Pilzbefall Pilzbefall: Mysteriöser Kieferntod in Sachsen-Anhalts Wäldern

Dessau-Rosslau - Wie ein Ufo wirkt der gelbe Harvester im Landeswald der Oranienburger Heide östlich von Dessau. Das 24 Tonnen schwere Fahrzeug fährt auf schmalen, unbefestigten Wegen. An einer mit roter Farbe gekennzeichneten Kiefer hält er an.
Der riesige Greifarm fährt aus, schlingt sich um die grobe, schuppige Borke des Baumes. Dann geht alles unglaublich schnell. Der Stamm wird durchsägt, der Baum fällt, schlägt auf dem Boden auf, hüpft. Und schon läuft der Stamm durch den Greifarm und wird alle sechs Meter von einer schweren Kettensäge geteilt. Keine 30 Sekunden später liegen die entasteten Stämme der 40 Jahre alten Kiefer am Wegesrand. Und der Greifarm hat bereits den nächsten Stamm erfasst.
Revierleiter Volker Szymczak geht zur gefällten Kiefer und zeigt auf die Nadeln der Äste: rostbraun statt sattgrün. Auch die umliegenden, noch stehenden Nadelbäume liefern einen traurigen Anblick. Häufig sind die Nadeln bereits abgefallen, sie bilden einen dicken Teppich auf dem Waldboden. „Der Diplodia-Pilz rafft bei uns die Kiefern dahin“, sagt Volker Szymczak.
Pilz Diplodia sucht sich geschwächte Bäume
Diplodia war ursprünglich nur in südlichen Ländern beheimatet. Durch das wärmer werdende Klima breitete er sich auch nach Norden aus. Im Jahr 2008 und 2010 schädigte der Pilz bereits Kiefern im Norden des Landes, in der Letzlinger Heide. „Doch der Umfang ist überhaupt nicht zu vergleichen mit dem, was nun hier passiert. Das ist eine völlig neue Qualität“, beschreibt Szymczak.
Nach ersten Einschätzungen des Magdeburger Umweltministeriums ist eine Waldfläche von 450 Hektar befallen. Der Schwerpunkt des Auftretens liegt entlang der Autobahn 9 im Bereich der Oranienbaumer Heide und der Mosigkauer Heide. Geschädigt sind jedoch auch Flächen im Raum Wittenberg.
Nach den Worten von Gitta Langer von der Nordwestdeutschen Forstlichen Versuchsanstalt ist der Pilz in vielen Kiefernwäldern in Deutschland verbreitet, ohne jedoch als Parasit aufzutreten. Ist der Baum gesund, kann Diplodia ihm kaum etwas anhaben. Erst wenn Bäume durch Alter oder Umwelteinflüsse geschwächt sind, bricht der Pilz aus.
In der Vergangenheit war das etwa nach Hagelschäden der Fall. Der Pilz greift dabei die Triebe der Bäume an, das Myzel, die Pilzwurzel, unterbindet die Wasserzufuhr. Sind die Knospen einmal abgestorben, regenerieren sie sich auch nicht mehr. Die großflächigen Schäden im Raum Anhalt führt Langer auf das trockne, warme Wetter im zurückliegenden Sommer zurück. „Die Kiefern hatten dadurch Stress, wurden anfällig für den Pilz“, glaubt er.
Ausmaß des Befalls bisher ein Rätsel
Die Kiefer gilt eigentlich als recht anspruchsloser Baum. Er kommt auf kargen Sandböden gut zurecht und auch heiße Sommer machten ihm bisher wenig aus. „Bei uns im Gebiet hatte es aber acht Wochen nicht geregnet“, sagt Szymczak. Warum der Befall so groß ausfalle, müsse aber noch geklärt werden. Für Szymczak ist es ein Rätsel. Auch Wissenschaftler haben darauf noch keine Antwort.
Bei der Fahrt durch sein Revier wird das ganze Ausmaß der Schäden sichtbar. Links und rechts der Waldwege stapeln sich meterhoch die Baumstämme. „Dort, wo die Bäume nur teilweise geschädigt sind, lassen wir sie stehen“, erklärt der Förster. Man könne nur hoffen, dass sie sich erholen.
Auf anderen Flächen waren die Kiefern so stark geschädigt, dass alle Bäume gefällt werden mussten. Dass dennoch keine Kahlflächen entstanden sind, liegt allein daran, dass im Unterholz Laubbäume wachsen. Um die Dimension zu erläutern, nennt Szymczak zwei Zahlen: „Normalerweise werden in Kiefernwäldern im Jahr fünf Festmeter Holz je Hektar geschlagen.“ Ein Festmeter entspreche der Holzmasse von einem Kubikmeter. In von Diplodia befallen Fluren seien es bis zu 150 Festmeter je Hektar.
Der Förster des Landeswaldes hat mit Sägewerken und Biomasse-Kraftwerken Verträge abgeschlossen, die das Holz abnehmen. Der Landesforstbetrieb Sachsen-Anhalt bewirtschaftet insgesamt 137.000 Hektar - das sind knapp ein Drittel des gesamten Waldes im Land. Ein höherer Einschlag in einem Gebiet kann mit anderen Forsten kompensiert werden. Private Waldbesitzer, die häufig nur einige Hektar ihr Eigen nennen, haben diese Möglichkeit nicht.
„Solch ein Pilzbefall kann private Waldbesitzer zur Aufgabe zwingen“, sagt Franz Prinz zu Salm-Salm, Vorsitzender des Waldbesitzerverbandes Sachsen-Anhalt. „Denn die Abholzung größerer Flächen bedeutet, dass anschließend 40 Jahre kaum mehr Einnahmen fließen.“
Pilz Diplodia kann nicht chemisch bekämpft werden
Salm-Salm fordert daher für private Waldbesitzer Fördermittel zur Schadensbeseitigung. „Die Aufforstung solcher Gebiete ist teuer, da keine natürliche Waldverjüngung stattfinden kann“, so der Waldbesitzer. Zudem dringt Salm-Salm auf eine bessere personelle Ausstattung des Landeszentrums Wald und der Forstämter. „Die arbeiten sehr professionell, stoßen aber an ihre Leistungsgrenzen.“ Für Salm-Salm die Experten wichtig, da Schäden und Schädlinge sehr früh erkannt werden müssen. „Je eher eingegriffen wird, desto mehr Schutz ist möglich“, sagt Salm-Salm.
Das bestätigt auch Michael Habermann, Leiter Waldschutz bei der Nordwestdeutschen Forstlichen Versuchsanstalt: „Durch das frühzeitige Fällen von kranken Bäumen oder den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln lässt sich häufig das Schlimmste verhindern“, so Habermann. Beim Pilz Diplodia sei eine chemische Bekämpfung allerdings nicht möglich. Nach seinen Worten ist ein Einschlag wie in der Oranienburger Heide in anderen betroffenen Waldgebieten nicht notwendig. Er weist jedoch darauf hin, dass die nun ohnehin von Trockenheit und Pilzbefall geschwächten Kiefern anfällig für Insekten wie den Borkenkäfer werden.
Ausmaß der Schäden noch nicht absehbar
„Das gesamte Ausmaß der Schäden ist daher jetzt noch nicht absehbar“, so Habermann. Zwar seien die Ereignisse regional auf einige Brennpunkte begrenzt. Nach die Folgen des Klimawandels würden sichtbar. Laut Waldzustandsbericht 2015 hat sich die Jahresmittel-Temperatur in Sachsen-Anhalt seit Beginn der 1990er Jahre von 8,5 Grad Celsius auf
aktuell 9,4 Grad erhöht. „Problematisch ist jedoch nicht die Durchschnittstemperatur, sondern die damit verbundenen Wetterextreme“, so Habermann. Phasen langer Trockenheit, starker Niederschläge oder Orkane hätten zugenommen. Förster Szymczak bestätigt das aus seiner Arbeit: „Alle drei bis vier Jahre haben wir inzwischen ein Extremereignis.“ Er nennt den Orkan Kyrill 2007, Hagelschäden 2011, Überflutungen 2013 und nun den trockenen Sommer. „Irgendwann ist der Stress für die Bäume einfach zu groß.“ (mz)


