witwe“ und klingt daher gerade im Osten der Republik nach vorgezogenen April-Scherz. Die Firma heißt aber wirklich so und hat mit Lotto und Walter nix zu tun. „Das ist ein völlig anderer Zweig“, formuliert der Verkaufsmensch etwas unglücklich. Dann schiebt er nach: „Eigentlich ist das gar kein Zweig.“ Stimmt. Lotte und Walter sind längst tot, die Firma „Ulbrichts Witwe“ will aber dafür sorgen, dass so etwas Polizisten nicht widerfährt.
Das ist lobenswert, aber der Name passt da irgendwie nicht. Jedenfalls, so erfährt man in einem Vortrag, sind die Titan-Helme allen Helmen aus Aramid meilenweit bei möglichem Beschuss überlegen. Dass SEK in Sachsen-Anhalt hat das Lord-Helmchen-Modell bereits im Programm, nun sollen auch die Streifenpolizisten folgen, wünscht sich Herr Ladebeck.
Noch mehr scheint er sich aber die Geräte der Firma Taser International Inc. in Arizona (USA) zu interessieren. Das Problem: Die Teile haben einen verdammt schlechten Ruf. Amnesty International beklagte im Jahr 2012 den 500. Tasertoten in den USA. Horst Sandfort, Taser-Vertreter seit zwölf Jahren, kommentiert das so: „Der Taser ist unverstanden.“ Deshalb ist Herr Perlbach da, für das bessere Verständnis im praktischen Teil. Und Herr Sandfort für die Theorie: 50 000 Volt und 1,3 Milliampere „können niemanden umbringen“, sagt er. Und: „Strom im Körper ist lebensnotwendig.“ Nicht der Taser habe die 500 Menschen getötet. Sondern andere unglückliche Umstände. Das ist einer der Gründe, warum Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) vom Taser für alle Streifenbeamten nichts wissen will.
Das Verletzungsrisiko sei zu hoch, der Taser letztlich eine Waffe, zu der es entsprechende Schulungen braucht. Und das Gerät berge die Gefahr, zu schnell und unangemessen eingesetzt zu werden. Herr Sandfort kennt die Argumente alle, er hält sie allesamt von den Medien falsch dargestellt und darüber hinaus für nicht zutreffend. Etwa das Verletzungsrisiko: „Das ist beim Basketball doppelt so hoch.“
Und bei 3,5 Millionen Einsätzen seien auch nur viermal die Augen getroffen worden. In so einem Fall soll das Gerät übrigens nicht abgeschaltet werden, sagt Herr Sandfort. „Damit sich der Getroffene nicht die Pfeile und die Augen herausreißt.“ Das soll dann ein Augenarzt erledigen - also die Pfeile entfernen.
Herr Perlbach kann sich also schon mal glücklich schätzen, denn Michael Radner wird dem Pressesprecher in den Rücken schießen. Herr Radner ist die rechte Hand von Herrn Sandfort und war mal Polizist. „Ich hätte da gern einen Taser gehabt, denn ich musste mal einen Menschen erschießen“, sagt er. Heute soll der Test an Herrn Perlbach aber „möglichst sicher ablaufen“. Denn ein Taser „ist ja kein 100 Prozent sicheres Einsatzmittel, so etwas gibt es nicht.“ Aha.
Und Herr Perlbach soll auch nach dem Schuss nicht ungebremst aufs eigene Gesicht fallen. Komisch, wo doch das Verletzungsrisiko so gering ist. Deswegen müssen Gewerkschaftschef Ladebeck und sein Vize Dirk Kost den Herrn Perlbach sichern.
Und zwar je eine Hand in die Achselhöhle und eine Hand „von unten ans Handgelenk“, sagt Radner. Das solle verhindern, dass der gleich elektrifizierte Herr Perlbach mit einer Frequenz von 95 Schlägen in fünf Sekunden seinen Kollegen gewaltig auf die Zwölf haut.
Fünf lange Sekunden
Herr Perlbach zeigt immer noch keine Angst. „Sowie der Strom einsetzt, unten ablegen“, instruiert Herr Radner ein letztes Mal. „Dann los, ab geht er“, sagt Herr Perlbach. Es knallt und knattert. Fünf Sekunden können verdammt lang sein.
Herr Perlbach wird steif wie ein Brett, sagt nichts. Nur seine Beine krampfen. Vermutlich mit einer Frequenz von 95 Impulsen in fünf Sekunden. Als Herr Perlbach wieder steht, sieht er nicht mehr so fröhlich aus. „Alles gut. Aber eine Wellness-Anwendung war das nicht.“ Dann verteilt Herr Sandfort T-Shirts in Taser-Form. (mz)
