Plattform redtube.com Plattform redtube.com: Abgemahnt für Sex-Filmchen

Halle (Saale)/MZ - Die Verbraucherzentrale Sachsen-Anhalt schlägt Alarm: In den vergangenen Tagen haben sich unzählige Internetnutzer gemeldet, die Post oder E-Mails von Anwälten aus Regensburg bekommen haben. Sie sollen urheberrechtlich geschützte Pornofilme über die Plattform redtube.com aufgerufen und angesehen haben. Sie werden aufgefordert, 250 Euro zu zahlen und schriftlich zu versichern, das Vergehen nicht noch einmal zu begehen. Wie viele Sachsen-Anhalter von der Welle der Abmahnungen betroffen sind, kann die Verbraucherzentrale nicht sagen. Bundesweit sind es aber bereits mehrere Zehntausend.
Betroffene suchen Beratungsstellen auf
„Es gibt ungeheuer viele Ratsuchende“, sagte Verbraucherschützerin Gabriele Emmrich der MZ. Konkrete Zahlen wollte sie aber nicht nennen. Seit Montag kämen die Betroffenen in die Beratungsstellen, schickten E-Mails oder riefen an. Sie wollen wissen, wie sie auf das Schreiben reagieren sollen. „Den Brief der Anwälte zu ignorieren und einfach in den Papierkorb zu werfen, nutzt nichts - eine teure Klage kann die Folge sein“, teilte die Verbraucherzentrale mit und widersprach damit anderslautenden Ratschlägen, die derzeit im Internet kursieren. Ob durch das bloße Ansehen der Filme im Internet - das sogenannte Streaming - allerdings tatsächlich Urheberrechte verletzt werden, sei rechtlich umstritten, hieß es. Die Verbraucherzentrale empfiehlt deshalb Betroffenen, sich rechtlich beraten zu lassen.
Die Regensburger Kanzlei Urmann + Collegen hat mehr als 10 000 Internetnutzer per Brief abgemahnt. Ihnen wird vorgeworfen, in diesem August von dem Erotik-Portal redtube.com urheberrechtlich geschützte Filme illegal heruntergeladen zu haben. Die Abmahnungen werden im Auftrag von The Archive AG verschickt, einer Firma mit Sitz in der Schweiz. Sie hält die Rechte an verschiedenen Sexstreifen. Die Abgemahnten sollen 250 Euro zahlen und eine Unterlassungserklärung unterschreiben.
Bei redtube.com handelt es sich um ein Streaming-Portal. Die Filme werden anders als bei Tauschbörsen nicht heruntergeladen und damit gleichzeitig auch anderen Nutzern zur Verfügung gestellt - das wäre illegal. Bei der auf redtube.com verwendeten Methode werden die Filme jedoch nur kurz auf dem Computer zwischengespeichert, um das Anschauen zu ermöglichen. Ob auch das eine Urheberrechtsverletzung darstellt, ist unter Juristen umstritten. Unter anderem wird argumentiert, dass die kurzzeitige Speicherung auf der Festplatte durch das im Urheberrecht formulierte „Recht auf Privatkopie“ gedeckt ist. Das gilt aber nicht, wenn der Film offensichtlich illegal zum Anschauen bereitgestellt wurde.
Auf den Porno-Portalen stehen in der Regel frei kopierbare Filmchen von Amateuren oder Ausschnitte professioneller Streifen, die zu Werbezwecken dort verbreitet werden. Auf seiner Internet-Seite erklärt zudem redtube.com selbst, auf Urheberrechtsverletzungen sofort zu reagieren. Die Nutzer dort können also davon ausgehen, dass die Urheberrechte beachtet werden. In Kombination mit dem Recht auf Privatkopie haben sie daher offenbar nichts illegales getan.
Um einen Nutzer zu identifizieren, braucht man die IP-Adresse - quasi die Anschrift des Computers im Internet. Bekannt ist die IP-Adresse eigentlich nur dem Betreiber des Sex-Portals, weil jeder Zugriff auf die Seite protokolliert wird. In diesem Fall ist aber nach den Angaben der Abmahnanwälte eine Überwachungssoftware eingesetzt worden. Die Anwälte legten die IP-Adressen beim Landgericht Köln vor und beantragten, dass die Deutsche Telekom Namen und Adressen der Nutzer herausgeben muss. 62 Anträge mit je bis zu 1 000 IP-Adressen wurden bewilligt, nur einige abgelehnt. Die Gründe sind unklar. Die Nutzung der Überwachungssoftware könnte nach Ansicht von Datenschützern gegen geltende Datenschutzgesetze verstoßen haben.
Mehrere Anwälte, die Abgemahnte verteidigen, haben den Verdacht geäußert, das Gericht habe sich täuschen lassen. So sei die Mehrheit der Kammern offenbar davon ausgegangen, es handele sich bei redtube.com um eine illegale Tauschbörse. In einem Antrag eines Abmahnanwalts ist vom „unbefugten Herunterladen“ die Rede. Dass es sich lediglich um das Streamen von Filmen handelte, ist aus den Anträgen nicht zu erkennen.
Verbraucherschützer warnen wegen der unklaren Rechtslage davor, die Unterlassungserklärung zu unterschreiben und das geforderte Geld zu zahlen. Denn das käme einem Schuldeingeständnis gleich. Ohnehin halten Anwälte die geforderte Unterlassungserklärung für zu weitgehend. Sie warnen aber auch davor, das Schreiben zu ignorieren. Die Betroffenen sollten einen Anwalt konsultieren. Eine mögliche Reaktion wäre, eine von einem Fachanwalt formulierte Unterlassungserklärung abzugeben. Bei Abmahnungen per E-Mail handelt es sich um Fälschungen. Sie sollten gelöscht werden, da im Anhang vielleicht ein Virus steckt.
„Es gibt viele Fragezeichen“, sagt Gabriele Emmrich. Sie berichtet von Internetnutzern, die drei oder vier Briefe der Kanzlei bekommen haben, in denen immer das Gleiche stand. In Erinnerung ist ihr auch der Fall einer 70-Jährigen Frau geblieben, die sehbehindert ist und gar kein Internet hat, der aber trotzdem in einem Schreiben vorgeworfen wird, im Internet Pornofilme gesehen zu haben. Die Verbraucher sind verwirrt.
Internet-Provider müssen Identitäten offenlegen
Die Kanzlei aus Regensburg hält trotz der Widersprüche an den schriftlichen Abmahnungen per Brief fest. Sie beruft sich auf die Rechtsgültigkeit von Urteilen des Landgerichts Köln. Richter in 16 unterschiedlichen Zivilkammern am Landgericht hatten im Juli und August in mehreren Beschlüssen die Deutsche Telekom und andere Internet-Provider dazu verpflichtet, die Identität der Anschlussinhaber zu Zehntausenden IP-Adressen bekanntzugeben. Nun gehen Juristen davon aus, dass die Richter in Köln dabei hinters Licht geführt wurden. Die Anträge an das Landgericht hätten nämlich nicht deutlich gemacht, dass es um Internet-Streaming und nicht um Tauschbörsen gehe, sagen Anwälte. So wird beim Streaming nur die Seite im Internet aufgerufen und angeschaut. Daten werden nicht heruntergeladen. Bei Tauschbörsen indes laden Nutzer dagegen Musik oder Filme herunter und stellen sie anderen Nutzern zur Verfügung. Damit verbreiten sie die Inhalte weiter, was eine Urheberrechtsverletzung darstellt.
Die Abmahnwelle, die als eine der größten in Deutschland gilt, hat auch Trittbrettfahrer auf den Plan gerufen. So kursieren nun auch angebliche E-Mails der Kanzlei, in denen Internetnutzern vorgeworfen wird, urheberrechtlich geschützte Filme aufgerufen zu haben. Die Betroffenen sollen einen Geldbetrag überweisen, die dafür nötigen Kontodaten würden in einer angehängten zip-Datei stehen, heißt es dort. Diese Datei aber enthält Viren oder Trojaner, die den Rechner angreifen.