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Nienhagen wehrt sich gegen Rechtsrock-Konzert Nienhagen wehrt sich gegen Rechtsrock-Konzert: Dorf droht Ausnahmezustand

Von uwe kraus 19.06.2014, 14:05
Polizisten und Demonstranten stehen in Nienhagen bei Schwanebeck im Landkreis Harz bei einer Protestaktion gegen ein geplantes Rechtsrockkonzert.
Polizisten und Demonstranten stehen in Nienhagen bei Schwanebeck im Landkreis Harz bei einer Protestaktion gegen ein geplantes Rechtsrockkonzert. dpa Lizenz

Nienhagen/Halberstadt/mz - Wie aus einem Mund bekunden Rainer O. Neugebauer und Ute Gabriel vom „BürgerBündnis für ein gewaltfreies Halberstadt“: „Wir haben einen Heidenrespekt vor den Menschen in Nienhagen, die sich enorm mutig in der Initiative ,Nienhagen rechtsrockfrei‘ engagieren.“ In solch einem Dorf kann man sich halt schlecht aus dem Weg gehen.

Beliebter Auftrittsort

Neben den 30 bis 50 Menschen, die sich dort zusammengefunden haben, gibt es jedoch „eine Mehrheit, die gleichgültig und verängstigt ist, die ihre Fensterläden schließt oder an dem Wochenende verreist, wenn im Dorf ein Rechtsrockkonzert stattfindet“, umreißt der Halberstädter Professor Neugebauer. Das hindere aber weder das Halberstädter Bürger-Bündnis, noch den Evangelischen Kirchenkreis Halberstadt, den DGB und die Bürgerinitiative vor Ort daran, am 28. Juni gegen ein Rockkonzert friedlich zu demonstrieren, das in der „Hopfendarre“ stattfinden soll. Diese Location eines Einheimischen gehört nach Angaben von Daniel Kisser, dem Sprecher der Bürgerinitiative „Nienhagen rechtsrockfrei“, seit 2007 zu den beliebtesten Auftrittsorten einschlägig bekannter Bands.

Nur 2012 fiel ein Konzert aus, als sich vier Fünftel der Nienhagener Bürger dagegen ausgesprochen hatten und der Besitzer der Immobilie vor MDR-Kameras versicherte, sich an dieses Votum zu halten. Halberstadts Oberbürgermeister Andreas Henke (Die Linke), Schirmherr für das „BürgerBündnis für ein gewaltfreies Halberstadt“, verweist mit Bezug auf den aktuellen Verfassungsschutzbericht 2013 auf die steigende Zahl rechtsradikaler Musikveranstaltung in Sachsen-Anhalt. Deren Zahl stieg um ein Drittel.

Auf Seite 2 lesen Sie, welche Bands zu den Skinhead-Partys reisen.

In einem Handzettel der Bürgerinitiative unter dem Titel „Keine Rechtsrockkonzerte in Nienhagen und anderswo“ mutmaßen die Mitglieder, dass die Konzerte seit 2011 von neonazistischen Strukturen organisiert werden und verweisen auf einschlägige Internet-Seiten. An solchen Konzertwochenenden wird das Dorf mit rund 480 Einwohnern regelmäßig in den Ausnahmezustand versetzt. Nach Polizeiangaben sind dann jedes Mal mehrere hundert Polizisten im Einsatz. Die Hundertschaften kamen aus Sachsen-Anhalt, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen.

Regelmäßiger Ausnahmezustand

Die Zahl der von der Polizei verfolgten Delikte bleibt dabei zumeist gering. Vier Ermittlungsverfahren wegen des Zeigens des Hitlergrußes und offen getragener Tätowierungen mit verfassungsfeindlichen Symbolen wurden 2011 eingeleitet. Damals wurden laut Polizeibericht im Vorfeld 345 anreisende Veranstaltungsteilnehmer kontrolliert, neun Identitäten festgestellt und in einem Fall ein Platzverweis ausgesprochen.

Zu den von Oliver Malina im Schwanebecker Ortsteil Nienhagen angemeldeten Skinhead-Partys reisen jeweils 1.200 bis 1.800 Rechte aus ganz Europa an. Nach Veranstalterangaben spielen dabei Skinhead-Bands aus Deutschland, Belgien, Italien, den USA und Finnland. Sie tragen solche martialische Namen wie „Kommando Skin“, „Endstufe“ und „Faustrecht“. Ihre Texte klingen auch danach und seien menschenverachtend, so Rainer O. Neugebauer.

Er könne nicht verstehen, dass die Behörden nicht „konsequent eingreifen, wenn indizierte Titel gespielt werden“. So erinnern Aktivisten des Widerstandes gegen die Rechtsrockkonzerte an eine Anhörung im Landtag, als der Ordnungsamtsleiter der Verwaltungsgemeinschaft sagte: „Wenn auf einem Konzert, auf dem etwa 20 Titel gespielt werden, ein verbotener Titel vorgetragen wird, werde ich das Konzert nicht auflösen. Darin bin ich mir auch mit der Polizeiführung einig. Wenn es dort allerdings drunter und drüber geht und jedes zweite Lied eine Straftat darstellt, verdichtet sich das natürlich, und dieses Vorkommnis hat auch Folgen für die Zukunft.“

Auf der nächsten Seite finden Sie nähere Informationen zu den geplanten Protest-Aktionen.

Die Strategie der Neonazis, durch eine Großveranstaltung mit aggressiver, rassistischer und nationalistischer Musik Einfluss auf die Jugendszene zu gewinnen und für ihre menschenfeindlichen Politikangebote zu werben, ist für junge Leute nicht leicht zu durchschauen, findet die Bürgerinitiative.

Den Tag so unangenehm wie möglich machen

Am 28. Juni ab 14 Uhr lädt sie zu einem Straßenfest mit dem Motto „Keine Begleitmusik zu Hass und Gewalt in Nienhagen“ in den Woltersweg ein. Rainer O. Neugebauer verweist auf die Unterstützung der Kirche und der Halberstädter Superintendentin Angelika Zädow. Um 18 Uhr werde eine Friedensandacht in der Kirche gehalten sowie um 20.30 Uhr eine Freiluftandacht, zu der ein Posaunenchor spielt. Dazwischen organisiert der DGB eine Demonstration. Neugebauer sieht Gewaltfreiheit als oberstes Gebot.

„Wir wollen dem Konzertveranstalter den Tag so unangenehm wie möglich machen“, sagt er. Er findet, die Zivilgesellschaft müsse sich mit dieser neonazistischen Gefahr auseinandersetzen. „Doch von ihr allein ist die Aufgabe nicht tragbar. Da braucht es mehr Unterstützung von staatlicher Seite.“ Erst 2013 unterlag die Kreisverwaltung mit ihren Auflagen gegen das Neonazikonzert letztlich vor dem Oberverwaltungsgericht Magdeburg. Trotzdem wolle man, so Oberbürgermeister Andreas Henke, Ute Gabriel und Rainer O. Neugebauer, „das Thema in der Öffentlichkeit halten“.

Junge Männer mit kurz geschorenen Haaren und Springerstiefeln gehen in Nienhagen (Sachsen-Anhalt) an Polizeifahrzeugen vorbei zu einem Rechtsrockkonzert.
Junge Männer mit kurz geschorenen Haaren und Springerstiefeln gehen in Nienhagen (Sachsen-Anhalt) an Polizeifahrzeugen vorbei zu einem Rechtsrockkonzert.
dpa/ARCHIV Lizenz
Proteste gegen ein Neonazi-Konzert im Mai 2013 in Nienhagen.
Proteste gegen ein Neonazi-Konzert im Mai 2013 in Nienhagen.
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